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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Jugendjahren d?r 5c>zilil!?cinokra<le

Sie sind im wesentlichen zunächst eine Verurteilung der Zustände in der
heutigen menschlichen Gesellschaft. Druck und Unnatur herrschen allenthalben.
Die arbeitende Welt besonders ist ein Bild trostlosen Elends. Die neueste
Geschichte und die Gegenwart zeigen, das; dieser unmöglich von Gott selbst
gewollte Zustand davon herkommt, daß alle Verhältnisse vom systematisch ge¬
ordneten Egoismus beherrscht werden, der die Arbeitskraft dem Kapital unter¬
worfen und die Ausbeutung des Meuscheu durch den Menschen organisirt und
zu einem überall giltigen Rechte erhoben hat, und der nach dem irreligiösen
Grundsatze verfährt: jeder für sich und Gott sür uns alle. Das aber wider¬
spricht dem Höchste" und Besten in der Menschennatur, und um dem abzu¬
helfen und für die Welt die wahre Freiheit und Gleichheit zurückzugewinnen,
giebt es nnr ein Mittel, die unablässige Verbesserung der zahlreichsten und
untersten Klasse nach ihrem sittlichen, geistigen und leiblichen Zustande, die
Befreiung der Arbeit vom Joche des Kapitals. Soll dieser ihr Recht werden,
soll die Erhebung des Proletariers zu der ihm gebührenden Stellung erfolgen,
so ist jenem Rechte das Recht des Eigentums unterzuordnen und das Dasein
des letztern von dem Dasein, dem Werte und Maße der Arbeit des Ein¬
zelnen abhängig zu macheu. Zu diesem Zwecke muß zuvörderst die Übertragung
des Eigentums, die ohne wirkliches Verdienst des Einzelnen vor sich geht, be¬
seitigt werden: das Erbrecht ist abzuschaffen, der Staat tritt fortan an die
Stelle der Erben und wird so allmählich zum Besitzer alles Eigentums seiner
Angehörigen, wodurch er die Mittel in die Hände bekommt, dieses Gesamt-
eigentum'so zu verteilen, wie es das wahre Recht verlangt, d. h. nach dem
einfachen Grundsätze: jeder werde nach seiner Fähigkeit, jede Fähigkeit nach
dein Maße und Werte ihrer Arbeit belohnt. Dies wird durch eine Organisation
besorgt, die sich in Gestalt von bartartigen Einrichtungen mit einer Zentral¬
bank an der Spitze über alle Provinzen und Gemeinden des Landen verbreitet.

Jeder sei Eigentümer nach seiner Fähigkeit und seiner Arbeit, das war der
Kern der Lehre der Se. Simonisten, der ersten Sozinlisten der neuen Zeit. Dieser
Gedanke allem hat die Schule überlebt, was sie sonst wollte und schuf, verlor
sich bald in Sinnlosigkeiten und innere Unmöglichkeiten, Possenspiel und Karri-
katur. Vor der Hand aber nahm die Schule mit der Julirevolution, die die
Geister aufrüttelt/und ihnen neue Probleme stellte, an Umfang und Ansehen
Zu, besonders als sie sich des (Uodo, des bisherigen Organs der Doktrinärs,
bemächtigten und damit eine feste Stellung in der Öffentlichkeit gewannen, die
sie mit Eifer und Erfolg benutzten, um sich Gehör und Anhang zu verschaffen.
Der Zuwachs, den sie erhielten, war allerdings nicht so zahlreich als wertvoll,
°" er meist in jungen Leuten der gebildeten Stände bestand, die Begabung
und feurige Begeisterung mitbrachten, und von denen einige später eine große
Rolle spielten oder doch viel von sich reden machten. So die Philosophen
Leroux und Jean Reynaud, der republikanische Abgeordnete Carnot,


Aus den Jugendjahren d?r 5c>zilil!?cinokra<le

Sie sind im wesentlichen zunächst eine Verurteilung der Zustände in der
heutigen menschlichen Gesellschaft. Druck und Unnatur herrschen allenthalben.
Die arbeitende Welt besonders ist ein Bild trostlosen Elends. Die neueste
Geschichte und die Gegenwart zeigen, das; dieser unmöglich von Gott selbst
gewollte Zustand davon herkommt, daß alle Verhältnisse vom systematisch ge¬
ordneten Egoismus beherrscht werden, der die Arbeitskraft dem Kapital unter¬
worfen und die Ausbeutung des Meuscheu durch den Menschen organisirt und
zu einem überall giltigen Rechte erhoben hat, und der nach dem irreligiösen
Grundsatze verfährt: jeder für sich und Gott sür uns alle. Das aber wider¬
spricht dem Höchste» und Besten in der Menschennatur, und um dem abzu¬
helfen und für die Welt die wahre Freiheit und Gleichheit zurückzugewinnen,
giebt es nnr ein Mittel, die unablässige Verbesserung der zahlreichsten und
untersten Klasse nach ihrem sittlichen, geistigen und leiblichen Zustande, die
Befreiung der Arbeit vom Joche des Kapitals. Soll dieser ihr Recht werden,
soll die Erhebung des Proletariers zu der ihm gebührenden Stellung erfolgen,
so ist jenem Rechte das Recht des Eigentums unterzuordnen und das Dasein
des letztern von dem Dasein, dem Werte und Maße der Arbeit des Ein¬
zelnen abhängig zu macheu. Zu diesem Zwecke muß zuvörderst die Übertragung
des Eigentums, die ohne wirkliches Verdienst des Einzelnen vor sich geht, be¬
seitigt werden: das Erbrecht ist abzuschaffen, der Staat tritt fortan an die
Stelle der Erben und wird so allmählich zum Besitzer alles Eigentums seiner
Angehörigen, wodurch er die Mittel in die Hände bekommt, dieses Gesamt-
eigentum'so zu verteilen, wie es das wahre Recht verlangt, d. h. nach dem
einfachen Grundsätze: jeder werde nach seiner Fähigkeit, jede Fähigkeit nach
dein Maße und Werte ihrer Arbeit belohnt. Dies wird durch eine Organisation
besorgt, die sich in Gestalt von bartartigen Einrichtungen mit einer Zentral¬
bank an der Spitze über alle Provinzen und Gemeinden des Landen verbreitet.

Jeder sei Eigentümer nach seiner Fähigkeit und seiner Arbeit, das war der
Kern der Lehre der Se. Simonisten, der ersten Sozinlisten der neuen Zeit. Dieser
Gedanke allem hat die Schule überlebt, was sie sonst wollte und schuf, verlor
sich bald in Sinnlosigkeiten und innere Unmöglichkeiten, Possenspiel und Karri-
katur. Vor der Hand aber nahm die Schule mit der Julirevolution, die die
Geister aufrüttelt/und ihnen neue Probleme stellte, an Umfang und Ansehen
Zu, besonders als sie sich des (Uodo, des bisherigen Organs der Doktrinärs,
bemächtigten und damit eine feste Stellung in der Öffentlichkeit gewannen, die
sie mit Eifer und Erfolg benutzten, um sich Gehör und Anhang zu verschaffen.
Der Zuwachs, den sie erhielten, war allerdings nicht so zahlreich als wertvoll,
°" er meist in jungen Leuten der gebildeten Stände bestand, die Begabung
und feurige Begeisterung mitbrachten, und von denen einige später eine große
Rolle spielten oder doch viel von sich reden machten. So die Philosophen
Leroux und Jean Reynaud, der republikanische Abgeordnete Carnot,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/31>, abgerufen am 22.07.2024.