Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aufgabe der Gegenwart

Wird. Die Merkzeichen dieses Adelstandes findet man in allen Zweigen der
Verwaltung, der staatlichen, wie der kirchlichen. Nur in der Armee hat man
wohlweislich nicht zentralisirt, in der Armee liegt nach wie vor der Schwer¬
punkt der Verwaltung bei der Kompagnie. Weiß der Beamte, daß er nichts
zu sagen hat und nichts gilt, wenn nicht die höhere Genehmigung hinzukommt,
hat er das Gefühl, daß er im Rücken uicht sicher gedeckt ist, daß er vielmehr
^ mag er sachlich noch so sehr Recht haben -- in der Patsche sitzen bleibt,
wenn ein formelles Verschen vorliegt, hat er die Erfahrung gemacht, daß es
schwer ist, an den vielen Schntzparagraphen für allerlei Leute, besonders auch
für die "edelsten Elemente der Nation" vorbei zu kommen, ohne sich zu reißen,
so geht die Sicherheit des Auftretens, das Vertrauen, die Lust zum Amte ver¬
loren. Wenn die da oben es besser Nüssen, laßt sie es doch machen! Darum
fehlt es an der von oben erwarteten sichern Ausführung von Verordnungen.
Ich bezweifle es, daß vermehrte Revisionen daran viel ändern würden. Was
will man auch revidiren? Das Beste, den Geist der Amtsführung, kann man
nicht durch Reglements schaffen. Ich würde vielmehr den umgekehrten Weg
für den richtigern halten, die Lokalbehörden zu stärken, ihnen freiere Hand
und sichere Stellung und bestimmt umschriebene Angaben zu geben.

Es wird viel zu viel regiert, und dabei befindet sich der Regierende in
einer selbstgeschaffenen formalen Welt, aber die wirkliche Welt geht ihre
eignen Wege. Wir haben es erlebt, daß ein lange vorbereiteter Streik von
ungeheurer Ausdehnung losbricht, und die Behörden haben keine Ahnung von
der Lage der Dinge gehabt. Man kann vom grünen Tisch aus und nach
juristischer Schablone nicht das Land regieren, man kann es vor allen Dingen
uicht in schwierigen Zeiten. Das fühlt man, darum herrscht in den höhern
Verwaltungskreisen eine begreifliche Zaghaftigkeit den kommenden Dingen
gegenüber.

Wir brauchen ein persönlicheres Regiment, wir haben zuviel Kollegien. Wir
brauchen auch ein sachlicheres Regiment, wir haben zu viel Juristen. Die
gesamte Verwaltung ist gesättigt mit Juristerei, und die Juristen sind Leute,
die ihr juristisches Einmaleins trefflich verstehen, aber in dein Vorurteil be-
fangen sind, daß sie alles verstünden und daß, was nicht juristisch gedacht und
eingefügt ist, überhaupt keine Existenz habe. Das Wort: Huocl non ost In
Koels, non ost in iriuuclo gilt heute noch und läßt sich so übersetzen: Was
formell erledigt ist, ist durchaus erledigt. Die sachlichen Beiräte, deren man
allerdings nicht entbehren kaun, sind das fünfte Rad am Wagen der Kollegien.
Von diesen sachlichen Beiräten, überhaupt von deu herangezogenen Sach¬
verständigen wird vorausgesetzt, daß sie unfehlbar seien, und daß sie aus der
Ferne alles besser wüßten als die, deren eigne Sache es ist. Denn in eigner
Sache hat niemand ein juristisch wiegendes Urteil. Das heißt: es muß jede
Aussage uuter Beweis gestellt werden, auch das, was um sich glaubwürdig


Die Aufgabe der Gegenwart

Wird. Die Merkzeichen dieses Adelstandes findet man in allen Zweigen der
Verwaltung, der staatlichen, wie der kirchlichen. Nur in der Armee hat man
wohlweislich nicht zentralisirt, in der Armee liegt nach wie vor der Schwer¬
punkt der Verwaltung bei der Kompagnie. Weiß der Beamte, daß er nichts
zu sagen hat und nichts gilt, wenn nicht die höhere Genehmigung hinzukommt,
hat er das Gefühl, daß er im Rücken uicht sicher gedeckt ist, daß er vielmehr
^ mag er sachlich noch so sehr Recht haben — in der Patsche sitzen bleibt,
wenn ein formelles Verschen vorliegt, hat er die Erfahrung gemacht, daß es
schwer ist, an den vielen Schntzparagraphen für allerlei Leute, besonders auch
für die „edelsten Elemente der Nation" vorbei zu kommen, ohne sich zu reißen,
so geht die Sicherheit des Auftretens, das Vertrauen, die Lust zum Amte ver¬
loren. Wenn die da oben es besser Nüssen, laßt sie es doch machen! Darum
fehlt es an der von oben erwarteten sichern Ausführung von Verordnungen.
Ich bezweifle es, daß vermehrte Revisionen daran viel ändern würden. Was
will man auch revidiren? Das Beste, den Geist der Amtsführung, kann man
nicht durch Reglements schaffen. Ich würde vielmehr den umgekehrten Weg
für den richtigern halten, die Lokalbehörden zu stärken, ihnen freiere Hand
und sichere Stellung und bestimmt umschriebene Angaben zu geben.

Es wird viel zu viel regiert, und dabei befindet sich der Regierende in
einer selbstgeschaffenen formalen Welt, aber die wirkliche Welt geht ihre
eignen Wege. Wir haben es erlebt, daß ein lange vorbereiteter Streik von
ungeheurer Ausdehnung losbricht, und die Behörden haben keine Ahnung von
der Lage der Dinge gehabt. Man kann vom grünen Tisch aus und nach
juristischer Schablone nicht das Land regieren, man kann es vor allen Dingen
uicht in schwierigen Zeiten. Das fühlt man, darum herrscht in den höhern
Verwaltungskreisen eine begreifliche Zaghaftigkeit den kommenden Dingen
gegenüber.

Wir brauchen ein persönlicheres Regiment, wir haben zuviel Kollegien. Wir
brauchen auch ein sachlicheres Regiment, wir haben zu viel Juristen. Die
gesamte Verwaltung ist gesättigt mit Juristerei, und die Juristen sind Leute,
die ihr juristisches Einmaleins trefflich verstehen, aber in dein Vorurteil be-
fangen sind, daß sie alles verstünden und daß, was nicht juristisch gedacht und
eingefügt ist, überhaupt keine Existenz habe. Das Wort: Huocl non ost In
Koels, non ost in iriuuclo gilt heute noch und läßt sich so übersetzen: Was
formell erledigt ist, ist durchaus erledigt. Die sachlichen Beiräte, deren man
allerdings nicht entbehren kaun, sind das fünfte Rad am Wagen der Kollegien.
Von diesen sachlichen Beiräten, überhaupt von deu herangezogenen Sach¬
verständigen wird vorausgesetzt, daß sie unfehlbar seien, und daß sie aus der
Ferne alles besser wüßten als die, deren eigne Sache es ist. Denn in eigner
Sache hat niemand ein juristisch wiegendes Urteil. Das heißt: es muß jede
Aussage uuter Beweis gestellt werden, auch das, was um sich glaubwürdig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0397" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207692"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aufgabe der Gegenwart</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1079" prev="#ID_1078"> Wird. Die Merkzeichen dieses Adelstandes findet man in allen Zweigen der<lb/>
Verwaltung, der staatlichen, wie der kirchlichen. Nur in der Armee hat man<lb/>
wohlweislich nicht zentralisirt, in der Armee liegt nach wie vor der Schwer¬<lb/>
punkt der Verwaltung bei der Kompagnie. Weiß der Beamte, daß er nichts<lb/>
zu sagen hat und nichts gilt, wenn nicht die höhere Genehmigung hinzukommt,<lb/>
hat er das Gefühl, daß er im Rücken uicht sicher gedeckt ist, daß er vielmehr<lb/>
^ mag er sachlich noch so sehr Recht haben &#x2014; in der Patsche sitzen bleibt,<lb/>
wenn ein formelles Verschen vorliegt, hat er die Erfahrung gemacht, daß es<lb/>
schwer ist, an den vielen Schntzparagraphen für allerlei Leute, besonders auch<lb/>
für die &#x201E;edelsten Elemente der Nation" vorbei zu kommen, ohne sich zu reißen,<lb/>
so geht die Sicherheit des Auftretens, das Vertrauen, die Lust zum Amte ver¬<lb/>
loren. Wenn die da oben es besser Nüssen, laßt sie es doch machen! Darum<lb/>
fehlt es an der von oben erwarteten sichern Ausführung von Verordnungen.<lb/>
Ich bezweifle es, daß vermehrte Revisionen daran viel ändern würden. Was<lb/>
will man auch revidiren? Das Beste, den Geist der Amtsführung, kann man<lb/>
nicht durch Reglements schaffen. Ich würde vielmehr den umgekehrten Weg<lb/>
für den richtigern halten, die Lokalbehörden zu stärken, ihnen freiere Hand<lb/>
und sichere Stellung und bestimmt umschriebene Angaben zu geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1080"> Es wird viel zu viel regiert, und dabei befindet sich der Regierende in<lb/>
einer selbstgeschaffenen formalen Welt, aber die wirkliche Welt geht ihre<lb/>
eignen Wege. Wir haben es erlebt, daß ein lange vorbereiteter Streik von<lb/>
ungeheurer Ausdehnung losbricht, und die Behörden haben keine Ahnung von<lb/>
der Lage der Dinge gehabt. Man kann vom grünen Tisch aus und nach<lb/>
juristischer Schablone nicht das Land regieren, man kann es vor allen Dingen<lb/>
uicht in schwierigen Zeiten. Das fühlt man, darum herrscht in den höhern<lb/>
Verwaltungskreisen eine begreifliche Zaghaftigkeit den kommenden Dingen<lb/>
gegenüber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1081" next="#ID_1082"> Wir brauchen ein persönlicheres Regiment, wir haben zuviel Kollegien. Wir<lb/>
brauchen auch ein sachlicheres Regiment, wir haben zu viel Juristen. Die<lb/>
gesamte Verwaltung ist gesättigt mit Juristerei, und die Juristen sind Leute,<lb/>
die ihr juristisches Einmaleins trefflich verstehen, aber in dein Vorurteil be-<lb/>
fangen sind, daß sie alles verstünden und daß, was nicht juristisch gedacht und<lb/>
eingefügt ist, überhaupt keine Existenz habe. Das Wort: Huocl non ost In<lb/>
Koels, non ost in iriuuclo gilt heute noch und läßt sich so übersetzen: Was<lb/>
formell erledigt ist, ist durchaus erledigt. Die sachlichen Beiräte, deren man<lb/>
allerdings nicht entbehren kaun, sind das fünfte Rad am Wagen der Kollegien.<lb/>
Von diesen sachlichen Beiräten, überhaupt von deu herangezogenen Sach¬<lb/>
verständigen wird vorausgesetzt, daß sie unfehlbar seien, und daß sie aus der<lb/>
Ferne alles besser wüßten als die, deren eigne Sache es ist. Denn in eigner<lb/>
Sache hat niemand ein juristisch wiegendes Urteil. Das heißt: es muß jede<lb/>
Aussage uuter Beweis gestellt werden, auch das, was um sich glaubwürdig</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0397] Die Aufgabe der Gegenwart Wird. Die Merkzeichen dieses Adelstandes findet man in allen Zweigen der Verwaltung, der staatlichen, wie der kirchlichen. Nur in der Armee hat man wohlweislich nicht zentralisirt, in der Armee liegt nach wie vor der Schwer¬ punkt der Verwaltung bei der Kompagnie. Weiß der Beamte, daß er nichts zu sagen hat und nichts gilt, wenn nicht die höhere Genehmigung hinzukommt, hat er das Gefühl, daß er im Rücken uicht sicher gedeckt ist, daß er vielmehr ^ mag er sachlich noch so sehr Recht haben — in der Patsche sitzen bleibt, wenn ein formelles Verschen vorliegt, hat er die Erfahrung gemacht, daß es schwer ist, an den vielen Schntzparagraphen für allerlei Leute, besonders auch für die „edelsten Elemente der Nation" vorbei zu kommen, ohne sich zu reißen, so geht die Sicherheit des Auftretens, das Vertrauen, die Lust zum Amte ver¬ loren. Wenn die da oben es besser Nüssen, laßt sie es doch machen! Darum fehlt es an der von oben erwarteten sichern Ausführung von Verordnungen. Ich bezweifle es, daß vermehrte Revisionen daran viel ändern würden. Was will man auch revidiren? Das Beste, den Geist der Amtsführung, kann man nicht durch Reglements schaffen. Ich würde vielmehr den umgekehrten Weg für den richtigern halten, die Lokalbehörden zu stärken, ihnen freiere Hand und sichere Stellung und bestimmt umschriebene Angaben zu geben. Es wird viel zu viel regiert, und dabei befindet sich der Regierende in einer selbstgeschaffenen formalen Welt, aber die wirkliche Welt geht ihre eignen Wege. Wir haben es erlebt, daß ein lange vorbereiteter Streik von ungeheurer Ausdehnung losbricht, und die Behörden haben keine Ahnung von der Lage der Dinge gehabt. Man kann vom grünen Tisch aus und nach juristischer Schablone nicht das Land regieren, man kann es vor allen Dingen uicht in schwierigen Zeiten. Das fühlt man, darum herrscht in den höhern Verwaltungskreisen eine begreifliche Zaghaftigkeit den kommenden Dingen gegenüber. Wir brauchen ein persönlicheres Regiment, wir haben zuviel Kollegien. Wir brauchen auch ein sachlicheres Regiment, wir haben zu viel Juristen. Die gesamte Verwaltung ist gesättigt mit Juristerei, und die Juristen sind Leute, die ihr juristisches Einmaleins trefflich verstehen, aber in dein Vorurteil be- fangen sind, daß sie alles verstünden und daß, was nicht juristisch gedacht und eingefügt ist, überhaupt keine Existenz habe. Das Wort: Huocl non ost In Koels, non ost in iriuuclo gilt heute noch und läßt sich so übersetzen: Was formell erledigt ist, ist durchaus erledigt. Die sachlichen Beiräte, deren man allerdings nicht entbehren kaun, sind das fünfte Rad am Wagen der Kollegien. Von diesen sachlichen Beiräten, überhaupt von deu herangezogenen Sach¬ verständigen wird vorausgesetzt, daß sie unfehlbar seien, und daß sie aus der Ferne alles besser wüßten als die, deren eigne Sache es ist. Denn in eigner Sache hat niemand ein juristisch wiegendes Urteil. Das heißt: es muß jede Aussage uuter Beweis gestellt werden, auch das, was um sich glaubwürdig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/397
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/397>, abgerufen am 22.07.2024.