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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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der Vater des jetzigen Präsidenten, der Schriftsteller Jules Chevallier, der
Advokat Duveyrier, der Komponist Fetialen David und drei jüdische Geld¬
männer, Eichthal, Rodriguez und Pereire, von denen der letztere später durch
ungeheure Unternehmungen eine europäische Berühmtheit wurde. Die Se. Simo-
nisten gaben ihrem anfänglich lockern Verbände eine festere Form, indem sie
ihn zur "Familie" mit zwei "oberste" Vätern," Bazard und Enfantin, um¬
bildeten. Doch sollte zunächst noch nicht mit dem Leben als Familie begonnen,
sondern nnr dessen Theorie festgestellt werden. Vom Pantheismus ausgehend,
der ebenso hoch über dem Monotheismus, wie dieser über dem Polytheismus
stehe" sollte, wollte man vor allem die christliche Ansicht vom Gegensatze
zwischen Geist und Fleisch beseitigt sehen oder "den Stoff wieder in seine Rechte
einsetzen." Zur Vermittlung der sinnlichen und der übersinnlichen Welt wurde
aber doch ein Priestertum für nötig erachtet, nämlich ein Priestertum der
Schönheit, der Liebe und der Kunst. Die Gleichstellung von Mann und Weib
verstand sich dabei von selbst, ebenso war es ganz, natürlich, daß die Priester¬
schaft zwischen beiden Geschlechtern geteilt sein und ihre höchste Verkörperung
!u einem Paare an der Spitze der "Familie" finden sollte, die schließlich die
gesamte Menschheit zu umfassen bestimmt war. Solche Lehren, die vorzüglich
Enfantin aufhält", wurde" zuerst in den öffentliche" Versammlungen der Sekte
und in ihrem Preßorgan mit dem Feuer der begeisterten Überzeugung vor¬
getragen; bald aber ging das neue Evangelium auch in Gestalt vou Reise-
predigeru in die Provinzen hinaus, und zwar mit dem größte" Erfolge,
namentlich i" den Kreisen der Gebildeten und Wohlhabenden., Nüchterne
Fabrikanten, Kaufleute und Bankiers bekannten sich dazu nicht bloß mit Worten,
sondern mit der That. Die klingende" Beweise dieser Beistimmung gingen bei
de" "obern Vätern" so reichlich ein, daß sie, die früher schon die Deputirtenkammer
durch eine Adresse in" Aufhebung aller Privilegien und des Erbrechts a"gega"ge"
hatte", uni dem Müßiggange ein Ende zu machen, sich aufgefordert fühlte", mit
dem König wegen gütlicher Abtretung seiner Negierungsrechte in Unterhandlung
zu trete" und ihm i" zweiter Reihe den Vorschlag zu machen, er möge ihnen
wenigstens eins seiner Pariser Schlösser gegen angemessene" Mietpreis einräumen.

Während aber der äußere Erfolg der Se. Simonisten "och im Wachsen
war, begann auch der innere Verfall, der sich mit Enfantins religiöser
Schwärmerei eingefunden hatte. Es war nicht sowohl sein Dogma, Se. Simon
sei ein Messias größer als Moses, auch nicht sein moralischer Grundsatz:
"Heiligt euch durch Arbeit und Vergnügen," wenn es Ende 1831 zu einem
Schisma in der Schule kam, sondern die Folgerungen, die er aus der Theorie
von der Emanzipation des Fleisches zog, und die freie Stellung, die er dem
Weibe in der "Familie" anwies, und in der dem Priestertum eine Art se>8
urimÄv uootis zukam. Bazard und andre namhafte Mitglieder der neuen
Heiligen konnte" ihm hier nicht folge" und schieden aus. Die Sache wurde


der Vater des jetzigen Präsidenten, der Schriftsteller Jules Chevallier, der
Advokat Duveyrier, der Komponist Fetialen David und drei jüdische Geld¬
männer, Eichthal, Rodriguez und Pereire, von denen der letztere später durch
ungeheure Unternehmungen eine europäische Berühmtheit wurde. Die Se. Simo-
nisten gaben ihrem anfänglich lockern Verbände eine festere Form, indem sie
ihn zur „Familie" mit zwei „oberste« Vätern," Bazard und Enfantin, um¬
bildeten. Doch sollte zunächst noch nicht mit dem Leben als Familie begonnen,
sondern nnr dessen Theorie festgestellt werden. Vom Pantheismus ausgehend,
der ebenso hoch über dem Monotheismus, wie dieser über dem Polytheismus
stehe» sollte, wollte man vor allem die christliche Ansicht vom Gegensatze
zwischen Geist und Fleisch beseitigt sehen oder „den Stoff wieder in seine Rechte
einsetzen." Zur Vermittlung der sinnlichen und der übersinnlichen Welt wurde
aber doch ein Priestertum für nötig erachtet, nämlich ein Priestertum der
Schönheit, der Liebe und der Kunst. Die Gleichstellung von Mann und Weib
verstand sich dabei von selbst, ebenso war es ganz, natürlich, daß die Priester¬
schaft zwischen beiden Geschlechtern geteilt sein und ihre höchste Verkörperung
!u einem Paare an der Spitze der „Familie" finden sollte, die schließlich die
gesamte Menschheit zu umfassen bestimmt war. Solche Lehren, die vorzüglich
Enfantin aufhält», wurde» zuerst in den öffentliche» Versammlungen der Sekte
und in ihrem Preßorgan mit dem Feuer der begeisterten Überzeugung vor¬
getragen; bald aber ging das neue Evangelium auch in Gestalt vou Reise-
predigeru in die Provinzen hinaus, und zwar mit dem größte» Erfolge,
namentlich i» den Kreisen der Gebildeten und Wohlhabenden., Nüchterne
Fabrikanten, Kaufleute und Bankiers bekannten sich dazu nicht bloß mit Worten,
sondern mit der That. Die klingende» Beweise dieser Beistimmung gingen bei
de» „obern Vätern" so reichlich ein, daß sie, die früher schon die Deputirtenkammer
durch eine Adresse in» Aufhebung aller Privilegien und des Erbrechts a»gega»ge»
hatte», uni dem Müßiggange ein Ende zu machen, sich aufgefordert fühlte», mit
dem König wegen gütlicher Abtretung seiner Negierungsrechte in Unterhandlung
zu trete» und ihm i» zweiter Reihe den Vorschlag zu machen, er möge ihnen
wenigstens eins seiner Pariser Schlösser gegen angemessene» Mietpreis einräumen.

Während aber der äußere Erfolg der Se. Simonisten »och im Wachsen
war, begann auch der innere Verfall, der sich mit Enfantins religiöser
Schwärmerei eingefunden hatte. Es war nicht sowohl sein Dogma, Se. Simon
sei ein Messias größer als Moses, auch nicht sein moralischer Grundsatz:
„Heiligt euch durch Arbeit und Vergnügen," wenn es Ende 1831 zu einem
Schisma in der Schule kam, sondern die Folgerungen, die er aus der Theorie
von der Emanzipation des Fleisches zog, und die freie Stellung, die er dem
Weibe in der „Familie" anwies, und in der dem Priestertum eine Art se>8
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Heiligen konnte» ihm hier nicht folge» und schieden aus. Die Sache wurde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/32>, abgerufen am 22.07.2024.