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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Aufgabe der Gegemvcirt

nicht an besondre Bedingungen geknüpft werden dürfe, verfügt der Herr Minister
die Auszahlung einer Remuneration von etwa 200 Mark, bestimmt aber
zugleich, daß von den Gemeinden keine Fuhrkosten mehr erhoben werden dürfen.
Durch diese Wohlthat sind die Superintendenten in die Lage versetzt, aus ihrer
Tasche zu den Kosten ihres "Ehrenamtes" zuzuschießen. Denn es liegt doch
auf der Hand, daß diese Summe uicht einmal für die Fuhrkosten ausreicht,
geschweige denn für Vüreau- und Nebenkosten. Diese großartige Zuwendung
wird von der Negierung -- oder ist es der Herr Minister selbst -- an eine
Bedingung geknüpft, die die Superintendenten als ebenso verletzend wie be¬
drückend empfinden müssen, sie erhalten die Remuneration nur unter der Be¬
dingung, daß sie sich ausdrücklich verpflichten, jede der unter ihre Aufsicht
gestellten Schulen jährlich mindestens einmal gründlich und außerdem nach
hervortretendem Bedürfnisse zu revidiren.

So behandelt der Staat die Männer, die in selbstloser Arbeit mit dem
größten Teile ihrer Kraft dem Staate dienen. Es wäre ein interessantes
Schauspiel, wenn von den Herren Superintendenten in größerm Umfange einmal
eine Arbeitseinstellung bewirkt würde. Und wem kommt es zu gute? Die
ländlichen Gemeinden sollen einmal wieder "entlastet" werden. Wer einem
Bauer etwas schenkt, thut ihm das größte Unrecht, und wer auf Verständnis
oder Dank für die Gabe rechnet, irrt sich. Denn da der Bauer selbst nur
thut, was er muß, setzt er bei einer Gabe, die ihm freiwillig gegeben wird,
einen Zwang oder mindestens einen Vorteil auf Seiten des Gebers voraus.

Dies sind nur ein paar Beispiele; es ließe sich noch viel über diesen Punkt
sagen. Es ist also nicht zu verwundern, wenn ein Liebeswerben des Staates
bei der Kirche sehr gemischten Gefühlen begegnet, und wenn die natürliche
menschliche Empfindung geneigter ist, nein als ja zu sagen. Trotzdem steht
außer aller Frage, daß alle die Männer, die Grund haben, sich über eine un¬
freundliche und fast geringschätzige Behandlung durch den Staat zu beklagen,
sogleich bereit sind, ihre Kräfte dein Vaterlande zu widmen, wenn das Vater¬
land dieser Kräfte bedarf. Nur fragt es sich, ob die Kirche, was sie wohl
möchte, auch noch kann. Das ist die ernstere Frage.

Die Kirche soll helfen, aber man ist seit dreißig Jahren bestrebt gewesen,
die Kirche aus der öffentlichen Welt zu verdrängen und sie zu einem Privat¬
institut herabzudrücken. Und das ist ja auch so ziemlich gelungen. Die kirchen-
feindliche Strömung ist vom Staate nicht geschaffen worden, aber er hat sich
von ihr treiben lassen. Fassen wir nur ein kleines Stück der staatlichen
Gesetzgebung ius Auge, deren Wirkung es war -- wir wollen uicht sagen:
deren Absicht es war, denn die bewußte Absicht, die Kirche zu schädige", lag
sicher nicht vor --, den Einfluß der Kirche zu beschränken und auch aus den
Geschäften zu verdrängen, die am besten und natürlichsten in ihrer Hand
lagen. Zu Anfang der siebziger Jahre kam das Schulaufsichtsgesetz, worin


Die Aufgabe der Gegemvcirt

nicht an besondre Bedingungen geknüpft werden dürfe, verfügt der Herr Minister
die Auszahlung einer Remuneration von etwa 200 Mark, bestimmt aber
zugleich, daß von den Gemeinden keine Fuhrkosten mehr erhoben werden dürfen.
Durch diese Wohlthat sind die Superintendenten in die Lage versetzt, aus ihrer
Tasche zu den Kosten ihres „Ehrenamtes" zuzuschießen. Denn es liegt doch
auf der Hand, daß diese Summe uicht einmal für die Fuhrkosten ausreicht,
geschweige denn für Vüreau- und Nebenkosten. Diese großartige Zuwendung
wird von der Negierung — oder ist es der Herr Minister selbst — an eine
Bedingung geknüpft, die die Superintendenten als ebenso verletzend wie be¬
drückend empfinden müssen, sie erhalten die Remuneration nur unter der Be¬
dingung, daß sie sich ausdrücklich verpflichten, jede der unter ihre Aufsicht
gestellten Schulen jährlich mindestens einmal gründlich und außerdem nach
hervortretendem Bedürfnisse zu revidiren.

So behandelt der Staat die Männer, die in selbstloser Arbeit mit dem
größten Teile ihrer Kraft dem Staate dienen. Es wäre ein interessantes
Schauspiel, wenn von den Herren Superintendenten in größerm Umfange einmal
eine Arbeitseinstellung bewirkt würde. Und wem kommt es zu gute? Die
ländlichen Gemeinden sollen einmal wieder „entlastet" werden. Wer einem
Bauer etwas schenkt, thut ihm das größte Unrecht, und wer auf Verständnis
oder Dank für die Gabe rechnet, irrt sich. Denn da der Bauer selbst nur
thut, was er muß, setzt er bei einer Gabe, die ihm freiwillig gegeben wird,
einen Zwang oder mindestens einen Vorteil auf Seiten des Gebers voraus.

Dies sind nur ein paar Beispiele; es ließe sich noch viel über diesen Punkt
sagen. Es ist also nicht zu verwundern, wenn ein Liebeswerben des Staates
bei der Kirche sehr gemischten Gefühlen begegnet, und wenn die natürliche
menschliche Empfindung geneigter ist, nein als ja zu sagen. Trotzdem steht
außer aller Frage, daß alle die Männer, die Grund haben, sich über eine un¬
freundliche und fast geringschätzige Behandlung durch den Staat zu beklagen,
sogleich bereit sind, ihre Kräfte dein Vaterlande zu widmen, wenn das Vater¬
land dieser Kräfte bedarf. Nur fragt es sich, ob die Kirche, was sie wohl
möchte, auch noch kann. Das ist die ernstere Frage.

Die Kirche soll helfen, aber man ist seit dreißig Jahren bestrebt gewesen,
die Kirche aus der öffentlichen Welt zu verdrängen und sie zu einem Privat¬
institut herabzudrücken. Und das ist ja auch so ziemlich gelungen. Die kirchen-
feindliche Strömung ist vom Staate nicht geschaffen worden, aber er hat sich
von ihr treiben lassen. Fassen wir nur ein kleines Stück der staatlichen
Gesetzgebung ius Auge, deren Wirkung es war — wir wollen uicht sagen:
deren Absicht es war, denn die bewußte Absicht, die Kirche zu schädige», lag
sicher nicht vor —, den Einfluß der Kirche zu beschränken und auch aus den
Geschäften zu verdrängen, die am besten und natürlichsten in ihrer Hand
lagen. Zu Anfang der siebziger Jahre kam das Schulaufsichtsgesetz, worin


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[0494] Die Aufgabe der Gegemvcirt nicht an besondre Bedingungen geknüpft werden dürfe, verfügt der Herr Minister die Auszahlung einer Remuneration von etwa 200 Mark, bestimmt aber zugleich, daß von den Gemeinden keine Fuhrkosten mehr erhoben werden dürfen. Durch diese Wohlthat sind die Superintendenten in die Lage versetzt, aus ihrer Tasche zu den Kosten ihres „Ehrenamtes" zuzuschießen. Denn es liegt doch auf der Hand, daß diese Summe uicht einmal für die Fuhrkosten ausreicht, geschweige denn für Vüreau- und Nebenkosten. Diese großartige Zuwendung wird von der Negierung — oder ist es der Herr Minister selbst — an eine Bedingung geknüpft, die die Superintendenten als ebenso verletzend wie be¬ drückend empfinden müssen, sie erhalten die Remuneration nur unter der Be¬ dingung, daß sie sich ausdrücklich verpflichten, jede der unter ihre Aufsicht gestellten Schulen jährlich mindestens einmal gründlich und außerdem nach hervortretendem Bedürfnisse zu revidiren. So behandelt der Staat die Männer, die in selbstloser Arbeit mit dem größten Teile ihrer Kraft dem Staate dienen. Es wäre ein interessantes Schauspiel, wenn von den Herren Superintendenten in größerm Umfange einmal eine Arbeitseinstellung bewirkt würde. Und wem kommt es zu gute? Die ländlichen Gemeinden sollen einmal wieder „entlastet" werden. Wer einem Bauer etwas schenkt, thut ihm das größte Unrecht, und wer auf Verständnis oder Dank für die Gabe rechnet, irrt sich. Denn da der Bauer selbst nur thut, was er muß, setzt er bei einer Gabe, die ihm freiwillig gegeben wird, einen Zwang oder mindestens einen Vorteil auf Seiten des Gebers voraus. Dies sind nur ein paar Beispiele; es ließe sich noch viel über diesen Punkt sagen. Es ist also nicht zu verwundern, wenn ein Liebeswerben des Staates bei der Kirche sehr gemischten Gefühlen begegnet, und wenn die natürliche menschliche Empfindung geneigter ist, nein als ja zu sagen. Trotzdem steht außer aller Frage, daß alle die Männer, die Grund haben, sich über eine un¬ freundliche und fast geringschätzige Behandlung durch den Staat zu beklagen, sogleich bereit sind, ihre Kräfte dein Vaterlande zu widmen, wenn das Vater¬ land dieser Kräfte bedarf. Nur fragt es sich, ob die Kirche, was sie wohl möchte, auch noch kann. Das ist die ernstere Frage. Die Kirche soll helfen, aber man ist seit dreißig Jahren bestrebt gewesen, die Kirche aus der öffentlichen Welt zu verdrängen und sie zu einem Privat¬ institut herabzudrücken. Und das ist ja auch so ziemlich gelungen. Die kirchen- feindliche Strömung ist vom Staate nicht geschaffen worden, aber er hat sich von ihr treiben lassen. Fassen wir nur ein kleines Stück der staatlichen Gesetzgebung ius Auge, deren Wirkung es war — wir wollen uicht sagen: deren Absicht es war, denn die bewußte Absicht, die Kirche zu schädige», lag sicher nicht vor —, den Einfluß der Kirche zu beschränken und auch aus den Geschäften zu verdrängen, die am besten und natürlichsten in ihrer Hand lagen. Zu Anfang der siebziger Jahre kam das Schulaufsichtsgesetz, worin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/494>, abgerufen am 22.07.2024.