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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Schopenhauer und Richard Ivagner

nachgemacht worden, das letztere sogar einschließlich öffentlichen, englischerseits
amtlich streng bewachten Begräbnisses. Auch an wahnsinniger Verehrung für
Hungernde, für die Hypnose, für die Ekstase hat es neuerdings selbst in Berlin,
Newhork mit anderwärts nicht gefehlt. In der indischen Kultur war dies
immerhin ein Mittel, fiir wenige besonders Begnadigte, durch einiges Wehe
etwa hindurch, wie es die Entsagungen, bis sie Gewohnheit geworden waren,
mit sich brachten, zu der Erhabenheit über Wohl und Wehe, über den Unter¬
schied von Gut und Böse, anch von Gut und Schlimm hinweg zu kommen.
Die Menschen ließen deu Fakir in Ruhe, und gegen die Forderungen der
Natur machte er sich, vom Klima begünstigt, unempfindlich; dazu wurde die
öffentliche Verehrung und die damit verbundene Macht doch wohl im Stillen
als Erleichterung empfunden.

In der europäischen Kultur war bis auf die Zeit der pessimistischen Kunst¬
werke die Kunst das Mittel, sich von der Misere des Lebens und seiner All¬
täglichkeit, seiner Schwere und seinem Ernst aufzuspannen, zu befreien, nicht
auf Lebenszeit freilich, sondern auf Stunden und auf eine unterhaltendere Art,
sodaß diese Stunden erleichternd ans das Leben in Summa weiter wirken
konnten. Und diese Wohlthat ist nicht fiir wenige Begnadigte, sondern für die
doch große Zahl der künstlerisch gennßfühigen zugänglich; zu diesen sich zu
gesellen, unterliegt nicht so strengen Bedingungen, wie das Sterben im Leben,
das Begehren nach Nirwana. Die Kunst ist aber natürlich nicht eine Ver¬
besserung des Pessimismus, wie man sie etwa wegen des tragischen Kunst¬
werkes auffassen könnte, sondern toto gsners von ihm verschieden. Ihre Grund¬
lage "ut auch ihr Ziel ist Heiterkeit. Sie steigt noch heute vom Muninn
der Menge zur Maritas der feinern Menschen und von da zur Lorouitas der
Weisen und Edelsten durch mannichfache Stufen hinauf, und zwar auch bis
"ber den Unterschied von Wohl und Wehe, Lust und Leid, selbst über den von
Gut und Böse. Noch das vorige Jahrhundert hatte ganz allgemein die Vor¬
stellung, daß Heiterkeit ein Vorzug, eine Kraft und Sache des vornehmen
Menschen sei. Der Fürst, ob er dabei Mitleid empfand oder nicht, mußte dem
Einzelnen, auch wohl ganzen Klassen, Städten u. s. f. Leid zufügen können; die
Höhe, auf der er stand, das Durchschauen menschlicher Beweggründe, das
Überschauen wechselnden Mcnschenschicksals sollte ihn über Wohl und Wehe,
über Lust und Leid, auch über das gewöhnlich fiir gut oder böse gehaltene
stellen. Macchiavell klang noch nach. Daß man die Sorge für das eigne
Wohl hinsichtlich der Wohnung, Nahrung, Kleidung, der Gesundheit, des Ver¬
gnügens, deu Kriegsfall ausgenommen, in einem Maße, das jeden höchsten
Wunsch befriedigt, dem Fürsten abnimmt/ hat noch heute den Sinn nicht, ihm
ein Mu<Zom zu machen, sondern man will damit seinen Blick und Sinn vor
allem frei machen für das öffentliche Wohl, zu dessen Besorgung die Uner¬
schütterlichkeit gehört, die von jenen Unterschieden nicht angefochten wird, wozu


Schopenhauer und Richard Ivagner

nachgemacht worden, das letztere sogar einschließlich öffentlichen, englischerseits
amtlich streng bewachten Begräbnisses. Auch an wahnsinniger Verehrung für
Hungernde, für die Hypnose, für die Ekstase hat es neuerdings selbst in Berlin,
Newhork mit anderwärts nicht gefehlt. In der indischen Kultur war dies
immerhin ein Mittel, fiir wenige besonders Begnadigte, durch einiges Wehe
etwa hindurch, wie es die Entsagungen, bis sie Gewohnheit geworden waren,
mit sich brachten, zu der Erhabenheit über Wohl und Wehe, über den Unter¬
schied von Gut und Böse, anch von Gut und Schlimm hinweg zu kommen.
Die Menschen ließen deu Fakir in Ruhe, und gegen die Forderungen der
Natur machte er sich, vom Klima begünstigt, unempfindlich; dazu wurde die
öffentliche Verehrung und die damit verbundene Macht doch wohl im Stillen
als Erleichterung empfunden.

In der europäischen Kultur war bis auf die Zeit der pessimistischen Kunst¬
werke die Kunst das Mittel, sich von der Misere des Lebens und seiner All¬
täglichkeit, seiner Schwere und seinem Ernst aufzuspannen, zu befreien, nicht
auf Lebenszeit freilich, sondern auf Stunden und auf eine unterhaltendere Art,
sodaß diese Stunden erleichternd ans das Leben in Summa weiter wirken
konnten. Und diese Wohlthat ist nicht fiir wenige Begnadigte, sondern für die
doch große Zahl der künstlerisch gennßfühigen zugänglich; zu diesen sich zu
gesellen, unterliegt nicht so strengen Bedingungen, wie das Sterben im Leben,
das Begehren nach Nirwana. Die Kunst ist aber natürlich nicht eine Ver¬
besserung des Pessimismus, wie man sie etwa wegen des tragischen Kunst¬
werkes auffassen könnte, sondern toto gsners von ihm verschieden. Ihre Grund¬
lage »ut auch ihr Ziel ist Heiterkeit. Sie steigt noch heute vom Muninn
der Menge zur Maritas der feinern Menschen und von da zur Lorouitas der
Weisen und Edelsten durch mannichfache Stufen hinauf, und zwar auch bis
"ber den Unterschied von Wohl und Wehe, Lust und Leid, selbst über den von
Gut und Böse. Noch das vorige Jahrhundert hatte ganz allgemein die Vor¬
stellung, daß Heiterkeit ein Vorzug, eine Kraft und Sache des vornehmen
Menschen sei. Der Fürst, ob er dabei Mitleid empfand oder nicht, mußte dem
Einzelnen, auch wohl ganzen Klassen, Städten u. s. f. Leid zufügen können; die
Höhe, auf der er stand, das Durchschauen menschlicher Beweggründe, das
Überschauen wechselnden Mcnschenschicksals sollte ihn über Wohl und Wehe,
über Lust und Leid, auch über das gewöhnlich fiir gut oder böse gehaltene
stellen. Macchiavell klang noch nach. Daß man die Sorge für das eigne
Wohl hinsichtlich der Wohnung, Nahrung, Kleidung, der Gesundheit, des Ver¬
gnügens, deu Kriegsfall ausgenommen, in einem Maße, das jeden höchsten
Wunsch befriedigt, dem Fürsten abnimmt/ hat noch heute den Sinn nicht, ihm
ein Mu<Zom zu machen, sondern man will damit seinen Blick und Sinn vor
allem frei machen für das öffentliche Wohl, zu dessen Besorgung die Uner¬
schütterlichkeit gehört, die von jenen Unterschieden nicht angefochten wird, wozu


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[0475] Schopenhauer und Richard Ivagner nachgemacht worden, das letztere sogar einschließlich öffentlichen, englischerseits amtlich streng bewachten Begräbnisses. Auch an wahnsinniger Verehrung für Hungernde, für die Hypnose, für die Ekstase hat es neuerdings selbst in Berlin, Newhork mit anderwärts nicht gefehlt. In der indischen Kultur war dies immerhin ein Mittel, fiir wenige besonders Begnadigte, durch einiges Wehe etwa hindurch, wie es die Entsagungen, bis sie Gewohnheit geworden waren, mit sich brachten, zu der Erhabenheit über Wohl und Wehe, über den Unter¬ schied von Gut und Böse, anch von Gut und Schlimm hinweg zu kommen. Die Menschen ließen deu Fakir in Ruhe, und gegen die Forderungen der Natur machte er sich, vom Klima begünstigt, unempfindlich; dazu wurde die öffentliche Verehrung und die damit verbundene Macht doch wohl im Stillen als Erleichterung empfunden. In der europäischen Kultur war bis auf die Zeit der pessimistischen Kunst¬ werke die Kunst das Mittel, sich von der Misere des Lebens und seiner All¬ täglichkeit, seiner Schwere und seinem Ernst aufzuspannen, zu befreien, nicht auf Lebenszeit freilich, sondern auf Stunden und auf eine unterhaltendere Art, sodaß diese Stunden erleichternd ans das Leben in Summa weiter wirken konnten. Und diese Wohlthat ist nicht fiir wenige Begnadigte, sondern für die doch große Zahl der künstlerisch gennßfühigen zugänglich; zu diesen sich zu gesellen, unterliegt nicht so strengen Bedingungen, wie das Sterben im Leben, das Begehren nach Nirwana. Die Kunst ist aber natürlich nicht eine Ver¬ besserung des Pessimismus, wie man sie etwa wegen des tragischen Kunst¬ werkes auffassen könnte, sondern toto gsners von ihm verschieden. Ihre Grund¬ lage »ut auch ihr Ziel ist Heiterkeit. Sie steigt noch heute vom Muninn der Menge zur Maritas der feinern Menschen und von da zur Lorouitas der Weisen und Edelsten durch mannichfache Stufen hinauf, und zwar auch bis "ber den Unterschied von Wohl und Wehe, Lust und Leid, selbst über den von Gut und Böse. Noch das vorige Jahrhundert hatte ganz allgemein die Vor¬ stellung, daß Heiterkeit ein Vorzug, eine Kraft und Sache des vornehmen Menschen sei. Der Fürst, ob er dabei Mitleid empfand oder nicht, mußte dem Einzelnen, auch wohl ganzen Klassen, Städten u. s. f. Leid zufügen können; die Höhe, auf der er stand, das Durchschauen menschlicher Beweggründe, das Überschauen wechselnden Mcnschenschicksals sollte ihn über Wohl und Wehe, über Lust und Leid, auch über das gewöhnlich fiir gut oder böse gehaltene stellen. Macchiavell klang noch nach. Daß man die Sorge für das eigne Wohl hinsichtlich der Wohnung, Nahrung, Kleidung, der Gesundheit, des Ver¬ gnügens, deu Kriegsfall ausgenommen, in einem Maße, das jeden höchsten Wunsch befriedigt, dem Fürsten abnimmt/ hat noch heute den Sinn nicht, ihm ein Mu<Zom zu machen, sondern man will damit seinen Blick und Sinn vor allem frei machen für das öffentliche Wohl, zu dessen Besorgung die Uner¬ schütterlichkeit gehört, die von jenen Unterschieden nicht angefochten wird, wozu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/475>, abgerufen am 22.07.2024.