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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Aufgabe der Gegenwart

oder einleuchtend ist. Dies geschieht durch das Zeugnis einer zweite" Person,
die darauf vereidigt ist, alles zu wissen. Das ist formell ganz schön und
richtig, aber wie oft wird hierbei Vernunft Unsinn! Was wird regiert, ge¬
schrieben, gefragt, geantwortet, und nur die Post hat den Nutzen davon.

Hier ein kleines Beispiel. In W. wird der Kircheuacker neu verpachtet.
Er bringt statt 5Ul Mark 515 Mark. Der Gemeindekirchenrat freut sich, seinen
Acker so gut angebracht zu haben, wenn auch 20 Mark sür den Morgen
nicht viel ist. Aber der Acker unterm Walde ist nicht besonders gut, und der
Zuckerkrach hat ein allgemeines Weichen der Pachte zur Folge gehabt. Unter
diesen Umständen zwei Mark mehr zu erhalten, ist eine erfreuliche Sache. Die
Kontrakte werden zur Genehmigung an die Regierung geschickt. Natürlich gilt
die Stimme der Mitglieder des Gemeindekirchenrats, angesehener Männer in
ihrer Gemeinde, in eigner Sache nichts. Dagegen ist das sachverständige Ur¬
teil des Amtsvorstehers, der ein paar Stunden von W. entfernt wohnt und
den Kirchenacker nie gesehen hat, auch nie sehen wird, unanfechtbar. Die Kon¬
trakte wandern zu dem Amtsvorsteher mit der Anfrage, ob 20 Mark für den
Morgen nicht zu billig sei. Der Amtsvorsteher fordert den Schulzen auf,
über die Verpachtung des Kirchenackers zu berichten. Der Schulze erwidert:
er habe den Acker nicht verpachtet, sondern der Gemeindekirchenrat. Nochmals
an den Schulzen: er solle sich gutachtlich äußern, ob 20 Mark für den Morgen
nicht zu billig sei, und wie hoch sich der Durchschnittsbetrag der Pachte belaufe.
Der Schulze, der selbst gepachtet hat, Hütte gern auch zwölf Mark für angemessen
gehalten. Um eine Antwort fertig zu bringen, geht er zum Herrn Pastor und
läßt sich die Sache klar machen. Man antwortet: 20 Mark seien angemessen,
der Durchschnittsbetrag der Pachte in der Flur sei 25 Mark. Zurück an
den Amtsvorsteher -- Laudrat -- Regierung. Zurück an den Gemeinde¬
kirchenrat: woher es komme, daß der Kirchenacker so billig verpachtet sei, da
der Durchschnittspreis 25 Mark betrage. Man mache sich klar, welchen Ein¬
druck eine solche Verfügung auf den Gemeindekirchenrat und auf die Gemeinde
machen muß! Der Pfarrer kaun die Partei der Behörde nicht nehmen, sondern
muß antworten: Weil nicht mehr geboten worden ist. Gemeindekirchenrat
würde königlicher Regierung' höchst dankbar sein, wenn sie eine höhere Ver¬
pachtung des Kirchenackers bewirken könnte. Nun erfolgt die Genehmigung.
Wozu also der ganze Umstand?

Es ist eine überaus bequeme Sache, formell zu entscheide!?, wobei man
sich um die praktische Wirkung nicht zu kümmern braucht; es ist aber zu einer
wirkungsvollen Verwaltung unerläßlich, daß die Sache niemals aus dem Auge
verloren werde. Wir haben Polizeivervrdnnngen über die äußere Heilighaltung
des Sonntags. Der Sinn dieser Verordnung ist doch die Einstellung der
Arbeit. Nun kann man alle Jahre sehen, daß zur Bestellzeit in gewissen
großen Domänen alle Sonntage mit allen Gespannen geankert wird. Wie ist


Die Aufgabe der Gegenwart

oder einleuchtend ist. Dies geschieht durch das Zeugnis einer zweite» Person,
die darauf vereidigt ist, alles zu wissen. Das ist formell ganz schön und
richtig, aber wie oft wird hierbei Vernunft Unsinn! Was wird regiert, ge¬
schrieben, gefragt, geantwortet, und nur die Post hat den Nutzen davon.

Hier ein kleines Beispiel. In W. wird der Kircheuacker neu verpachtet.
Er bringt statt 5Ul Mark 515 Mark. Der Gemeindekirchenrat freut sich, seinen
Acker so gut angebracht zu haben, wenn auch 20 Mark sür den Morgen
nicht viel ist. Aber der Acker unterm Walde ist nicht besonders gut, und der
Zuckerkrach hat ein allgemeines Weichen der Pachte zur Folge gehabt. Unter
diesen Umständen zwei Mark mehr zu erhalten, ist eine erfreuliche Sache. Die
Kontrakte werden zur Genehmigung an die Regierung geschickt. Natürlich gilt
die Stimme der Mitglieder des Gemeindekirchenrats, angesehener Männer in
ihrer Gemeinde, in eigner Sache nichts. Dagegen ist das sachverständige Ur¬
teil des Amtsvorstehers, der ein paar Stunden von W. entfernt wohnt und
den Kirchenacker nie gesehen hat, auch nie sehen wird, unanfechtbar. Die Kon¬
trakte wandern zu dem Amtsvorsteher mit der Anfrage, ob 20 Mark für den
Morgen nicht zu billig sei. Der Amtsvorsteher fordert den Schulzen auf,
über die Verpachtung des Kirchenackers zu berichten. Der Schulze erwidert:
er habe den Acker nicht verpachtet, sondern der Gemeindekirchenrat. Nochmals
an den Schulzen: er solle sich gutachtlich äußern, ob 20 Mark für den Morgen
nicht zu billig sei, und wie hoch sich der Durchschnittsbetrag der Pachte belaufe.
Der Schulze, der selbst gepachtet hat, Hütte gern auch zwölf Mark für angemessen
gehalten. Um eine Antwort fertig zu bringen, geht er zum Herrn Pastor und
läßt sich die Sache klar machen. Man antwortet: 20 Mark seien angemessen,
der Durchschnittsbetrag der Pachte in der Flur sei 25 Mark. Zurück an
den Amtsvorsteher — Laudrat — Regierung. Zurück an den Gemeinde¬
kirchenrat: woher es komme, daß der Kirchenacker so billig verpachtet sei, da
der Durchschnittspreis 25 Mark betrage. Man mache sich klar, welchen Ein¬
druck eine solche Verfügung auf den Gemeindekirchenrat und auf die Gemeinde
machen muß! Der Pfarrer kaun die Partei der Behörde nicht nehmen, sondern
muß antworten: Weil nicht mehr geboten worden ist. Gemeindekirchenrat
würde königlicher Regierung' höchst dankbar sein, wenn sie eine höhere Ver¬
pachtung des Kirchenackers bewirken könnte. Nun erfolgt die Genehmigung.
Wozu also der ganze Umstand?

Es ist eine überaus bequeme Sache, formell zu entscheide!?, wobei man
sich um die praktische Wirkung nicht zu kümmern braucht; es ist aber zu einer
wirkungsvollen Verwaltung unerläßlich, daß die Sache niemals aus dem Auge
verloren werde. Wir haben Polizeivervrdnnngen über die äußere Heilighaltung
des Sonntags. Der Sinn dieser Verordnung ist doch die Einstellung der
Arbeit. Nun kann man alle Jahre sehen, daß zur Bestellzeit in gewissen
großen Domänen alle Sonntage mit allen Gespannen geankert wird. Wie ist


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[0398] Die Aufgabe der Gegenwart oder einleuchtend ist. Dies geschieht durch das Zeugnis einer zweite» Person, die darauf vereidigt ist, alles zu wissen. Das ist formell ganz schön und richtig, aber wie oft wird hierbei Vernunft Unsinn! Was wird regiert, ge¬ schrieben, gefragt, geantwortet, und nur die Post hat den Nutzen davon. Hier ein kleines Beispiel. In W. wird der Kircheuacker neu verpachtet. Er bringt statt 5Ul Mark 515 Mark. Der Gemeindekirchenrat freut sich, seinen Acker so gut angebracht zu haben, wenn auch 20 Mark sür den Morgen nicht viel ist. Aber der Acker unterm Walde ist nicht besonders gut, und der Zuckerkrach hat ein allgemeines Weichen der Pachte zur Folge gehabt. Unter diesen Umständen zwei Mark mehr zu erhalten, ist eine erfreuliche Sache. Die Kontrakte werden zur Genehmigung an die Regierung geschickt. Natürlich gilt die Stimme der Mitglieder des Gemeindekirchenrats, angesehener Männer in ihrer Gemeinde, in eigner Sache nichts. Dagegen ist das sachverständige Ur¬ teil des Amtsvorstehers, der ein paar Stunden von W. entfernt wohnt und den Kirchenacker nie gesehen hat, auch nie sehen wird, unanfechtbar. Die Kon¬ trakte wandern zu dem Amtsvorsteher mit der Anfrage, ob 20 Mark für den Morgen nicht zu billig sei. Der Amtsvorsteher fordert den Schulzen auf, über die Verpachtung des Kirchenackers zu berichten. Der Schulze erwidert: er habe den Acker nicht verpachtet, sondern der Gemeindekirchenrat. Nochmals an den Schulzen: er solle sich gutachtlich äußern, ob 20 Mark für den Morgen nicht zu billig sei, und wie hoch sich der Durchschnittsbetrag der Pachte belaufe. Der Schulze, der selbst gepachtet hat, Hütte gern auch zwölf Mark für angemessen gehalten. Um eine Antwort fertig zu bringen, geht er zum Herrn Pastor und läßt sich die Sache klar machen. Man antwortet: 20 Mark seien angemessen, der Durchschnittsbetrag der Pachte in der Flur sei 25 Mark. Zurück an den Amtsvorsteher — Laudrat — Regierung. Zurück an den Gemeinde¬ kirchenrat: woher es komme, daß der Kirchenacker so billig verpachtet sei, da der Durchschnittspreis 25 Mark betrage. Man mache sich klar, welchen Ein¬ druck eine solche Verfügung auf den Gemeindekirchenrat und auf die Gemeinde machen muß! Der Pfarrer kaun die Partei der Behörde nicht nehmen, sondern muß antworten: Weil nicht mehr geboten worden ist. Gemeindekirchenrat würde königlicher Regierung' höchst dankbar sein, wenn sie eine höhere Ver¬ pachtung des Kirchenackers bewirken könnte. Nun erfolgt die Genehmigung. Wozu also der ganze Umstand? Es ist eine überaus bequeme Sache, formell zu entscheide!?, wobei man sich um die praktische Wirkung nicht zu kümmern braucht; es ist aber zu einer wirkungsvollen Verwaltung unerläßlich, daß die Sache niemals aus dem Auge verloren werde. Wir haben Polizeivervrdnnngen über die äußere Heilighaltung des Sonntags. Der Sinn dieser Verordnung ist doch die Einstellung der Arbeit. Nun kann man alle Jahre sehen, daß zur Bestellzeit in gewissen großen Domänen alle Sonntage mit allen Gespannen geankert wird. Wie ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/398>, abgerufen am 22.07.2024.