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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Ans der Stadt des Reichskammergerichts

die sich und das Hans anzünden, während die Eltern auswärts ans Arbeit
>ind; manchmal eine kranke Mutter oder Großmutter, die allein zu lassen
grausam wäre; und nnn von den paar Pfennigen Wochenlohn, die kaum für
Brot reichen, auch noch Strafgeld zahlen! Es ließe" sich Bücher darüber und
über ähnliche Sachen schreiben.




Aus der ^labt des Reichskammergerichts

le Stadt Wetzlar an der Lahn gehört zu den ältesten Nieder
lassungeu Deutschlands. Nach sagenhafter Überlieferung bereits
zur Zeit der Römer gegründet, erscheint sie geschichtlich zuerst
in einer Urkunde Ottos des Großen vom Jahre 943 n. Chr., wo
die Stadt V/MllMg. heißt. Nachdem sie im Jahre 1180 n. Chr.
von Kaiser Friedrich I. den ersten Freibrief erhalten und damit den Grund zu
ihrer Reichsunmittelbarkeit gelegt hatte, gelang eS ihr, im Bunde mit den
drei untern ivetteraui scheu Städten: Frankfurt am Main, Gelnhausen und
Friedberg in Hessen, ihre Macht dein Neichsoberhaupt gegenüber mehr und mehr
Zu stärken, sodaß sie im dreizehnten Jahrhundert bereits wagen konnte, dem
Kaiser selbst Trotz zu bieten, allerdings nicht lange. Es geschah das in der
etwas sagenhaften Episode des Tile Kolup, eines ehemaligen Mönches, der sich
für den verstorbenen Kaiser Friedrich I. ausgab. Nachdem er in Köln um
Rhein und Neuß vergeblich versucht hatte, die Menge für sich zu erregen, kam
er nach Wetzlar und fand dort bei der Bürgerschaft Glauben und Unterstützung.
Als sich auch einige deutsche Fürsten ihm anschlössen, wurde er kühner und
maßte sich das Schiedsrichteramt in einem zwischen den Friesländern und dem
Grafen Florens von Holland ausgebrochenen Streit an. Zwar leistete der
Graf der an ihn ergangenen Ladung nicht Folge; aber der Pseudokaifer ließ
sich nicht abschrecken: in einem trotzigen Schreiben forderte er selbst den neu-
gewählten Kaiser Rudolf von Habsburg vor feine Schranken. Die Folge war,
daß Kaiser Rudolf gegen die abtrünnige Stadt zu Felde zog und sie zwang,
den Betrüger auszuliefern. Noch heute führt ein kleines Wiesenthal in der
Nähe der Stadt, wo Tile Kolnp zur Strafe deu Feuertod gestorben sein soll,
den Namen "Kaisersgrund," und ein Reichskainmergerichtsbeisttzer Hut das An¬
denken des merkwürdigen Abenteurers dnrch einen an den Ort gesetzten mäch-
tigen Stein vor der Vergessenheit zu bewahren gesucht; eine lateinische Inschrift


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Ans der Stadt des Reichskammergerichts

die sich und das Hans anzünden, während die Eltern auswärts ans Arbeit
>ind; manchmal eine kranke Mutter oder Großmutter, die allein zu lassen
grausam wäre; und nnn von den paar Pfennigen Wochenlohn, die kaum für
Brot reichen, auch noch Strafgeld zahlen! Es ließe» sich Bücher darüber und
über ähnliche Sachen schreiben.




Aus der ^labt des Reichskammergerichts

le Stadt Wetzlar an der Lahn gehört zu den ältesten Nieder
lassungeu Deutschlands. Nach sagenhafter Überlieferung bereits
zur Zeit der Römer gegründet, erscheint sie geschichtlich zuerst
in einer Urkunde Ottos des Großen vom Jahre 943 n. Chr., wo
die Stadt V/MllMg. heißt. Nachdem sie im Jahre 1180 n. Chr.
von Kaiser Friedrich I. den ersten Freibrief erhalten und damit den Grund zu
ihrer Reichsunmittelbarkeit gelegt hatte, gelang eS ihr, im Bunde mit den
drei untern ivetteraui scheu Städten: Frankfurt am Main, Gelnhausen und
Friedberg in Hessen, ihre Macht dein Neichsoberhaupt gegenüber mehr und mehr
Zu stärken, sodaß sie im dreizehnten Jahrhundert bereits wagen konnte, dem
Kaiser selbst Trotz zu bieten, allerdings nicht lange. Es geschah das in der
etwas sagenhaften Episode des Tile Kolup, eines ehemaligen Mönches, der sich
für den verstorbenen Kaiser Friedrich I. ausgab. Nachdem er in Köln um
Rhein und Neuß vergeblich versucht hatte, die Menge für sich zu erregen, kam
er nach Wetzlar und fand dort bei der Bürgerschaft Glauben und Unterstützung.
Als sich auch einige deutsche Fürsten ihm anschlössen, wurde er kühner und
maßte sich das Schiedsrichteramt in einem zwischen den Friesländern und dem
Grafen Florens von Holland ausgebrochenen Streit an. Zwar leistete der
Graf der an ihn ergangenen Ladung nicht Folge; aber der Pseudokaifer ließ
sich nicht abschrecken: in einem trotzigen Schreiben forderte er selbst den neu-
gewählten Kaiser Rudolf von Habsburg vor feine Schranken. Die Folge war,
daß Kaiser Rudolf gegen die abtrünnige Stadt zu Felde zog und sie zwang,
den Betrüger auszuliefern. Noch heute führt ein kleines Wiesenthal in der
Nähe der Stadt, wo Tile Kolnp zur Strafe deu Feuertod gestorben sein soll,
den Namen „Kaisersgrund," und ein Reichskainmergerichtsbeisttzer Hut das An¬
denken des merkwürdigen Abenteurers dnrch einen an den Ort gesetzten mäch-
tigen Stein vor der Vergessenheit zu bewahren gesucht; eine lateinische Inschrift


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/377>, abgerufen am 27.12.2024.