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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

Philisterstädte durch jene Prachtbände verlieren, mit denen namentlich die schön¬
geistigen Litteraturerzeugnisse schon an den Sitzen des Bücherverlags bekleidet
werden.

Die Nahrungsmittelgewerbe werden ebenfalls vom Kapitalismus wenig
und von den Fortschritten der Technik höchstens in angenehmer Weise berührt.
Der Koch von heute erfreut sich zweckmäßigerer Öfen als sein Amtsvvrgänger
vor hundert Jahren. Dem Wurstmacher erleichtern Fleischbank- und Fttll-
maschinen die Arbeit. Von den Vorteilen, die die Chemie den Brauern,
Schnaps- und Weinfabrikanten gewährt, wollen wir lieber nicht reden. Seine
Frühstücksemmeln bezieht niemand aus einer entfernten Fabrik, denn jeder Null
sie frisch genießen. Dasselbe gilt von den meisten Zuckerbäcker- und Pfeffer¬
küchlerwaren. Ganz ohne alles Kapital haben diese Gewerbe (mit Ausnahme
des, Kochens, da der Koch seine Kunst entweder als Angestellter oder als Lohn¬
arbeiter ausübt) auch früher schou niemals betrieben werden können, weil die
Einrichtungen und Rohstoffe Geld kosten. Größe und Reichtum der Bäckereien
und Fleischereien finden wir natürlich nach der Größe der Orte abgestuft, an
denen sie sich befinden. Wenn manche Brauereien sich zu einem Umfange aus¬
dehnen, der ihnen gestattet, ihren technischen Leitern Ministergehalte zu zahlen,
so ist das für diese kein Unglück, und die mittlern und kleinern Brauereien
bleiben daneben an mittlern und kleinern Orten fortbestehen. Etwas anders
verhält es sich mit der Mutterei; die Windmühlen und die kleinen Wasser¬
mühlen gehen allmählich ein. Daß dieses Gewerbe seit Einführung der Dampf¬
maschine überhaupt nicht mehr von Wind und Wasser abhängt, ist ein Glück
fürs Volk: eine Mnhlteuerung infolge des Austrocknens der kleinen Wasserläufe
kann nicht mehr eintreten. Was dem Müllereigewerbe in den letzten Jahren
manchmal das Leben schwer gemacht hat, das war die Störung der Ein- und
Ausfnhrverhältnisse dnrch den Zollkrieg, hängt also mit dem Maschinenwesen
nicht zusammen.

Das Kunsthandwerk (Goldschmiede, Graveure, Drechsler, Tischler, Schlosser,
Lithographen, Porzellanmaler u. s. w.) befindet sich in der eigentümlichen Lage,
unsre Zeit zugleich preisen und anklagen zu müssen. Unsre Zeit hat es, dank
dem wiedererwachten Geschmack und dem gesteigerten Nationalreichtum, aus
langem Erstarrungsschlafe zu neuem Leben erweckt; aber zugleich erschwert sie
den Absatz seiner Erzeugnisse durch billige Nachahmungen, die in Masse zu
produziren ihrer hochentwickelten Technik ein leichtes ist. Nur ein Kennerauge
vermag die unechten, mit der Maschine gepreßten Schmucksachen von der müh¬
samen Handarbeit des Ciseleurs zu unterscheiden; dasselbe gilt von guß- und
schmiedeeisernen Gittern, mit der Maschine gedrehten Möbelverzieruugen u. s. w.
Mittelmäßige Maler können neben der Photographie und dem Ölfarbendruck
nicht mehr aufkommen, was ja vielleicht ein Vorteil für die Kunst, aber ein
Unglück für viele, wenn auch nicht geniale, so doch ganz tüchtige Menschen ist.


Die soziale Frage

Philisterstädte durch jene Prachtbände verlieren, mit denen namentlich die schön¬
geistigen Litteraturerzeugnisse schon an den Sitzen des Bücherverlags bekleidet
werden.

Die Nahrungsmittelgewerbe werden ebenfalls vom Kapitalismus wenig
und von den Fortschritten der Technik höchstens in angenehmer Weise berührt.
Der Koch von heute erfreut sich zweckmäßigerer Öfen als sein Amtsvvrgänger
vor hundert Jahren. Dem Wurstmacher erleichtern Fleischbank- und Fttll-
maschinen die Arbeit. Von den Vorteilen, die die Chemie den Brauern,
Schnaps- und Weinfabrikanten gewährt, wollen wir lieber nicht reden. Seine
Frühstücksemmeln bezieht niemand aus einer entfernten Fabrik, denn jeder Null
sie frisch genießen. Dasselbe gilt von den meisten Zuckerbäcker- und Pfeffer¬
küchlerwaren. Ganz ohne alles Kapital haben diese Gewerbe (mit Ausnahme
des, Kochens, da der Koch seine Kunst entweder als Angestellter oder als Lohn¬
arbeiter ausübt) auch früher schou niemals betrieben werden können, weil die
Einrichtungen und Rohstoffe Geld kosten. Größe und Reichtum der Bäckereien
und Fleischereien finden wir natürlich nach der Größe der Orte abgestuft, an
denen sie sich befinden. Wenn manche Brauereien sich zu einem Umfange aus¬
dehnen, der ihnen gestattet, ihren technischen Leitern Ministergehalte zu zahlen,
so ist das für diese kein Unglück, und die mittlern und kleinern Brauereien
bleiben daneben an mittlern und kleinern Orten fortbestehen. Etwas anders
verhält es sich mit der Mutterei; die Windmühlen und die kleinen Wasser¬
mühlen gehen allmählich ein. Daß dieses Gewerbe seit Einführung der Dampf¬
maschine überhaupt nicht mehr von Wind und Wasser abhängt, ist ein Glück
fürs Volk: eine Mnhlteuerung infolge des Austrocknens der kleinen Wasserläufe
kann nicht mehr eintreten. Was dem Müllereigewerbe in den letzten Jahren
manchmal das Leben schwer gemacht hat, das war die Störung der Ein- und
Ausfnhrverhältnisse dnrch den Zollkrieg, hängt also mit dem Maschinenwesen
nicht zusammen.

Das Kunsthandwerk (Goldschmiede, Graveure, Drechsler, Tischler, Schlosser,
Lithographen, Porzellanmaler u. s. w.) befindet sich in der eigentümlichen Lage,
unsre Zeit zugleich preisen und anklagen zu müssen. Unsre Zeit hat es, dank
dem wiedererwachten Geschmack und dem gesteigerten Nationalreichtum, aus
langem Erstarrungsschlafe zu neuem Leben erweckt; aber zugleich erschwert sie
den Absatz seiner Erzeugnisse durch billige Nachahmungen, die in Masse zu
produziren ihrer hochentwickelten Technik ein leichtes ist. Nur ein Kennerauge
vermag die unechten, mit der Maschine gepreßten Schmucksachen von der müh¬
samen Handarbeit des Ciseleurs zu unterscheiden; dasselbe gilt von guß- und
schmiedeeisernen Gittern, mit der Maschine gedrehten Möbelverzieruugen u. s. w.
Mittelmäßige Maler können neben der Photographie und dem Ölfarbendruck
nicht mehr aufkommen, was ja vielleicht ein Vorteil für die Kunst, aber ein
Unglück für viele, wenn auch nicht geniale, so doch ganz tüchtige Menschen ist.


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[0372] Die soziale Frage Philisterstädte durch jene Prachtbände verlieren, mit denen namentlich die schön¬ geistigen Litteraturerzeugnisse schon an den Sitzen des Bücherverlags bekleidet werden. Die Nahrungsmittelgewerbe werden ebenfalls vom Kapitalismus wenig und von den Fortschritten der Technik höchstens in angenehmer Weise berührt. Der Koch von heute erfreut sich zweckmäßigerer Öfen als sein Amtsvvrgänger vor hundert Jahren. Dem Wurstmacher erleichtern Fleischbank- und Fttll- maschinen die Arbeit. Von den Vorteilen, die die Chemie den Brauern, Schnaps- und Weinfabrikanten gewährt, wollen wir lieber nicht reden. Seine Frühstücksemmeln bezieht niemand aus einer entfernten Fabrik, denn jeder Null sie frisch genießen. Dasselbe gilt von den meisten Zuckerbäcker- und Pfeffer¬ küchlerwaren. Ganz ohne alles Kapital haben diese Gewerbe (mit Ausnahme des, Kochens, da der Koch seine Kunst entweder als Angestellter oder als Lohn¬ arbeiter ausübt) auch früher schou niemals betrieben werden können, weil die Einrichtungen und Rohstoffe Geld kosten. Größe und Reichtum der Bäckereien und Fleischereien finden wir natürlich nach der Größe der Orte abgestuft, an denen sie sich befinden. Wenn manche Brauereien sich zu einem Umfange aus¬ dehnen, der ihnen gestattet, ihren technischen Leitern Ministergehalte zu zahlen, so ist das für diese kein Unglück, und die mittlern und kleinern Brauereien bleiben daneben an mittlern und kleinern Orten fortbestehen. Etwas anders verhält es sich mit der Mutterei; die Windmühlen und die kleinen Wasser¬ mühlen gehen allmählich ein. Daß dieses Gewerbe seit Einführung der Dampf¬ maschine überhaupt nicht mehr von Wind und Wasser abhängt, ist ein Glück fürs Volk: eine Mnhlteuerung infolge des Austrocknens der kleinen Wasserläufe kann nicht mehr eintreten. Was dem Müllereigewerbe in den letzten Jahren manchmal das Leben schwer gemacht hat, das war die Störung der Ein- und Ausfnhrverhältnisse dnrch den Zollkrieg, hängt also mit dem Maschinenwesen nicht zusammen. Das Kunsthandwerk (Goldschmiede, Graveure, Drechsler, Tischler, Schlosser, Lithographen, Porzellanmaler u. s. w.) befindet sich in der eigentümlichen Lage, unsre Zeit zugleich preisen und anklagen zu müssen. Unsre Zeit hat es, dank dem wiedererwachten Geschmack und dem gesteigerten Nationalreichtum, aus langem Erstarrungsschlafe zu neuem Leben erweckt; aber zugleich erschwert sie den Absatz seiner Erzeugnisse durch billige Nachahmungen, die in Masse zu produziren ihrer hochentwickelten Technik ein leichtes ist. Nur ein Kennerauge vermag die unechten, mit der Maschine gepreßten Schmucksachen von der müh¬ samen Handarbeit des Ciseleurs zu unterscheiden; dasselbe gilt von guß- und schmiedeeisernen Gittern, mit der Maschine gedrehten Möbelverzieruugen u. s. w. Mittelmäßige Maler können neben der Photographie und dem Ölfarbendruck nicht mehr aufkommen, was ja vielleicht ein Vorteil für die Kunst, aber ein Unglück für viele, wenn auch nicht geniale, so doch ganz tüchtige Menschen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/372>, abgerufen am 22.07.2024.