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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Ghre

verkehrten Sache die Unbeugsamkeit; sie selbst nennen das Treue." Wer wird
bestreiten können, daß es sich anch in unserm Fall um eine höchst verwerfliche
Sache gehandelt hat? Hätte jener Gardekürassicr diese Auffassung gleich anfangs
gehegt und seinen leichtsinnigen Kameraden gegenüber mutvoll vertreten, hätte
er seiner sittlichen Überzeugung die Freundschaft, ja die Achtung jener, vielleicht
selbst seine Stellung geopfert, er stünde da als ein Held, der der Sympathie
des Publikums sicher wäre, und keineswegs bloß des bürgerliche". So aber
bewegt er sich ganz in dem Anschauungskreise seiner lockern Umgebung, und
er hätte sicher einem andern, der sich in seinem Falle befunden, mit derselben
kategorischen Bestimmtheit die Pistole auf den Tisch gelegt; er ändert seine
Theorie, die er soeben noch in weitesten Maße für sein eignes Interesse zu
verwerten gesucht hat, erst in dem kritischen Augenblicke, wo ihn die Praxis
das Leben kosten soll. Klar gesehen, handelt es sich hier um zwei Punkte.
Zunächst kommt der Bruch des Ehrenwortes in Betracht. In dem Schiller-
schen Gedichte hat Morus allerdings sein Wort -- ob es Ehrenwort oder
Manneswort heißt, ist ganz gleichgiltig -- unter ganz andern Umständen ein¬
gesetzt, als Graf Trask; aber an der Verbindlichkeit dieses Wortes ändert das
nichts. Denn das verpfändete Wort des Mannes hat einen absoluten Wert;
es bedeutet die ganze, volle Persönlichkeit dieses Mannes selber. Wer diese
auf das Spiel setzt, muß auch die furchtbaren Folgen tragen; schon ein solches
Spiel ist eine sittliche Krankheit, der Verlust heißt hier nichts andres als
sittlicher Tod. Er muß zu Grunde gehen, weil wir auch in unsrer sittlichen
Welt Prinzipien haben müssen von derselben unbedingten, unantastbaren Not¬
wendigkeit, wie die Natur der Körper; ohne die unerschütterliche Festigkeit
solcher Gesetze hätten wir hier wie dort ein Chaos. Graf Trask ist in dem
Augenblicke, wo er sein Ehrenwort verspielt hat, sittlich tot, und von diesem
Tode giebts so wenig eine Auferstehung, wie vom. leiblichen -- wenigstens in
dieser Welt. Er ist tot -- nicht bloß für seine Kameraden, sondern für alle,
die in der Unverbrüchlichkeit des Ehrenwortes mehr sehen, als ein Standes¬
vorurteil.

Dies erheischt nun freilich nicht auch den physischen Tod, macht den
Selbstmord nicht notwendig, aber es macht ihn begreiflich und jedenfalls
weniger verwerflich, als das fernere Verhalten des Grafen Trask. Hätte er
sich die Kugel durch den Kopf gejagt, so hätte die That hier nicht die Be¬
deutung eines Verzweiflungsaktes gehabt angesichts des Verlustes seiner Stel¬
lung, der Aussichtslosigkeit, im Kampf ums Dasein jemals wieder festen Fuß
zu fassen,^ sondern sie hätte beurteilt werden müssen als der Ausfluß des sitt¬
lichen Bedürfnisses, dnrch die freiwillige Vernichtung des eignen Selbst du'
Anerkennung jener so selbstsüchtig verletzten sittlichen Idee zu bethätigen und
so die eigne Schuld zu sühnen. Graf Trask fühlt dieses Bedürfnis nicht; das
Verständnis für die sittliche Bedeutung einer solche" Sühne, ist ihm plötzlich


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verkehrten Sache die Unbeugsamkeit; sie selbst nennen das Treue." Wer wird
bestreiten können, daß es sich anch in unserm Fall um eine höchst verwerfliche
Sache gehandelt hat? Hätte jener Gardekürassicr diese Auffassung gleich anfangs
gehegt und seinen leichtsinnigen Kameraden gegenüber mutvoll vertreten, hätte
er seiner sittlichen Überzeugung die Freundschaft, ja die Achtung jener, vielleicht
selbst seine Stellung geopfert, er stünde da als ein Held, der der Sympathie
des Publikums sicher wäre, und keineswegs bloß des bürgerliche«. So aber
bewegt er sich ganz in dem Anschauungskreise seiner lockern Umgebung, und
er hätte sicher einem andern, der sich in seinem Falle befunden, mit derselben
kategorischen Bestimmtheit die Pistole auf den Tisch gelegt; er ändert seine
Theorie, die er soeben noch in weitesten Maße für sein eignes Interesse zu
verwerten gesucht hat, erst in dem kritischen Augenblicke, wo ihn die Praxis
das Leben kosten soll. Klar gesehen, handelt es sich hier um zwei Punkte.
Zunächst kommt der Bruch des Ehrenwortes in Betracht. In dem Schiller-
schen Gedichte hat Morus allerdings sein Wort — ob es Ehrenwort oder
Manneswort heißt, ist ganz gleichgiltig — unter ganz andern Umständen ein¬
gesetzt, als Graf Trask; aber an der Verbindlichkeit dieses Wortes ändert das
nichts. Denn das verpfändete Wort des Mannes hat einen absoluten Wert;
es bedeutet die ganze, volle Persönlichkeit dieses Mannes selber. Wer diese
auf das Spiel setzt, muß auch die furchtbaren Folgen tragen; schon ein solches
Spiel ist eine sittliche Krankheit, der Verlust heißt hier nichts andres als
sittlicher Tod. Er muß zu Grunde gehen, weil wir auch in unsrer sittlichen
Welt Prinzipien haben müssen von derselben unbedingten, unantastbaren Not¬
wendigkeit, wie die Natur der Körper; ohne die unerschütterliche Festigkeit
solcher Gesetze hätten wir hier wie dort ein Chaos. Graf Trask ist in dem
Augenblicke, wo er sein Ehrenwort verspielt hat, sittlich tot, und von diesem
Tode giebts so wenig eine Auferstehung, wie vom. leiblichen — wenigstens in
dieser Welt. Er ist tot — nicht bloß für seine Kameraden, sondern für alle,
die in der Unverbrüchlichkeit des Ehrenwortes mehr sehen, als ein Standes¬
vorurteil.

Dies erheischt nun freilich nicht auch den physischen Tod, macht den
Selbstmord nicht notwendig, aber es macht ihn begreiflich und jedenfalls
weniger verwerflich, als das fernere Verhalten des Grafen Trask. Hätte er
sich die Kugel durch den Kopf gejagt, so hätte die That hier nicht die Be¬
deutung eines Verzweiflungsaktes gehabt angesichts des Verlustes seiner Stel¬
lung, der Aussichtslosigkeit, im Kampf ums Dasein jemals wieder festen Fuß
zu fassen,^ sondern sie hätte beurteilt werden müssen als der Ausfluß des sitt¬
lichen Bedürfnisses, dnrch die freiwillige Vernichtung des eignen Selbst du'
Anerkennung jener so selbstsüchtig verletzten sittlichen Idee zu bethätigen und
so die eigne Schuld zu sühnen. Graf Trask fühlt dieses Bedürfnis nicht; das
Verständnis für die sittliche Bedeutung einer solche« Sühne, ist ihm plötzlich


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[0320] Die Ghre verkehrten Sache die Unbeugsamkeit; sie selbst nennen das Treue." Wer wird bestreiten können, daß es sich anch in unserm Fall um eine höchst verwerfliche Sache gehandelt hat? Hätte jener Gardekürassicr diese Auffassung gleich anfangs gehegt und seinen leichtsinnigen Kameraden gegenüber mutvoll vertreten, hätte er seiner sittlichen Überzeugung die Freundschaft, ja die Achtung jener, vielleicht selbst seine Stellung geopfert, er stünde da als ein Held, der der Sympathie des Publikums sicher wäre, und keineswegs bloß des bürgerliche«. So aber bewegt er sich ganz in dem Anschauungskreise seiner lockern Umgebung, und er hätte sicher einem andern, der sich in seinem Falle befunden, mit derselben kategorischen Bestimmtheit die Pistole auf den Tisch gelegt; er ändert seine Theorie, die er soeben noch in weitesten Maße für sein eignes Interesse zu verwerten gesucht hat, erst in dem kritischen Augenblicke, wo ihn die Praxis das Leben kosten soll. Klar gesehen, handelt es sich hier um zwei Punkte. Zunächst kommt der Bruch des Ehrenwortes in Betracht. In dem Schiller- schen Gedichte hat Morus allerdings sein Wort — ob es Ehrenwort oder Manneswort heißt, ist ganz gleichgiltig — unter ganz andern Umständen ein¬ gesetzt, als Graf Trask; aber an der Verbindlichkeit dieses Wortes ändert das nichts. Denn das verpfändete Wort des Mannes hat einen absoluten Wert; es bedeutet die ganze, volle Persönlichkeit dieses Mannes selber. Wer diese auf das Spiel setzt, muß auch die furchtbaren Folgen tragen; schon ein solches Spiel ist eine sittliche Krankheit, der Verlust heißt hier nichts andres als sittlicher Tod. Er muß zu Grunde gehen, weil wir auch in unsrer sittlichen Welt Prinzipien haben müssen von derselben unbedingten, unantastbaren Not¬ wendigkeit, wie die Natur der Körper; ohne die unerschütterliche Festigkeit solcher Gesetze hätten wir hier wie dort ein Chaos. Graf Trask ist in dem Augenblicke, wo er sein Ehrenwort verspielt hat, sittlich tot, und von diesem Tode giebts so wenig eine Auferstehung, wie vom. leiblichen — wenigstens in dieser Welt. Er ist tot — nicht bloß für seine Kameraden, sondern für alle, die in der Unverbrüchlichkeit des Ehrenwortes mehr sehen, als ein Standes¬ vorurteil. Dies erheischt nun freilich nicht auch den physischen Tod, macht den Selbstmord nicht notwendig, aber es macht ihn begreiflich und jedenfalls weniger verwerflich, als das fernere Verhalten des Grafen Trask. Hätte er sich die Kugel durch den Kopf gejagt, so hätte die That hier nicht die Be¬ deutung eines Verzweiflungsaktes gehabt angesichts des Verlustes seiner Stel¬ lung, der Aussichtslosigkeit, im Kampf ums Dasein jemals wieder festen Fuß zu fassen,^ sondern sie hätte beurteilt werden müssen als der Ausfluß des sitt¬ lichen Bedürfnisses, dnrch die freiwillige Vernichtung des eignen Selbst du' Anerkennung jener so selbstsüchtig verletzten sittlichen Idee zu bethätigen und so die eigne Schuld zu sühnen. Graf Trask fühlt dieses Bedürfnis nicht; das Verständnis für die sittliche Bedeutung einer solche« Sühne, ist ihm plötzlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/320>, abgerufen am 29.12.2024.