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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Lessings Amisgenosse in wolfenbüttel

Es ist ein schönes Zeugnis für Lessings Großmut und angeborene Herzens¬
güte, daß er, dem doch nach fast einjährigen Aufenthalt in Wolfenbüttel die
trostlose Lage seines Unterbeamten und dessen völlige Unfähigkeit, ihm je in
seinem Leben gerecht zu werden, schwerlich unbekannt geblieben waren, hier dem
bedrängten Manne, der überall vergebens nach Rettung ausschaute, ohne Be¬
sinnen helfend zur Seite trat. Und diese hochherzige Gesinnung wird erst in
das rechte Licht gestellt, wenn nun erwägt, in welchen bedrängten Verhält¬
nissen sich Lessing damals selbst befand. "Ich stecke -- so hatte er zu An-
fang des Jahres 1770, kurz vor seiner Übersiedelung nach Wolfenbüttel von
Hamburg aus seinem Bruder geschrieben") -- ich stecke hier in Schulden bis
über die Ohren und sehe schlechterdings noch nicht ub, wie ich mit Ehren weg¬
kommen will. Ehe ich in Wolfenbüttel eingerichtet bin, werde ich von meinem
ordentlichen Gehalte wenig erübrigen können." In der That hatten sich seine
Vermögensverhältnisse in der kurzen Zeit seines Wolfenbüttler Aufenthaltes nicht
gebessert, eher verschlechtert. Dennoch stellte er jetzt für den bedrängten Cichin den
schon erwähnten, vom 3. November 1770 datirten Bürgschein aus, der hier als ein
bisher noch nicht bekanntes Zeugnis seiner Herzensgüte mitgeteilt werden
möge: "Ich Endesunterschriebener bekenne hiemit, daß ich gegen Auslieferung
des bey dem Fürstl. Policey-Amte hieselbst äexomerten Liioliinischen zu
121 ri. ausgestellte" Original-Wechsels für die der Frau Hofrichteriu
von Llmrxön, daraus zukommende 110 ri., schreibe Hundert zehn Thaler,
Bürge und Selbstschulduer seyn wolle, dergestalt, daß, wenn der Herr Lsoro
tÄrius von Lüczliin längsten binnen heute-elicko über 14 Tage, folglich bis den
17. Lorrontis noch nicht würde bezahlt haben, ein Fürstl. Policey-Amt besagte
110 ri. von mir unvcrweigerlich, und ohne weitere Wiederrede empfangen
solle, dagegen der auferlegte Nöndlös-Arrest bey Auslieferung dieses Bürg¬
scheins nicht allein gehoben, sondern auch der Herr LsorotÄiius von (lie.tun
von ungerichtlicher Einquartierung und In8uItgUc>n in seiner Wohnung Polieey-
mäßig geschützet werden müsse. Gehorsamst Lessing Libliottieoarins."

Der Landesfisknl Dedetind erklärte sich nun, obgleich Cichiu "Lessings
Bürgschaft auf diese Art nicht auucihm, weil er den ehrlichen Maun vor seine
Gutheit uicht in seine Verdrießlichkeiten mengen und am Ende einer Verlegen¬
heit aussetzen" wollte, für zufriedengestellt, der streitfertige Manu konnte es
aber doch nicht unterlassen, gegen die Schlußworte von Lessings Schein Ver¬
wahrung einzulegen. In einem an das Hvchfürstliche Pvlieei-Amt gerichteten
?rvroMiorIg, vom 3. November schreibt er: "Ich bin dem Herrn IZidliotli"-
v-u-lo I.088inF sehr verdürbe", daß er durch seiue Bürgschaft der gegen den
Herrn KöorotiU'inen von Liotckn nothwendig gewesenen Härte ein Ende macht.
Was bey dieser Bürgschaft annoch mit Grnnde erinnert werden könnte, wird



Werke XX, 1, Ur. >"7.
Lessings Amisgenosse in wolfenbüttel

Es ist ein schönes Zeugnis für Lessings Großmut und angeborene Herzens¬
güte, daß er, dem doch nach fast einjährigen Aufenthalt in Wolfenbüttel die
trostlose Lage seines Unterbeamten und dessen völlige Unfähigkeit, ihm je in
seinem Leben gerecht zu werden, schwerlich unbekannt geblieben waren, hier dem
bedrängten Manne, der überall vergebens nach Rettung ausschaute, ohne Be¬
sinnen helfend zur Seite trat. Und diese hochherzige Gesinnung wird erst in
das rechte Licht gestellt, wenn nun erwägt, in welchen bedrängten Verhält¬
nissen sich Lessing damals selbst befand. „Ich stecke — so hatte er zu An-
fang des Jahres 1770, kurz vor seiner Übersiedelung nach Wolfenbüttel von
Hamburg aus seinem Bruder geschrieben") — ich stecke hier in Schulden bis
über die Ohren und sehe schlechterdings noch nicht ub, wie ich mit Ehren weg¬
kommen will. Ehe ich in Wolfenbüttel eingerichtet bin, werde ich von meinem
ordentlichen Gehalte wenig erübrigen können." In der That hatten sich seine
Vermögensverhältnisse in der kurzen Zeit seines Wolfenbüttler Aufenthaltes nicht
gebessert, eher verschlechtert. Dennoch stellte er jetzt für den bedrängten Cichin den
schon erwähnten, vom 3. November 1770 datirten Bürgschein aus, der hier als ein
bisher noch nicht bekanntes Zeugnis seiner Herzensgüte mitgeteilt werden
möge: „Ich Endesunterschriebener bekenne hiemit, daß ich gegen Auslieferung
des bey dem Fürstl. Policey-Amte hieselbst äexomerten Liioliinischen zu
121 ri. ausgestellte« Original-Wechsels für die der Frau Hofrichteriu
von Llmrxön, daraus zukommende 110 ri., schreibe Hundert zehn Thaler,
Bürge und Selbstschulduer seyn wolle, dergestalt, daß, wenn der Herr Lsoro
tÄrius von Lüczliin längsten binnen heute-elicko über 14 Tage, folglich bis den
17. Lorrontis noch nicht würde bezahlt haben, ein Fürstl. Policey-Amt besagte
110 ri. von mir unvcrweigerlich, und ohne weitere Wiederrede empfangen
solle, dagegen der auferlegte Nöndlös-Arrest bey Auslieferung dieses Bürg¬
scheins nicht allein gehoben, sondern auch der Herr LsorotÄiius von (lie.tun
von ungerichtlicher Einquartierung und In8uItgUc>n in seiner Wohnung Polieey-
mäßig geschützet werden müsse. Gehorsamst Lessing Libliottieoarins."

Der Landesfisknl Dedetind erklärte sich nun, obgleich Cichiu „Lessings
Bürgschaft auf diese Art nicht auucihm, weil er den ehrlichen Maun vor seine
Gutheit uicht in seine Verdrießlichkeiten mengen und am Ende einer Verlegen¬
heit aussetzen" wollte, für zufriedengestellt, der streitfertige Manu konnte es
aber doch nicht unterlassen, gegen die Schlußworte von Lessings Schein Ver¬
wahrung einzulegen. In einem an das Hvchfürstliche Pvlieei-Amt gerichteten
?rvroMiorIg, vom 3. November schreibt er: „Ich bin dem Herrn IZidliotli«-
v-u-lo I.088inF sehr verdürbe», daß er durch seiue Bürgschaft der gegen den
Herrn KöorotiU'inen von Liotckn nothwendig gewesenen Härte ein Ende macht.
Was bey dieser Bürgschaft annoch mit Grnnde erinnert werden könnte, wird



Werke XX, 1, Ur. >«7.
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[0272] Lessings Amisgenosse in wolfenbüttel Es ist ein schönes Zeugnis für Lessings Großmut und angeborene Herzens¬ güte, daß er, dem doch nach fast einjährigen Aufenthalt in Wolfenbüttel die trostlose Lage seines Unterbeamten und dessen völlige Unfähigkeit, ihm je in seinem Leben gerecht zu werden, schwerlich unbekannt geblieben waren, hier dem bedrängten Manne, der überall vergebens nach Rettung ausschaute, ohne Be¬ sinnen helfend zur Seite trat. Und diese hochherzige Gesinnung wird erst in das rechte Licht gestellt, wenn nun erwägt, in welchen bedrängten Verhält¬ nissen sich Lessing damals selbst befand. „Ich stecke — so hatte er zu An- fang des Jahres 1770, kurz vor seiner Übersiedelung nach Wolfenbüttel von Hamburg aus seinem Bruder geschrieben") — ich stecke hier in Schulden bis über die Ohren und sehe schlechterdings noch nicht ub, wie ich mit Ehren weg¬ kommen will. Ehe ich in Wolfenbüttel eingerichtet bin, werde ich von meinem ordentlichen Gehalte wenig erübrigen können." In der That hatten sich seine Vermögensverhältnisse in der kurzen Zeit seines Wolfenbüttler Aufenthaltes nicht gebessert, eher verschlechtert. Dennoch stellte er jetzt für den bedrängten Cichin den schon erwähnten, vom 3. November 1770 datirten Bürgschein aus, der hier als ein bisher noch nicht bekanntes Zeugnis seiner Herzensgüte mitgeteilt werden möge: „Ich Endesunterschriebener bekenne hiemit, daß ich gegen Auslieferung des bey dem Fürstl. Policey-Amte hieselbst äexomerten Liioliinischen zu 121 ri. ausgestellte« Original-Wechsels für die der Frau Hofrichteriu von Llmrxön, daraus zukommende 110 ri., schreibe Hundert zehn Thaler, Bürge und Selbstschulduer seyn wolle, dergestalt, daß, wenn der Herr Lsoro tÄrius von Lüczliin längsten binnen heute-elicko über 14 Tage, folglich bis den 17. Lorrontis noch nicht würde bezahlt haben, ein Fürstl. Policey-Amt besagte 110 ri. von mir unvcrweigerlich, und ohne weitere Wiederrede empfangen solle, dagegen der auferlegte Nöndlös-Arrest bey Auslieferung dieses Bürg¬ scheins nicht allein gehoben, sondern auch der Herr LsorotÄiius von (lie.tun von ungerichtlicher Einquartierung und In8uItgUc>n in seiner Wohnung Polieey- mäßig geschützet werden müsse. Gehorsamst Lessing Libliottieoarins." Der Landesfisknl Dedetind erklärte sich nun, obgleich Cichiu „Lessings Bürgschaft auf diese Art nicht auucihm, weil er den ehrlichen Maun vor seine Gutheit uicht in seine Verdrießlichkeiten mengen und am Ende einer Verlegen¬ heit aussetzen" wollte, für zufriedengestellt, der streitfertige Manu konnte es aber doch nicht unterlassen, gegen die Schlußworte von Lessings Schein Ver¬ wahrung einzulegen. In einem an das Hvchfürstliche Pvlieei-Amt gerichteten ?rvroMiorIg, vom 3. November schreibt er: „Ich bin dem Herrn IZidliotli«- v-u-lo I.088inF sehr verdürbe», daß er durch seiue Bürgschaft der gegen den Herrn KöorotiU'inen von Liotckn nothwendig gewesenen Härte ein Ende macht. Was bey dieser Bürgschaft annoch mit Grnnde erinnert werden könnte, wird Werke XX, 1, Ur. >«7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/272>, abgerufen am 04.07.2024.