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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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das aus den Einkünften entnommen wurde. So jener Jaaues de Crvh, Bischof
von Cambrai, im fünfzehnten Jahrhundert, der als zärtlicher Vater in einer
Krankheit nicht allein seine schon vorhandenen Kinder reichlich bedachte, sondern
auch noch ein ansehnliches Kapital aussetzte für die Kinder, die er noch zu
zeugen gedachte, wenn Gott ihm in Gnaden die Gesundheit wiederschenke. Die
sittliche und die kirchlich-religiöse Seite der Sache ziehen wir hier nicht in
Betracht; in ökonomischer Beziehung wirkte die Einrichtung vortrefflich. Auch
Luther wollte die zur Versorgung uachgeborner Söhne und unverheirateter
Töchter gegründeten Stifte erhalten wissen. Das Abkommen Kaiser Heinrichs V.
mit Papst Paschalis II., wonach der Kaiser das Kirchenvermögen einziehen,
der Papst das Jnvestiturrecht erhalten, und die Geistlichkeit auf Zehnten und
Almosen angewiesen werden sollte, scheiterte an dein Widersprüche des deutschen
Adels, der das Kirchenvermögen als sein Vermögen ansah.

Und damit waren die Auswege uicht erschöpft. Mau hatte noch Italien.
Bei jedem Römerzuge blieben in dem schönen Lande eine Anzahl Herren zurück,
die teils mit Kircheupfründen, teils mit den Lehnsgütern gefallener oder ver¬
jagter "Rebellen" versorgt, teils als kaiserliche Vikare angestellt wurden, deren
Besoldung die reichen Städte aufzubringen hatten. Später fanden noch viele
Deutsche, denen die Heimat zu enge ward, als Söldner und Söldnerhauptleute
in Italien ihr schönes Brot bei einer mehr lustigen als gefährlichen Kriegs¬
führung. Und wie viele kamen in den Kreuzzügen um, oder gründeten sich
auch Herrschaften im Orient, die freilich nicht lange Bestand hatten! Rechnet
man dazu die anstrengende, unbequeme und oft zügellose Lebensweise, die nur
wenige der ritterlichen Herren zu hohen Jahren kommen ließ, bedenkt man
ferner, daß deutsche Kolonisten noch weit hinaus über das eroberte Neudeutsch¬
land droben am baltischen Meer und drunten bis in die transsilvanischen Alpen
hinein Vorposten anlegten, so wird man begreifen, daß den Grundherren jener
Zeit die Versorgung einer zahlreichen Nachkommenschaft kein Kopfzerbrechen
verursachte. Schließlich siedelte auch noch ein Teil des Adels in die auf¬
blühenden. Städte über und erschloß sich in den angesehenen Gewerben der
Kaufleute und Wechsler neue Quellen des Wohlstandes.

Trotzdem war um 1500 das Land bereits in dem Grade gefüllt und ver¬
teilt, daß der Grundadel von der damals eintretenden wirtschaftlichen Krisis
nicht unberührt blieb. Von einem verschuldeten Adelsgeschlecht erwarb damals
die Stadt Görlitz ihre großen Forsten. Die Säkularisation half für den Augen¬
blick -- auf Kosten der Zukunft; das römische Recht half dem Adel -- ans
Kosten der Bauern. Endlich wurde das ganze an Blutüberfluß leidende Volk
einer Eisenbartkur unterworfen in eiuer Reihe furchtbarer Kriege. Ehe es sich
von dem dreißigjährigen erholt hatte, folgten weitere Aderlässe in den dyna¬
stischen Kriegen des achtzehnten Jahrhunderts, in den Revolutions-, den napo-
leonischen und den Befreiungskriegen.


das aus den Einkünften entnommen wurde. So jener Jaaues de Crvh, Bischof
von Cambrai, im fünfzehnten Jahrhundert, der als zärtlicher Vater in einer
Krankheit nicht allein seine schon vorhandenen Kinder reichlich bedachte, sondern
auch noch ein ansehnliches Kapital aussetzte für die Kinder, die er noch zu
zeugen gedachte, wenn Gott ihm in Gnaden die Gesundheit wiederschenke. Die
sittliche und die kirchlich-religiöse Seite der Sache ziehen wir hier nicht in
Betracht; in ökonomischer Beziehung wirkte die Einrichtung vortrefflich. Auch
Luther wollte die zur Versorgung uachgeborner Söhne und unverheirateter
Töchter gegründeten Stifte erhalten wissen. Das Abkommen Kaiser Heinrichs V.
mit Papst Paschalis II., wonach der Kaiser das Kirchenvermögen einziehen,
der Papst das Jnvestiturrecht erhalten, und die Geistlichkeit auf Zehnten und
Almosen angewiesen werden sollte, scheiterte an dein Widersprüche des deutschen
Adels, der das Kirchenvermögen als sein Vermögen ansah.

Und damit waren die Auswege uicht erschöpft. Mau hatte noch Italien.
Bei jedem Römerzuge blieben in dem schönen Lande eine Anzahl Herren zurück,
die teils mit Kircheupfründen, teils mit den Lehnsgütern gefallener oder ver¬
jagter „Rebellen" versorgt, teils als kaiserliche Vikare angestellt wurden, deren
Besoldung die reichen Städte aufzubringen hatten. Später fanden noch viele
Deutsche, denen die Heimat zu enge ward, als Söldner und Söldnerhauptleute
in Italien ihr schönes Brot bei einer mehr lustigen als gefährlichen Kriegs¬
führung. Und wie viele kamen in den Kreuzzügen um, oder gründeten sich
auch Herrschaften im Orient, die freilich nicht lange Bestand hatten! Rechnet
man dazu die anstrengende, unbequeme und oft zügellose Lebensweise, die nur
wenige der ritterlichen Herren zu hohen Jahren kommen ließ, bedenkt man
ferner, daß deutsche Kolonisten noch weit hinaus über das eroberte Neudeutsch¬
land droben am baltischen Meer und drunten bis in die transsilvanischen Alpen
hinein Vorposten anlegten, so wird man begreifen, daß den Grundherren jener
Zeit die Versorgung einer zahlreichen Nachkommenschaft kein Kopfzerbrechen
verursachte. Schließlich siedelte auch noch ein Teil des Adels in die auf¬
blühenden. Städte über und erschloß sich in den angesehenen Gewerben der
Kaufleute und Wechsler neue Quellen des Wohlstandes.

Trotzdem war um 1500 das Land bereits in dem Grade gefüllt und ver¬
teilt, daß der Grundadel von der damals eintretenden wirtschaftlichen Krisis
nicht unberührt blieb. Von einem verschuldeten Adelsgeschlecht erwarb damals
die Stadt Görlitz ihre großen Forsten. Die Säkularisation half für den Augen¬
blick — auf Kosten der Zukunft; das römische Recht half dem Adel — ans
Kosten der Bauern. Endlich wurde das ganze an Blutüberfluß leidende Volk
einer Eisenbartkur unterworfen in eiuer Reihe furchtbarer Kriege. Ehe es sich
von dem dreißigjährigen erholt hatte, folgten weitere Aderlässe in den dyna¬
stischen Kriegen des achtzehnten Jahrhunderts, in den Revolutions-, den napo-
leonischen und den Befreiungskriegen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/455>, abgerufen am 22.07.2024.