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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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auch mit Sr. Majestät, der für das Schicksal der arbeitenden Klassen ein natür¬
liches, angeborenes Wohlwollen und Fürsorge hat, gesprochen, und der König
hat ans eignen Privatmitteln eine Summe Geldes hergegeben, um zu seiner
eignen Belehrung einen Versuch dieser Art zu machen. Wir stellen im land¬
wirtschaftlichen Ministerium Versuche an über landwirtschaftliche Systeme;
wäre es nicht nützliche auch in der Beschäftigung der Menschen und in dem
Bestreben, die soziale Frage durch Verbesserung des Loses der Arbeiter zu
lösen, dergleichen Versuche zu erneuern? Ich sehe auch für einen Staatsmann
kein Verbrechen darin, wenn er zu dem Behufe den Arbeitern, die eine Asso¬
ziativ" bilden wollen, Staatshilfe gewährt, namentlich um Versuche in der
Richtung zu machen. Ich habe, soweit meine Erinnerung reicht, den Eindruck
erhalten, daß der ganze fabrizirende Teil der Einrichtung und der Beschäfti¬
gung keine Schwierigkeiten bot; es war der kaufmännische, in dem die Sache
stockte, die Verwertung der gewonnenen Produkte durch Reisende, in Lagern,
in Magazinen, durch Proben. Das alles ließ sich uicht macheu innerhalb
einer Sphäre, welche die Arbeiter übersehen konnten." In einer Reichstags¬
rede vom 9. Oktober 1873 wiederholte er diese Gedanken und schloß mit den
Worten: "Sobald uns von sozialdemokratischer Seite irgend ein positiver Vor¬
schlag entgegenträte oder vorläge, wie sie in vernünftiger Weise die Zukunft
gestalten wollen, um das Schicksal der Arbeiter zu verbessern, so würde ich
wich einer wohlwollenden, entgegenkommenden Prüfung der Sache uicht ent¬
ziehe" und würde selbst vor dem Gedanken der Staatshilfe nicht zurückschrecken,
um den Leuten zu helfen, die sich selbst helfen." Unter den Leuten, die sich
selbst helfen, verstand er die Arbeitsamen und sparsamen. Denn "der Faule
und Ungeschickte wird (auch nach einer Teilung der Güter) wieder arm werden;
und wenn das nicht ist, wenn jedem das Seinige von oben her zugemessen werde"
soll, gerät man in eine zuchthausmäßige Existenz, wo keiner seinen selbständigen
Beruf und seine Unabhängigkeit hat, sondern wo ein jeder unter dein Zwange
der Aufseher steht." Man sieht, das Entgegenkommen, das Bismarck in Aus¬
sicht stellte, konnte nicht den sozialdemokratischen Zuchthansideen gelten, wohl
aber schienen ihm Versuche zweckmäßig, die sich auf die Grundlage der be¬
stehenden Gesellschaftsordnung ohne Antastung der bürgerlichen Freiheit und
des errungenen Kulturbesitzes stellen lassen konnten. Seinen Kollegen, zunächst
dem Handelsminister, an den das Schreiben vom 21. Oktober 1871 gerichtet
war, schien das nicht so.

Wir kommen nun auf die Stellung zurück, die Graf Jtzenplitz zu diesem
schreiben einnahm. Er wollte nichts von staatssvzialistischeu Mitteln hören.
erschien ihm auch uicht ratsam, daß die Regierung selbst Erörterungen
hervorrufe, "deren Verlauf gerade in der hier fraglichen Beziehung (?) nicht
nut Sicherheit vorher zu bemessen sei, und welche die Regierung in die alß-
^übe Lage bringen können, Meinungen niederkämpfen zu müssen, deren Äußerung


auch mit Sr. Majestät, der für das Schicksal der arbeitenden Klassen ein natür¬
liches, angeborenes Wohlwollen und Fürsorge hat, gesprochen, und der König
hat ans eignen Privatmitteln eine Summe Geldes hergegeben, um zu seiner
eignen Belehrung einen Versuch dieser Art zu machen. Wir stellen im land¬
wirtschaftlichen Ministerium Versuche an über landwirtschaftliche Systeme;
wäre es nicht nützliche auch in der Beschäftigung der Menschen und in dem
Bestreben, die soziale Frage durch Verbesserung des Loses der Arbeiter zu
lösen, dergleichen Versuche zu erneuern? Ich sehe auch für einen Staatsmann
kein Verbrechen darin, wenn er zu dem Behufe den Arbeitern, die eine Asso¬
ziativ» bilden wollen, Staatshilfe gewährt, namentlich um Versuche in der
Richtung zu machen. Ich habe, soweit meine Erinnerung reicht, den Eindruck
erhalten, daß der ganze fabrizirende Teil der Einrichtung und der Beschäfti¬
gung keine Schwierigkeiten bot; es war der kaufmännische, in dem die Sache
stockte, die Verwertung der gewonnenen Produkte durch Reisende, in Lagern,
in Magazinen, durch Proben. Das alles ließ sich uicht macheu innerhalb
einer Sphäre, welche die Arbeiter übersehen konnten." In einer Reichstags¬
rede vom 9. Oktober 1873 wiederholte er diese Gedanken und schloß mit den
Worten: „Sobald uns von sozialdemokratischer Seite irgend ein positiver Vor¬
schlag entgegenträte oder vorläge, wie sie in vernünftiger Weise die Zukunft
gestalten wollen, um das Schicksal der Arbeiter zu verbessern, so würde ich
wich einer wohlwollenden, entgegenkommenden Prüfung der Sache uicht ent¬
ziehe» und würde selbst vor dem Gedanken der Staatshilfe nicht zurückschrecken,
um den Leuten zu helfen, die sich selbst helfen." Unter den Leuten, die sich
selbst helfen, verstand er die Arbeitsamen und sparsamen. Denn „der Faule
und Ungeschickte wird (auch nach einer Teilung der Güter) wieder arm werden;
und wenn das nicht ist, wenn jedem das Seinige von oben her zugemessen werde»
soll, gerät man in eine zuchthausmäßige Existenz, wo keiner seinen selbständigen
Beruf und seine Unabhängigkeit hat, sondern wo ein jeder unter dein Zwange
der Aufseher steht." Man sieht, das Entgegenkommen, das Bismarck in Aus¬
sicht stellte, konnte nicht den sozialdemokratischen Zuchthansideen gelten, wohl
aber schienen ihm Versuche zweckmäßig, die sich auf die Grundlage der be¬
stehenden Gesellschaftsordnung ohne Antastung der bürgerlichen Freiheit und
des errungenen Kulturbesitzes stellen lassen konnten. Seinen Kollegen, zunächst
dem Handelsminister, an den das Schreiben vom 21. Oktober 1871 gerichtet
war, schien das nicht so.

Wir kommen nun auf die Stellung zurück, die Graf Jtzenplitz zu diesem
schreiben einnahm. Er wollte nichts von staatssvzialistischeu Mitteln hören.
erschien ihm auch uicht ratsam, daß die Regierung selbst Erörterungen
hervorrufe, „deren Verlauf gerade in der hier fraglichen Beziehung (?) nicht
nut Sicherheit vorher zu bemessen sei, und welche die Regierung in die alß-
^übe Lage bringen können, Meinungen niederkämpfen zu müssen, deren Äußerung


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[0351] auch mit Sr. Majestät, der für das Schicksal der arbeitenden Klassen ein natür¬ liches, angeborenes Wohlwollen und Fürsorge hat, gesprochen, und der König hat ans eignen Privatmitteln eine Summe Geldes hergegeben, um zu seiner eignen Belehrung einen Versuch dieser Art zu machen. Wir stellen im land¬ wirtschaftlichen Ministerium Versuche an über landwirtschaftliche Systeme; wäre es nicht nützliche auch in der Beschäftigung der Menschen und in dem Bestreben, die soziale Frage durch Verbesserung des Loses der Arbeiter zu lösen, dergleichen Versuche zu erneuern? Ich sehe auch für einen Staatsmann kein Verbrechen darin, wenn er zu dem Behufe den Arbeitern, die eine Asso¬ ziativ» bilden wollen, Staatshilfe gewährt, namentlich um Versuche in der Richtung zu machen. Ich habe, soweit meine Erinnerung reicht, den Eindruck erhalten, daß der ganze fabrizirende Teil der Einrichtung und der Beschäfti¬ gung keine Schwierigkeiten bot; es war der kaufmännische, in dem die Sache stockte, die Verwertung der gewonnenen Produkte durch Reisende, in Lagern, in Magazinen, durch Proben. Das alles ließ sich uicht macheu innerhalb einer Sphäre, welche die Arbeiter übersehen konnten." In einer Reichstags¬ rede vom 9. Oktober 1873 wiederholte er diese Gedanken und schloß mit den Worten: „Sobald uns von sozialdemokratischer Seite irgend ein positiver Vor¬ schlag entgegenträte oder vorläge, wie sie in vernünftiger Weise die Zukunft gestalten wollen, um das Schicksal der Arbeiter zu verbessern, so würde ich wich einer wohlwollenden, entgegenkommenden Prüfung der Sache uicht ent¬ ziehe» und würde selbst vor dem Gedanken der Staatshilfe nicht zurückschrecken, um den Leuten zu helfen, die sich selbst helfen." Unter den Leuten, die sich selbst helfen, verstand er die Arbeitsamen und sparsamen. Denn „der Faule und Ungeschickte wird (auch nach einer Teilung der Güter) wieder arm werden; und wenn das nicht ist, wenn jedem das Seinige von oben her zugemessen werde» soll, gerät man in eine zuchthausmäßige Existenz, wo keiner seinen selbständigen Beruf und seine Unabhängigkeit hat, sondern wo ein jeder unter dein Zwange der Aufseher steht." Man sieht, das Entgegenkommen, das Bismarck in Aus¬ sicht stellte, konnte nicht den sozialdemokratischen Zuchthansideen gelten, wohl aber schienen ihm Versuche zweckmäßig, die sich auf die Grundlage der be¬ stehenden Gesellschaftsordnung ohne Antastung der bürgerlichen Freiheit und des errungenen Kulturbesitzes stellen lassen konnten. Seinen Kollegen, zunächst dem Handelsminister, an den das Schreiben vom 21. Oktober 1871 gerichtet war, schien das nicht so. Wir kommen nun auf die Stellung zurück, die Graf Jtzenplitz zu diesem schreiben einnahm. Er wollte nichts von staatssvzialistischeu Mitteln hören. erschien ihm auch uicht ratsam, daß die Regierung selbst Erörterungen hervorrufe, „deren Verlauf gerade in der hier fraglichen Beziehung (?) nicht nut Sicherheit vorher zu bemessen sei, und welche die Regierung in die alß- ^übe Lage bringen können, Meinungen niederkämpfen zu müssen, deren Äußerung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/351>, abgerufen am 22.07.2024.