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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Kleinkinderschule

heilte andres gefunden und freute mich wenig auf den guten Rat der Frau Hahn.
Ich schwieg, doch im Innern sah es sehr Übel aus, als sie davonfuhr.

Am Nachmittag Mrte mich Frau Konilnerzienrat über die Verhältnisse in ^.
auf, besonders die in der arbeitenden Klasse. B. habe einen ausgedehnten Arbetter-
stand, in dem viele Laster um sich gegriffen hätten, besonders die Trunksucht, ^am
seien die Leute roh, undankbar und unzugänglich. Es sei also ein rechtes Arbeits¬
feld für eine Lehrerin der Kleinsten gegeben. Sie bemühe sich seit Jahren, die
Leute uach Kräfte" zu erziehen, könne aber leider nicht selbst in die Häuser gehen
und freue sich, nun in mir fortan eine Hilfe für ihre Bestrebungen zu haben.
Frau Hahn forderte mich auf, wenn ich des Rates und der Hilfe bedürfte, Mich
stets an sie zu wenden, dn sie die Leute genau kenne und am ersten. Auskunft
geben könne. Schließlich trug sie mir auf, den verschiednen Familien des Frauen-
Vereins Besuche zu machen, da der Frauenverein sehr thätig und aufopfernd bei
der Einrichtung meines Wohnzimmers, wie auch der Klasse gewesen sei. Sie net
mir, das Danken, nicht zu vergessen.

Als ich in meinem Stübchen saß, ließ ich das Gehörte an meiner Seele
vorüberziehe". Es war so manches dabei, das mir zu denken gab. Frau Hahn
sprach von den Armen immer nur wie von einer besondern Menschenklasse oder
einen: besondern Menschenschlag; das gab eine tiefe Kluft zwischen ihr und ihnen.
Kein Hauch des Erbarmens war mir ans ihren Worten cutgegengekluugen. Dann
gab sie zu, daß sie nie selbst die Arbeiterhäuser aufsuche, und doch wollte sie sie
kennen! Mir schien, sie kannte sie nicht und liebte sie auch nicht, eben weil sie sie
nicht kannte. Aber warum widmete sie dann ihre Zeit den Notleidenden? ^>es
fand auf diese Frage keine Antwort.

^vDie Schule nahm ihren Anfang, doch befremdete es mich, wie spärlich tue
Kinder gemeldet wurden. Die meisten Mütter arbeiteten doch außer dem Hause
und mußten. meiner Ansicht nach, froh sein, ihre Kinder für ein geringes Geld
der Obhut der Schule anvertrauen zu können. Ich war schon mehrere Wochen
w Orte, und kaum war die halbe Klasse gefüllt. Diese mallgelhafte That.gtelt
befriedigte mich nicht. Befremdet fragte ich eine der Mütter nach der Ursache diefer
Teilnahmlosigkeit. Nach minutenlangem Zögern entgegnete die Frau: "Das kommt
daher, weil Kommerzienrath die Schule haben; die hat keiner gern, und die armen
Leute mögen auch nichts mit ihnen zu thun haben." Aber weshalb denn mcyt,
fragte ich verwundert. "Frau Hahn hat nie ein freundliches Wort für die ^eure
f'e tritt alleu so stolz gegenüber und imiuer findet sie etwas zu schelten, tap Inpr
sich keines gern, gefallen)' Nach einer Pause fuhr sie fort: "Die Leute dachten
"se. Sie wären auch so, Fräulein, lind darum wollte keiner 'ran mit der <sehn c,
"ber jetzt heißt es. Sie Wären für die Armen bedacht, und um wollen sie ane
do Kinder bringen." Es ist doch nicht recht von den Leuten, so von Kommerzlen-
r"es zu denken', da sie jn für die Armen sorgen, entgegnete ich ernst. >t)u
Angeredete machte mir eine lebhafte Bewegung, näher zu komme". "Aau
'^mmerzienrat ist die Erste im Fra"e"verein, ""d da muß sie ja schon ,v thun,
°!s ob sie svrqte," sagte sie bitter erregt. "Doch glauben Sie mir, kosten darf
dle Sache nicht viel, dazu ist sie zu geizig. Sie giebt, aber es ist auch darmich
und wenn davon ein Kranker bestehen sollte, so würde er nicht we.t kommen, ^un
haben sie allerdings die Schule eingerichtet. aber warum? Nur um sich einen
u"neu zu machen, von ihnen kommt dazu das welligste Geld. Sie bescheren zu
^brachten auch deu arnum Kindern, doch die es bedürftig sind, die wegen nchts
Da wird alles darnach verteilt, wie die Meiern Bescheid bringt, und die wendet


Grenzboten II 1890
Die Kleinkinderschule

heilte andres gefunden und freute mich wenig auf den guten Rat der Frau Hahn.
Ich schwieg, doch im Innern sah es sehr Übel aus, als sie davonfuhr.

Am Nachmittag Mrte mich Frau Konilnerzienrat über die Verhältnisse in ^.
auf, besonders die in der arbeitenden Klasse. B. habe einen ausgedehnten Arbetter-
stand, in dem viele Laster um sich gegriffen hätten, besonders die Trunksucht, ^am
seien die Leute roh, undankbar und unzugänglich. Es sei also ein rechtes Arbeits¬
feld für eine Lehrerin der Kleinsten gegeben. Sie bemühe sich seit Jahren, die
Leute uach Kräfte« zu erziehen, könne aber leider nicht selbst in die Häuser gehen
und freue sich, nun in mir fortan eine Hilfe für ihre Bestrebungen zu haben.
Frau Hahn forderte mich auf, wenn ich des Rates und der Hilfe bedürfte, Mich
stets an sie zu wenden, dn sie die Leute genau kenne und am ersten. Auskunft
geben könne. Schließlich trug sie mir auf, den verschiednen Familien des Frauen-
Vereins Besuche zu machen, da der Frauenverein sehr thätig und aufopfernd bei
der Einrichtung meines Wohnzimmers, wie auch der Klasse gewesen sei. Sie net
mir, das Danken, nicht zu vergessen.

Als ich in meinem Stübchen saß, ließ ich das Gehörte an meiner Seele
vorüberziehe». Es war so manches dabei, das mir zu denken gab. Frau Hahn
sprach von den Armen immer nur wie von einer besondern Menschenklasse oder
einen: besondern Menschenschlag; das gab eine tiefe Kluft zwischen ihr und ihnen.
Kein Hauch des Erbarmens war mir ans ihren Worten cutgegengekluugen. Dann
gab sie zu, daß sie nie selbst die Arbeiterhäuser aufsuche, und doch wollte sie sie
kennen! Mir schien, sie kannte sie nicht und liebte sie auch nicht, eben weil sie sie
nicht kannte. Aber warum widmete sie dann ihre Zeit den Notleidenden? ^>es
fand auf diese Frage keine Antwort.

^vDie Schule nahm ihren Anfang, doch befremdete es mich, wie spärlich tue
Kinder gemeldet wurden. Die meisten Mütter arbeiteten doch außer dem Hause
und mußten. meiner Ansicht nach, froh sein, ihre Kinder für ein geringes Geld
der Obhut der Schule anvertrauen zu können. Ich war schon mehrere Wochen
w Orte, und kaum war die halbe Klasse gefüllt. Diese mallgelhafte That.gtelt
befriedigte mich nicht. Befremdet fragte ich eine der Mütter nach der Ursache diefer
Teilnahmlosigkeit. Nach minutenlangem Zögern entgegnete die Frau: „Das kommt
daher, weil Kommerzienrath die Schule haben; die hat keiner gern, und die armen
Leute mögen auch nichts mit ihnen zu thun haben." Aber weshalb denn mcyt,
fragte ich verwundert. „Frau Hahn hat nie ein freundliches Wort für die ^eure
f'e tritt alleu so stolz gegenüber und imiuer findet sie etwas zu schelten, tap Inpr
sich keines gern, gefallen)' Nach einer Pause fuhr sie fort: „Die Leute dachten
»se. Sie wären auch so, Fräulein, lind darum wollte keiner 'ran mit der <sehn c,
"ber jetzt heißt es. Sie Wären für die Armen bedacht, und um wollen sie ane
do Kinder bringen." Es ist doch nicht recht von den Leuten, so von Kommerzlen-
r"es zu denken', da sie jn für die Armen sorgen, entgegnete ich ernst. >t)u
Angeredete machte mir eine lebhafte Bewegung, näher zu komme«. „Aau
'^mmerzienrat ist die Erste im Fra«e«verein, ««d da muß sie ja schon ,v thun,
°!s ob sie svrqte," sagte sie bitter erregt. „Doch glauben Sie mir, kosten darf
dle Sache nicht viel, dazu ist sie zu geizig. Sie giebt, aber es ist auch darmich
und wenn davon ein Kranker bestehen sollte, so würde er nicht we.t kommen, ^un
haben sie allerdings die Schule eingerichtet. aber warum? Nur um sich einen
u"neu zu machen, von ihnen kommt dazu das welligste Geld. Sie bescheren zu
^brachten auch deu arnum Kindern, doch die es bedürftig sind, die wegen nchts
Da wird alles darnach verteilt, wie die Meiern Bescheid bringt, und die wendet


Grenzboten II 1890
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[0481] Die Kleinkinderschule heilte andres gefunden und freute mich wenig auf den guten Rat der Frau Hahn. Ich schwieg, doch im Innern sah es sehr Übel aus, als sie davonfuhr. Am Nachmittag Mrte mich Frau Konilnerzienrat über die Verhältnisse in ^. auf, besonders die in der arbeitenden Klasse. B. habe einen ausgedehnten Arbetter- stand, in dem viele Laster um sich gegriffen hätten, besonders die Trunksucht, ^am seien die Leute roh, undankbar und unzugänglich. Es sei also ein rechtes Arbeits¬ feld für eine Lehrerin der Kleinsten gegeben. Sie bemühe sich seit Jahren, die Leute uach Kräfte« zu erziehen, könne aber leider nicht selbst in die Häuser gehen und freue sich, nun in mir fortan eine Hilfe für ihre Bestrebungen zu haben. Frau Hahn forderte mich auf, wenn ich des Rates und der Hilfe bedürfte, Mich stets an sie zu wenden, dn sie die Leute genau kenne und am ersten. Auskunft geben könne. Schließlich trug sie mir auf, den verschiednen Familien des Frauen- Vereins Besuche zu machen, da der Frauenverein sehr thätig und aufopfernd bei der Einrichtung meines Wohnzimmers, wie auch der Klasse gewesen sei. Sie net mir, das Danken, nicht zu vergessen. Als ich in meinem Stübchen saß, ließ ich das Gehörte an meiner Seele vorüberziehe». Es war so manches dabei, das mir zu denken gab. Frau Hahn sprach von den Armen immer nur wie von einer besondern Menschenklasse oder einen: besondern Menschenschlag; das gab eine tiefe Kluft zwischen ihr und ihnen. Kein Hauch des Erbarmens war mir ans ihren Worten cutgegengekluugen. Dann gab sie zu, daß sie nie selbst die Arbeiterhäuser aufsuche, und doch wollte sie sie kennen! Mir schien, sie kannte sie nicht und liebte sie auch nicht, eben weil sie sie nicht kannte. Aber warum widmete sie dann ihre Zeit den Notleidenden? ^>es fand auf diese Frage keine Antwort. ^vDie Schule nahm ihren Anfang, doch befremdete es mich, wie spärlich tue Kinder gemeldet wurden. Die meisten Mütter arbeiteten doch außer dem Hause und mußten. meiner Ansicht nach, froh sein, ihre Kinder für ein geringes Geld der Obhut der Schule anvertrauen zu können. Ich war schon mehrere Wochen w Orte, und kaum war die halbe Klasse gefüllt. Diese mallgelhafte That.gtelt befriedigte mich nicht. Befremdet fragte ich eine der Mütter nach der Ursache diefer Teilnahmlosigkeit. Nach minutenlangem Zögern entgegnete die Frau: „Das kommt daher, weil Kommerzienrath die Schule haben; die hat keiner gern, und die armen Leute mögen auch nichts mit ihnen zu thun haben." Aber weshalb denn mcyt, fragte ich verwundert. „Frau Hahn hat nie ein freundliches Wort für die ^eure f'e tritt alleu so stolz gegenüber und imiuer findet sie etwas zu schelten, tap Inpr sich keines gern, gefallen)' Nach einer Pause fuhr sie fort: „Die Leute dachten »se. Sie wären auch so, Fräulein, lind darum wollte keiner 'ran mit der <sehn c, "ber jetzt heißt es. Sie Wären für die Armen bedacht, und um wollen sie ane do Kinder bringen." Es ist doch nicht recht von den Leuten, so von Kommerzlen- r"es zu denken', da sie jn für die Armen sorgen, entgegnete ich ernst. >t)u Angeredete machte mir eine lebhafte Bewegung, näher zu komme«. „Aau '^mmerzienrat ist die Erste im Fra«e«verein, ««d da muß sie ja schon ,v thun, °!s ob sie svrqte," sagte sie bitter erregt. „Doch glauben Sie mir, kosten darf dle Sache nicht viel, dazu ist sie zu geizig. Sie giebt, aber es ist auch darmich und wenn davon ein Kranker bestehen sollte, so würde er nicht we.t kommen, ^un haben sie allerdings die Schule eingerichtet. aber warum? Nur um sich einen u"neu zu machen, von ihnen kommt dazu das welligste Geld. Sie bescheren zu ^brachten auch deu arnum Kindern, doch die es bedürftig sind, die wegen nchts Da wird alles darnach verteilt, wie die Meiern Bescheid bringt, und die wendet Grenzboten II 1890

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/481>, abgerufen am 29.12.2024.