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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Tendenzromaiie

Abgeordnete aller europäischen Regierungen in Berlin gemeinsam berate"
werden. Aber noch ist die Zeit nicht da, und darum hat es immerhin seine
Berechtigung, wenn eine großherzige Frau mit Begeisterung und Talent den
kriegerischen Sinn in dieser den Frieden liebenden Zeit bekämpft. Denn mit
diesem Werke erfüllt sie uur die Sendung des Weibes wie des Dichters: der
Liebe den Weg zu bahnen, die Geister zu reinigen und die Herzen zu läutern.

Diesen kriegerischen Geist in allen seinen Formen, in der praktischen Politik,
in der Geschichtswissenschaft, in der Erziehung der Jugend, in der Schätzung
der Stande, in der Diplomatie bekämpft dialektisch und poetisch Verthn von
Snttner. Sie wendet sich an unsern Verstand, an unser Herz, an unsre
Nächsten- und Familienliebe, an unsre Phantasie, um uus den Jammer und
die Barbarei des Krieges recht gründlich zu Gemüte zu führen. Gegen dieses
Unternehmen ist nichts einzuwenden. Die Verfasserin hat für die Darstellung
ihrer Tendenz auch keine üble Fabel erfunden. Ihr Buch teilt uns die von
der Baronin Martha Tilliug, der Gattin eines österreichischen Oberstleutnants,
hinterlassenen Erinnerungen mit. Martha ist die Tochter eines hohen öster¬
reichischen Offiziers, des Grafen Althaus, der unter Rndetzkhs ruhmreicher
Führung 1848 in Oberitalien mitgefochten hat und im Gegensatz zu seiner
Tochter an den kriegerischen Überlieferungen des alten österreichischen Adels
festhält. Mit achtzehn Jahren heiratet Martha einen Hnsnrenvberlentnnnt, der
1859 nach kaum einjähriger Ehe bei Magenta füllt. Nach vierjähriger Witwen-
krciner heiratet die sehr begreiflicherweise inzwischen zur grimmigsten Kriegs¬
feindin gewordene Martha den leidenschaftlich geliebten Baron Tilling, wieder
einen Soldaten, und nun kommt sie aus dem Kriegsjammer nicht heraus.
Tilling muß 1864 in den Krieg nach Schleswig-Holstein gerade in dem Augen¬
blick, wo sich seiue Frau in Geburtswehen krümmt. Dann muß er 1866 in
böhmischen Krieg, und den Winter 1870/71 verleben beide gar in der
Belagerung von Paris, wo der Oberst Tilling ruchloserweise von Kom¬
munarden erschossen wird. Diese Schicksale einer Soldatenfrau siud allerdings
geeignet, uus den Krieg in seiner furchtbarsten Gestalt vorzustellen. Aber mit
Darstellung dieser Fabel begnügt sich die Snttner nicht. Wir machen
"lebt bloß jedesmal die gewaltige Aufregung und Angst vor, während und
nach dem Kriege mit durch, die Martha um daS Schicksal ihres Gatten erlebt,
^ir werden auch auf die Schlachtfelder von Königgrütz geführt und müssen
Schreien der Verwundeten hören, die entsetzlichen Begleiterscheinungen der
flacht alle mit ansehen. Es wird uns nichts erspart. Auch in der Friedens-
^ wird ohne Unterlaß nnr vom Kriege gesprochen, und wir müssen alle
Meinungen für oder gegen ihn anhören. Frau von Suttuer hat alles litte-
^Rhede GesH^ gegen den Krieg vorgeführt, das nur erreichbar war, und wie
unsre Ohren von dem Donner der Kanonen bis zur Taubheit bestürmt werden,
^ bestürmt sie unser Gemüt bis zur Unempfänglichkeit mit Beweisgründen


Tendenzromaiie

Abgeordnete aller europäischen Regierungen in Berlin gemeinsam berate»
werden. Aber noch ist die Zeit nicht da, und darum hat es immerhin seine
Berechtigung, wenn eine großherzige Frau mit Begeisterung und Talent den
kriegerischen Sinn in dieser den Frieden liebenden Zeit bekämpft. Denn mit
diesem Werke erfüllt sie uur die Sendung des Weibes wie des Dichters: der
Liebe den Weg zu bahnen, die Geister zu reinigen und die Herzen zu läutern.

Diesen kriegerischen Geist in allen seinen Formen, in der praktischen Politik,
in der Geschichtswissenschaft, in der Erziehung der Jugend, in der Schätzung
der Stande, in der Diplomatie bekämpft dialektisch und poetisch Verthn von
Snttner. Sie wendet sich an unsern Verstand, an unser Herz, an unsre
Nächsten- und Familienliebe, an unsre Phantasie, um uus den Jammer und
die Barbarei des Krieges recht gründlich zu Gemüte zu führen. Gegen dieses
Unternehmen ist nichts einzuwenden. Die Verfasserin hat für die Darstellung
ihrer Tendenz auch keine üble Fabel erfunden. Ihr Buch teilt uns die von
der Baronin Martha Tilliug, der Gattin eines österreichischen Oberstleutnants,
hinterlassenen Erinnerungen mit. Martha ist die Tochter eines hohen öster¬
reichischen Offiziers, des Grafen Althaus, der unter Rndetzkhs ruhmreicher
Führung 1848 in Oberitalien mitgefochten hat und im Gegensatz zu seiner
Tochter an den kriegerischen Überlieferungen des alten österreichischen Adels
festhält. Mit achtzehn Jahren heiratet Martha einen Hnsnrenvberlentnnnt, der
1859 nach kaum einjähriger Ehe bei Magenta füllt. Nach vierjähriger Witwen-
krciner heiratet die sehr begreiflicherweise inzwischen zur grimmigsten Kriegs¬
feindin gewordene Martha den leidenschaftlich geliebten Baron Tilling, wieder
einen Soldaten, und nun kommt sie aus dem Kriegsjammer nicht heraus.
Tilling muß 1864 in den Krieg nach Schleswig-Holstein gerade in dem Augen¬
blick, wo sich seiue Frau in Geburtswehen krümmt. Dann muß er 1866 in
böhmischen Krieg, und den Winter 1870/71 verleben beide gar in der
Belagerung von Paris, wo der Oberst Tilling ruchloserweise von Kom¬
munarden erschossen wird. Diese Schicksale einer Soldatenfrau siud allerdings
geeignet, uus den Krieg in seiner furchtbarsten Gestalt vorzustellen. Aber mit
Darstellung dieser Fabel begnügt sich die Snttner nicht. Wir machen
"lebt bloß jedesmal die gewaltige Aufregung und Angst vor, während und
nach dem Kriege mit durch, die Martha um daS Schicksal ihres Gatten erlebt,
^ir werden auch auf die Schlachtfelder von Königgrütz geführt und müssen
Schreien der Verwundeten hören, die entsetzlichen Begleiterscheinungen der
flacht alle mit ansehen. Es wird uns nichts erspart. Auch in der Friedens-
^ wird ohne Unterlaß nnr vom Kriege gesprochen, und wir müssen alle
Meinungen für oder gegen ihn anhören. Frau von Suttuer hat alles litte-
^Rhede GesH^ gegen den Krieg vorgeführt, das nur erreichbar war, und wie
unsre Ohren von dem Donner der Kanonen bis zur Taubheit bestürmt werden,
^ bestürmt sie unser Gemüt bis zur Unempfänglichkeit mit Beweisgründen


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[0043] Tendenzromaiie Abgeordnete aller europäischen Regierungen in Berlin gemeinsam berate» werden. Aber noch ist die Zeit nicht da, und darum hat es immerhin seine Berechtigung, wenn eine großherzige Frau mit Begeisterung und Talent den kriegerischen Sinn in dieser den Frieden liebenden Zeit bekämpft. Denn mit diesem Werke erfüllt sie uur die Sendung des Weibes wie des Dichters: der Liebe den Weg zu bahnen, die Geister zu reinigen und die Herzen zu läutern. Diesen kriegerischen Geist in allen seinen Formen, in der praktischen Politik, in der Geschichtswissenschaft, in der Erziehung der Jugend, in der Schätzung der Stande, in der Diplomatie bekämpft dialektisch und poetisch Verthn von Snttner. Sie wendet sich an unsern Verstand, an unser Herz, an unsre Nächsten- und Familienliebe, an unsre Phantasie, um uus den Jammer und die Barbarei des Krieges recht gründlich zu Gemüte zu führen. Gegen dieses Unternehmen ist nichts einzuwenden. Die Verfasserin hat für die Darstellung ihrer Tendenz auch keine üble Fabel erfunden. Ihr Buch teilt uns die von der Baronin Martha Tilliug, der Gattin eines österreichischen Oberstleutnants, hinterlassenen Erinnerungen mit. Martha ist die Tochter eines hohen öster¬ reichischen Offiziers, des Grafen Althaus, der unter Rndetzkhs ruhmreicher Führung 1848 in Oberitalien mitgefochten hat und im Gegensatz zu seiner Tochter an den kriegerischen Überlieferungen des alten österreichischen Adels festhält. Mit achtzehn Jahren heiratet Martha einen Hnsnrenvberlentnnnt, der 1859 nach kaum einjähriger Ehe bei Magenta füllt. Nach vierjähriger Witwen- krciner heiratet die sehr begreiflicherweise inzwischen zur grimmigsten Kriegs¬ feindin gewordene Martha den leidenschaftlich geliebten Baron Tilling, wieder einen Soldaten, und nun kommt sie aus dem Kriegsjammer nicht heraus. Tilling muß 1864 in den Krieg nach Schleswig-Holstein gerade in dem Augen¬ blick, wo sich seiue Frau in Geburtswehen krümmt. Dann muß er 1866 in böhmischen Krieg, und den Winter 1870/71 verleben beide gar in der Belagerung von Paris, wo der Oberst Tilling ruchloserweise von Kom¬ munarden erschossen wird. Diese Schicksale einer Soldatenfrau siud allerdings geeignet, uus den Krieg in seiner furchtbarsten Gestalt vorzustellen. Aber mit Darstellung dieser Fabel begnügt sich die Snttner nicht. Wir machen "lebt bloß jedesmal die gewaltige Aufregung und Angst vor, während und nach dem Kriege mit durch, die Martha um daS Schicksal ihres Gatten erlebt, ^ir werden auch auf die Schlachtfelder von Königgrütz geführt und müssen Schreien der Verwundeten hören, die entsetzlichen Begleiterscheinungen der flacht alle mit ansehen. Es wird uns nichts erspart. Auch in der Friedens- ^ wird ohne Unterlaß nnr vom Kriege gesprochen, und wir müssen alle Meinungen für oder gegen ihn anhören. Frau von Suttuer hat alles litte- ^Rhede GesH^ gegen den Krieg vorgeführt, das nur erreichbar war, und wie unsre Ohren von dem Donner der Kanonen bis zur Taubheit bestürmt werden, ^ bestürmt sie unser Gemüt bis zur Unempfänglichkeit mit Beweisgründen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/43>, abgerufen am 22.07.2024.