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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Bismarck n"d die sozialpolitische Gesetzgebung

etwa prämienweise nicht unterstützen und befördern kann, wo sie sich gebildet
haben, das ist eine Frage, die meiner Ansicht nach nicht von vornherein z"
verneinen ist." Wie sehr ihn schon damals das Verlangen einer praktisch be¬
währten Erkenntnis in der Frage nach positiven Mitteln, mit denen der Staat
in die Wirtschaftsverhältnisse eingreifen könne und solle, beschäftigt, geht auch
ans dem Ersuchen hervor, das er an den Berliner Gelehrten Dr. Dühring
stellte. Dieser hatte sich auf dein Gebiete der Volkswirtschaftslehre durch sein
Buch: "Die kritischen Grundlagen der Volkswirtschaftslehre" das Vertrauen
Bismarcks erworben; er ersuchte ihn darum, eine Denkschrift abzufassen "über
die Bedingungen, unter denen sich seitens des Staates und in einem gewissen
Maße auch mit Staatsmitteln für die Arbeiter etwas thun läßt." So hat
sich schon in dieser Zeit, die noch vor den volkswirtschaftlichen Lehrjahren
Bismarcks liegt, sein sozialpolitischer Standpunkt geltend gemacht, der seine
Auffassung vom Wesen des Staates weit über die der damaligen Staats¬
männer, auch seiner Ministerkollegen, hinaushob, die alle dem Staat, und das
brachte man damals von der Universität mit, die Rolle des Sicherheits¬
beamten zuwiesen, eine Rolle, die treffend mit dem Ausdruck "Nachtwächter¬
staat" bezeichnet worden ist. Es war nicht bloß der damals wirtschaftlich
dominirende Schulze-Delitzsch mit seinem große" Anhange, der in dieser Bis-
marckschen Auffassung nur einen "politischen Puff" sah; weder im preußische"
Parlament noch im Staatsministerium, noch, um spätere Zeiten gleich mit ins
Auge zu fassen, im Bundesrate gab es damals irgend jemand, der gewußt
hätte, daß der Staat das Recht und die Pflicht hat, das Los der Arbeiter
auch durch positive Maßregeln so günstig zu gestalten, wie es mit Rücksicht
ans die Linas Million geschehen kann. Bei Bismarck stand das von vorn¬
herein fest. Nur in welcher Richtung sich die soziale Gesetzgebung zu bewegen
habe, darüber war er mit sich noch nicht im Reinen. Darum konnte es da¬
mals auch für ihn, sobald eine Aufforderung zu praktischem Eingreifen an ihn
herantrat, schlechterdings noch nichts andres als Versuche geben. Als aber
seine volkswirtschaftliche Lehrzeit zu Ende war, da hörten auch die Versuche
auf, und es traten feste Maßnahmen an ihre Stelle. Aber auch über diese
Versuche hat er nie Neue zu empfinden brauchen, weil er sie nicht unter¬
nommen hatte als spielender Dilettant, sondern als ein Mann, der eifrig und
ernst die Wahrheit sucht. Daher dürfte sich Bismarck noch in seiner Reichs¬
tagsrede vom 17. September 1878 rühmen: "Der Versuch entstand entweder
unter dem Eindruck von Lassalles Raisonnement oder unter dem Eindruck meiner
eignen Überzeugung, die ich zum Teil in England während eines Aufenthalts
im Jahre 1862 gewonnen hatte. Mir schien es, daß in der Herstellung von
Produktivassoziationeu, wie sie in England in blühenden Verhältnissen existiren,
die Möglichkeit liege, das Schicksal des Arbeiters zu verbessern, ihm einen
wesentlichen Teil des Unternehmens zuzuwenden. Ich habe darüber damals


Bismarck n»d die sozialpolitische Gesetzgebung

etwa prämienweise nicht unterstützen und befördern kann, wo sie sich gebildet
haben, das ist eine Frage, die meiner Ansicht nach nicht von vornherein z»
verneinen ist." Wie sehr ihn schon damals das Verlangen einer praktisch be¬
währten Erkenntnis in der Frage nach positiven Mitteln, mit denen der Staat
in die Wirtschaftsverhältnisse eingreifen könne und solle, beschäftigt, geht auch
ans dem Ersuchen hervor, das er an den Berliner Gelehrten Dr. Dühring
stellte. Dieser hatte sich auf dein Gebiete der Volkswirtschaftslehre durch sein
Buch: „Die kritischen Grundlagen der Volkswirtschaftslehre" das Vertrauen
Bismarcks erworben; er ersuchte ihn darum, eine Denkschrift abzufassen „über
die Bedingungen, unter denen sich seitens des Staates und in einem gewissen
Maße auch mit Staatsmitteln für die Arbeiter etwas thun läßt." So hat
sich schon in dieser Zeit, die noch vor den volkswirtschaftlichen Lehrjahren
Bismarcks liegt, sein sozialpolitischer Standpunkt geltend gemacht, der seine
Auffassung vom Wesen des Staates weit über die der damaligen Staats¬
männer, auch seiner Ministerkollegen, hinaushob, die alle dem Staat, und das
brachte man damals von der Universität mit, die Rolle des Sicherheits¬
beamten zuwiesen, eine Rolle, die treffend mit dem Ausdruck „Nachtwächter¬
staat" bezeichnet worden ist. Es war nicht bloß der damals wirtschaftlich
dominirende Schulze-Delitzsch mit seinem große» Anhange, der in dieser Bis-
marckschen Auffassung nur einen „politischen Puff" sah; weder im preußische»
Parlament noch im Staatsministerium, noch, um spätere Zeiten gleich mit ins
Auge zu fassen, im Bundesrate gab es damals irgend jemand, der gewußt
hätte, daß der Staat das Recht und die Pflicht hat, das Los der Arbeiter
auch durch positive Maßregeln so günstig zu gestalten, wie es mit Rücksicht
ans die Linas Million geschehen kann. Bei Bismarck stand das von vorn¬
herein fest. Nur in welcher Richtung sich die soziale Gesetzgebung zu bewegen
habe, darüber war er mit sich noch nicht im Reinen. Darum konnte es da¬
mals auch für ihn, sobald eine Aufforderung zu praktischem Eingreifen an ihn
herantrat, schlechterdings noch nichts andres als Versuche geben. Als aber
seine volkswirtschaftliche Lehrzeit zu Ende war, da hörten auch die Versuche
auf, und es traten feste Maßnahmen an ihre Stelle. Aber auch über diese
Versuche hat er nie Neue zu empfinden brauchen, weil er sie nicht unter¬
nommen hatte als spielender Dilettant, sondern als ein Mann, der eifrig und
ernst die Wahrheit sucht. Daher dürfte sich Bismarck noch in seiner Reichs¬
tagsrede vom 17. September 1878 rühmen: „Der Versuch entstand entweder
unter dem Eindruck von Lassalles Raisonnement oder unter dem Eindruck meiner
eignen Überzeugung, die ich zum Teil in England während eines Aufenthalts
im Jahre 1862 gewonnen hatte. Mir schien es, daß in der Herstellung von
Produktivassoziationeu, wie sie in England in blühenden Verhältnissen existiren,
die Möglichkeit liege, das Schicksal des Arbeiters zu verbessern, ihm einen
wesentlichen Teil des Unternehmens zuzuwenden. Ich habe darüber damals


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/350>, abgerufen am 22.07.2024.