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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Bedingen und andre Modewörter

hergehen oder vorausgehen sagte man wohl mich früher schon in
dichterisch oder rednerisch gehobener Sprache vorausgehen, für annehmen,
wenn man sich recht feierlich ausdrücken wollte, entgegennehmen. Jetzt sind
aus beiden reine Modewörter geworden. Die Zeitungen reden von der der
deutschen Gewerbeordnung voraufgegangenen preußischen Gewerbeordnung,
und Geldbeiträge für öffentliche Sammlungen, Anmeldungen neuer sehen
ter, Inserate für die nächste Beilage werden nur noch entgegengenom¬
men. Immer großartig! In den Zeitungsberichten über "stattgefundene"
Gerichtsverhandlungen ist seit einigen Jahren das dumme Wort Vorstrafen
Mode geworden, einer hats immer dem andern nachgeschrieben, ohne einmal
über den Unsinn nachzudenken. Täglich kaun man lesen, daß ein schon zehn-
mal vorbestrafter Kellner oder ein schon funfzehnmal vorbestrafter
Riemergeselle abermals auf der Anklagebank gesessen hat. Was ist denn das
für eine besondre Art von Strafen: Vorstrafen? Was Vorgeschmack,
Vorgeschichte, Vorfrühling, Voressen ist, weiß ich; aber Vorstrafe"?
Wenn jemand, ehe er geköpft wird, eine Stunde lang mit glühenden Zangen
gezwickt würde, das könnte man eine Vorstrafe nennen. Aber so etwas
meinen doch die Herren ^öwensteiu und Rosenbaum nicht, wenn sie über Ge¬
richtsverhandlungen berichten. Sie denken sich eben offenbar gar nichts dabei.
Das Vorstrafen gehört jetzt ebensogut in ihren Nepvrterphrasensack, wie
hunderterlei andres auch: die Feier fand programmmäßig statt -- der
Kaiser schritt die Front der Ehrenkvmpagnie ab -- die Versammlung drückte
ihre Teilnahme durch Erheben von den Sitzen aus (was erhoben sie
denn?) -- der Zug setzte sich unter Vvrantritt eines Musikchors in Be¬
wegung u. ahnt. Herrliches Wort, dieses Vorantritt! Der Erfinder ver¬
diente einen Hinterhertritt. Ganz widerwärtig ist für einen, der dann und
wann noch einmal seinen Messing, Goethe und Schiller aufschlägt, das neu¬
modische fortlassen und fortfallen für weglassen und wegfallen. Es
scheint aus Berlin zu stammen, greift aber anch in Mitteldeutschland jetzt
immer mehr um sich. Früher unterschied man deutlich zwischen fort und
weg; fort bezeichnete die Bewegung nach einem Ziele, weg das Verschwinden,
ohne Ziel. Jetzt ist es sein, zu sagen: die lyrischen Stellen hat Wieland
einfach fortgelassen -- wo hat er sie denn hingelassen? Von neuen Jahr
an fällt diese Vestimmnng fort -- wo fällt sie denn hin?

Daß die Sprachmode wie die Kleidermode auch deu Schwulst liebt, ist
kein Wunder. Geld wird jetzt nicht mehr eingenommen und ausgegeben,
sondern nur uoch vereinnahmt und verausgabt. Ein befähigter Mensch
heißt nicht mehr glücklich augelegt, sondern nnr noch veranlagt. Aber
anch das gehört zu den Kennzeichen der heutigen Sprachmvde, daß sie da,
wo man früher ein Wort mit übertragener Bedeutung brauchte, jetzt Ausdrücke
mit möglichst sinnlicher Bedeutung verlangt. Die Fähigkeit, sich etwas vor-


Bedingen und andre Modewörter

hergehen oder vorausgehen sagte man wohl mich früher schon in
dichterisch oder rednerisch gehobener Sprache vorausgehen, für annehmen,
wenn man sich recht feierlich ausdrücken wollte, entgegennehmen. Jetzt sind
aus beiden reine Modewörter geworden. Die Zeitungen reden von der der
deutschen Gewerbeordnung voraufgegangenen preußischen Gewerbeordnung,
und Geldbeiträge für öffentliche Sammlungen, Anmeldungen neuer sehen
ter, Inserate für die nächste Beilage werden nur noch entgegengenom¬
men. Immer großartig! In den Zeitungsberichten über „stattgefundene"
Gerichtsverhandlungen ist seit einigen Jahren das dumme Wort Vorstrafen
Mode geworden, einer hats immer dem andern nachgeschrieben, ohne einmal
über den Unsinn nachzudenken. Täglich kaun man lesen, daß ein schon zehn-
mal vorbestrafter Kellner oder ein schon funfzehnmal vorbestrafter
Riemergeselle abermals auf der Anklagebank gesessen hat. Was ist denn das
für eine besondre Art von Strafen: Vorstrafen? Was Vorgeschmack,
Vorgeschichte, Vorfrühling, Voressen ist, weiß ich; aber Vorstrafe»?
Wenn jemand, ehe er geköpft wird, eine Stunde lang mit glühenden Zangen
gezwickt würde, das könnte man eine Vorstrafe nennen. Aber so etwas
meinen doch die Herren ^öwensteiu und Rosenbaum nicht, wenn sie über Ge¬
richtsverhandlungen berichten. Sie denken sich eben offenbar gar nichts dabei.
Das Vorstrafen gehört jetzt ebensogut in ihren Nepvrterphrasensack, wie
hunderterlei andres auch: die Feier fand programmmäßig statt — der
Kaiser schritt die Front der Ehrenkvmpagnie ab — die Versammlung drückte
ihre Teilnahme durch Erheben von den Sitzen aus (was erhoben sie
denn?) — der Zug setzte sich unter Vvrantritt eines Musikchors in Be¬
wegung u. ahnt. Herrliches Wort, dieses Vorantritt! Der Erfinder ver¬
diente einen Hinterhertritt. Ganz widerwärtig ist für einen, der dann und
wann noch einmal seinen Messing, Goethe und Schiller aufschlägt, das neu¬
modische fortlassen und fortfallen für weglassen und wegfallen. Es
scheint aus Berlin zu stammen, greift aber anch in Mitteldeutschland jetzt
immer mehr um sich. Früher unterschied man deutlich zwischen fort und
weg; fort bezeichnete die Bewegung nach einem Ziele, weg das Verschwinden,
ohne Ziel. Jetzt ist es sein, zu sagen: die lyrischen Stellen hat Wieland
einfach fortgelassen — wo hat er sie denn hingelassen? Von neuen Jahr
an fällt diese Vestimmnng fort — wo fällt sie denn hin?

Daß die Sprachmode wie die Kleidermode auch deu Schwulst liebt, ist
kein Wunder. Geld wird jetzt nicht mehr eingenommen und ausgegeben,
sondern nur uoch vereinnahmt und verausgabt. Ein befähigter Mensch
heißt nicht mehr glücklich augelegt, sondern nnr noch veranlagt. Aber
anch das gehört zu den Kennzeichen der heutigen Sprachmvde, daß sie da,
wo man früher ein Wort mit übertragener Bedeutung brauchte, jetzt Ausdrücke
mit möglichst sinnlicher Bedeutung verlangt. Die Fähigkeit, sich etwas vor-


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[0424] Bedingen und andre Modewörter hergehen oder vorausgehen sagte man wohl mich früher schon in dichterisch oder rednerisch gehobener Sprache vorausgehen, für annehmen, wenn man sich recht feierlich ausdrücken wollte, entgegennehmen. Jetzt sind aus beiden reine Modewörter geworden. Die Zeitungen reden von der der deutschen Gewerbeordnung voraufgegangenen preußischen Gewerbeordnung, und Geldbeiträge für öffentliche Sammlungen, Anmeldungen neuer sehen ter, Inserate für die nächste Beilage werden nur noch entgegengenom¬ men. Immer großartig! In den Zeitungsberichten über „stattgefundene" Gerichtsverhandlungen ist seit einigen Jahren das dumme Wort Vorstrafen Mode geworden, einer hats immer dem andern nachgeschrieben, ohne einmal über den Unsinn nachzudenken. Täglich kaun man lesen, daß ein schon zehn- mal vorbestrafter Kellner oder ein schon funfzehnmal vorbestrafter Riemergeselle abermals auf der Anklagebank gesessen hat. Was ist denn das für eine besondre Art von Strafen: Vorstrafen? Was Vorgeschmack, Vorgeschichte, Vorfrühling, Voressen ist, weiß ich; aber Vorstrafe»? Wenn jemand, ehe er geköpft wird, eine Stunde lang mit glühenden Zangen gezwickt würde, das könnte man eine Vorstrafe nennen. Aber so etwas meinen doch die Herren ^öwensteiu und Rosenbaum nicht, wenn sie über Ge¬ richtsverhandlungen berichten. Sie denken sich eben offenbar gar nichts dabei. Das Vorstrafen gehört jetzt ebensogut in ihren Nepvrterphrasensack, wie hunderterlei andres auch: die Feier fand programmmäßig statt — der Kaiser schritt die Front der Ehrenkvmpagnie ab — die Versammlung drückte ihre Teilnahme durch Erheben von den Sitzen aus (was erhoben sie denn?) — der Zug setzte sich unter Vvrantritt eines Musikchors in Be¬ wegung u. ahnt. Herrliches Wort, dieses Vorantritt! Der Erfinder ver¬ diente einen Hinterhertritt. Ganz widerwärtig ist für einen, der dann und wann noch einmal seinen Messing, Goethe und Schiller aufschlägt, das neu¬ modische fortlassen und fortfallen für weglassen und wegfallen. Es scheint aus Berlin zu stammen, greift aber anch in Mitteldeutschland jetzt immer mehr um sich. Früher unterschied man deutlich zwischen fort und weg; fort bezeichnete die Bewegung nach einem Ziele, weg das Verschwinden, ohne Ziel. Jetzt ist es sein, zu sagen: die lyrischen Stellen hat Wieland einfach fortgelassen — wo hat er sie denn hingelassen? Von neuen Jahr an fällt diese Vestimmnng fort — wo fällt sie denn hin? Daß die Sprachmode wie die Kleidermode auch deu Schwulst liebt, ist kein Wunder. Geld wird jetzt nicht mehr eingenommen und ausgegeben, sondern nur uoch vereinnahmt und verausgabt. Ein befähigter Mensch heißt nicht mehr glücklich augelegt, sondern nnr noch veranlagt. Aber anch das gehört zu den Kennzeichen der heutigen Sprachmvde, daß sie da, wo man früher ein Wort mit übertragener Bedeutung brauchte, jetzt Ausdrücke mit möglichst sinnlicher Bedeutung verlangt. Die Fähigkeit, sich etwas vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/424>, abgerufen am 22.07.2024.