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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Fremde sind, weil wir das Wesen aller Mächte kennen, die in ihr wirken,
deren Gesetze uns vertraut und in allen ihren Folgen absehbar sind, eine Welt
ohne Zufall, zu schönen Formen mit allem, was in ihr Gewalt und Leiden¬
schaft ist, gerundet und edel gebildet? Ist das nicht genug? Beide aber,
Welt und Seele, Schöpfertricb und Ich, Stoff und Geist, Wille und Vor¬
stellung, Makro- und Mikrokosmos hatte Schopenhauer in seiner Philosophie
für "Wesenseins" erklärt; wie willkommen mußte ihm eine Kunst sein, die auf
derselben Vorstellung beruht, die auf das glänzendste die "innere Wahrheit"
dieser Vorstellung zu bestätigen schien, ihre Wahrheit für "die Erkenntnis des
wahren Wesens aller Dinge"! denn diese, so lehrte er, offenbaren dem nur
erkennenden ihr wahres Wesen nicht, es bleibt ihm verborgen, nicht etwa bloß,
weil sie zu mannichfach und dunkel in einander verflochten sind, sondern weil
des Menschen Erkenntnisvermögen, befangen in Raum und Zeit, überhaupt
nicht imstande ist, jenes wahren Wesens der Dinge habhaft zu werden. (Denn
einen solchen, schließlich erkenntnis-unfähigen, also nur "überzeugungs"fähigen,
"begeisterungs"fähigen Intellekt brauchte er für seine Leidenswelt, damit wir
an der Wahrheit dieses Leidens als "im Wesen der Dinge begründet" wenigstens
zweifeln zu können den Trost behielten.) Aber nun war die Musik wenigstens
das denkbar beste Surrogat für jenes Wesen der Dinge an sich; sie war doch
wenigstens so beschaffen, daß, "wenn jemand in Worten sagen könnte, was
sie in Tönen sagt, er das Rätsel der Welt gelöst haben würde." (Daß das
Unternehmen selbst schon unmusikalisch ist, wurde dabei übersehen, ebenso,
daß "die Musik" ein Unding ist, wenn es aufs Übersetzen ankommt, da
es doch nur Musikstücke giebt.) Nun aber hatte "die Musik" plötzlich
"metaphysische Bedeutung" gewonnen, d. h. einen Wert für die intuitive Er¬
kenntnis des Dinges an sich oder des wahren Wesens der Dinge, sie vermochte
diese, also auch das Ding an sich sogar irgendwie zu ersetzen. NuÄ<ni sse,
so lautete der feierliche Wahrspruch, LxsroiUum niekrpb.^8le,ö8 on-vultum animi
uWeiöntis 8ö xlülosoxbari! Das dankte ihr Schopenhauer damit, daß er ihr
das Szepter der Urania erteilte -- wurde doch seine Sibylla, seine Philosophie,
dadurch auch die ebenbürtige Schwester dieser Himmelskönigin! Wie will¬
kommen mußte die Musik aber nun, mit dieser metaphysischen Würde und
Hoheit angethan, einem hoch strebenden Musiker, dem Dramatiker und vor allem
dem Szeniker R. Wagner sein, der das höchste Interesse hatte, nicht nur alles
Menschliche bis hinab in bisher unerreichtes Häßliche und Gräßliche, sondern
in gleichfalls bisher unerhörtem Maße auch alle Mächte der Natur in Tönen
reden zu machen, während er ihrem Weben und Wirken zugleich auf der Bühne
Farbe und Gestalt gab, ein zweiter Demiurgos! Er, der von Natur ehedem
Freudige, stürzte sich nun mit Leidenschaft in diesen acherontischen Strom der
Schopenhauerischen Philosophie, worin das Bad uns aber nicht, wie dem Faust
seine Zauberschale, eine späte Jugend, sondern dem ein frühes Alter erwirbt,


Fremde sind, weil wir das Wesen aller Mächte kennen, die in ihr wirken,
deren Gesetze uns vertraut und in allen ihren Folgen absehbar sind, eine Welt
ohne Zufall, zu schönen Formen mit allem, was in ihr Gewalt und Leiden¬
schaft ist, gerundet und edel gebildet? Ist das nicht genug? Beide aber,
Welt und Seele, Schöpfertricb und Ich, Stoff und Geist, Wille und Vor¬
stellung, Makro- und Mikrokosmos hatte Schopenhauer in seiner Philosophie
für „Wesenseins" erklärt; wie willkommen mußte ihm eine Kunst sein, die auf
derselben Vorstellung beruht, die auf das glänzendste die „innere Wahrheit"
dieser Vorstellung zu bestätigen schien, ihre Wahrheit für „die Erkenntnis des
wahren Wesens aller Dinge"! denn diese, so lehrte er, offenbaren dem nur
erkennenden ihr wahres Wesen nicht, es bleibt ihm verborgen, nicht etwa bloß,
weil sie zu mannichfach und dunkel in einander verflochten sind, sondern weil
des Menschen Erkenntnisvermögen, befangen in Raum und Zeit, überhaupt
nicht imstande ist, jenes wahren Wesens der Dinge habhaft zu werden. (Denn
einen solchen, schließlich erkenntnis-unfähigen, also nur „überzeugungs"fähigen,
„begeisterungs"fähigen Intellekt brauchte er für seine Leidenswelt, damit wir
an der Wahrheit dieses Leidens als „im Wesen der Dinge begründet" wenigstens
zweifeln zu können den Trost behielten.) Aber nun war die Musik wenigstens
das denkbar beste Surrogat für jenes Wesen der Dinge an sich; sie war doch
wenigstens so beschaffen, daß, „wenn jemand in Worten sagen könnte, was
sie in Tönen sagt, er das Rätsel der Welt gelöst haben würde." (Daß das
Unternehmen selbst schon unmusikalisch ist, wurde dabei übersehen, ebenso,
daß „die Musik" ein Unding ist, wenn es aufs Übersetzen ankommt, da
es doch nur Musikstücke giebt.) Nun aber hatte „die Musik" plötzlich
„metaphysische Bedeutung" gewonnen, d. h. einen Wert für die intuitive Er¬
kenntnis des Dinges an sich oder des wahren Wesens der Dinge, sie vermochte
diese, also auch das Ding an sich sogar irgendwie zu ersetzen. NuÄ<ni sse,
so lautete der feierliche Wahrspruch, LxsroiUum niekrpb.^8le,ö8 on-vultum animi
uWeiöntis 8ö xlülosoxbari! Das dankte ihr Schopenhauer damit, daß er ihr
das Szepter der Urania erteilte — wurde doch seine Sibylla, seine Philosophie,
dadurch auch die ebenbürtige Schwester dieser Himmelskönigin! Wie will¬
kommen mußte die Musik aber nun, mit dieser metaphysischen Würde und
Hoheit angethan, einem hoch strebenden Musiker, dem Dramatiker und vor allem
dem Szeniker R. Wagner sein, der das höchste Interesse hatte, nicht nur alles
Menschliche bis hinab in bisher unerreichtes Häßliche und Gräßliche, sondern
in gleichfalls bisher unerhörtem Maße auch alle Mächte der Natur in Tönen
reden zu machen, während er ihrem Weben und Wirken zugleich auf der Bühne
Farbe und Gestalt gab, ein zweiter Demiurgos! Er, der von Natur ehedem
Freudige, stürzte sich nun mit Leidenschaft in diesen acherontischen Strom der
Schopenhauerischen Philosophie, worin das Bad uns aber nicht, wie dem Faust
seine Zauberschale, eine späte Jugend, sondern dem ein frühes Alter erwirbt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/512>, abgerufen am 01.10.2024.