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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Ans den Iugendjcchreil der Sozialdemokratie

vorzubereiten. Schon bei den Volksaufläufen während der Kammerverhand¬
lungen über die von der Regierung vorgelegten reaktionären Gesetzentwürfe
hatte dieser Ausschuß die Hand im Spiele gehabt; die Hauptsache aber sollte
eine von ihm augestiftete Militärverschwöruug thun, die sich über einen großen
Teil der Besatzung von Paris und dessen Nachbarschaft ausbreitete, besonders
Unteroffiziere und Offiziere bis zum Major zu Mitgliedern hatte, aber auch
von einigen Obersten und Generalen begünstigt wurde, und deren Plan dahin
ging, sich des festen Schlosses Vincennes zu bemächtigen, dort eine provisorische
Regierung einzurichten und vou dort aus die benachbarten Vorstädte Se. Antoine
und Se. Marceau zum Aufstande gegen die Bourbonen aufzufordern. Gleich¬
zeitig sollte die Empörung in andern Städten Frankreichs ausbrechen. Ein
Zufall, das Auffliegen eines Pulverturmes in Vincennes, vereitelte das Unter¬
nehmen, das in der Nacht vom 1'^. zum 20. August 1820 ausgeführt werde"
sollte. Aber der Hochverratsprozeß, der nun folgte, erreichte die Männer des
revolutionären Zentralkomitees nicht, und bald hatten sie, unterstützt durch den
Eindruck, den eine ultrarvhalistische Kammer und ein gleichartiges Ministerium,
die Früchte des neuen Wahlgesetzes, auf die Liberalen im Lande gemacht hatten,
zwei andre geheime Gesellschaften für einen Aufstand zur Verfügung, der zu
gleicher Zeit im Osten und im Westen Frankreichs nusbrecheu sollte. Die eine
dieser Verbindungen, die ihren Mittelpunkt in Sauiuur hatte und sich von
hier rasch über alle Städte des Loiregebietes verzweigte, sodaß die Zahl ihrer
Mitglieder zuletzt auf 30 000 bis 40 000 geschätzt wurde, nannte sich die
"Ritter der Freiheit." Die andre war nach dem Muster und unter dem Namen
der italienischen Carbonari in Paris von Studenten und andern jungen Leuten
gegründet worden, die, als sie ihre Ohnmacht begriffen hatten, Männer von
Ansehen und Einfluß um Anschluß an ihre Genossenschaft angingen. Lafnyette
willigte sofort ein und trat an die Spitze der "obersten Venta" des Bundes.
Ihm folgten die meisten Mitglieder des leitenden Ausschusses vou 1820:
Voher d'Argenson, CvreelleS, die Generale Thiard und Tarayre, der Maler
Ary Scheffer, der Fabrikant Köchliu und der Gerichtsrnt Schonen. Die beiden
letzten waren aus dem Elsaß, das nun durch ihre Bemühungen für die beab¬
sichtigte Revolution vorbereitet wurde. Im Laufe des Sommers vereinigten
sich die "Carbonnri" nnter Leitung des Pariser Zeutralnusschusses mit den
"Rittern der Freiheit." Ausgesprochener Zweck der Verschworenen war der
Sturz der regierenden Dynastie; das Weitere wurde einer dann einznbernfendeu
Nationalversammlung überlassen, von der die einen Erklärung der Republik,
die andern die Erhebung Louis Philipps, des Herzogs von Orleans, noch
andre die Wiederherstellung des Kaisertums unter Napoleon II. hofften. Der
Aufstand sollte in den letzten Dezembertngen von 1821 im Elsaß seinen Anfang
nehmen, wo die Verschwörung unter den Besatzungen der festen Plätze, sowie
unter der bürgerlichen Bevölkerung viele Anhänger zählte. Zuerst gedachte


Ans den Iugendjcchreil der Sozialdemokratie

vorzubereiten. Schon bei den Volksaufläufen während der Kammerverhand¬
lungen über die von der Regierung vorgelegten reaktionären Gesetzentwürfe
hatte dieser Ausschuß die Hand im Spiele gehabt; die Hauptsache aber sollte
eine von ihm augestiftete Militärverschwöruug thun, die sich über einen großen
Teil der Besatzung von Paris und dessen Nachbarschaft ausbreitete, besonders
Unteroffiziere und Offiziere bis zum Major zu Mitgliedern hatte, aber auch
von einigen Obersten und Generalen begünstigt wurde, und deren Plan dahin
ging, sich des festen Schlosses Vincennes zu bemächtigen, dort eine provisorische
Regierung einzurichten und vou dort aus die benachbarten Vorstädte Se. Antoine
und Se. Marceau zum Aufstande gegen die Bourbonen aufzufordern. Gleich¬
zeitig sollte die Empörung in andern Städten Frankreichs ausbrechen. Ein
Zufall, das Auffliegen eines Pulverturmes in Vincennes, vereitelte das Unter¬
nehmen, das in der Nacht vom 1'^. zum 20. August 1820 ausgeführt werde»
sollte. Aber der Hochverratsprozeß, der nun folgte, erreichte die Männer des
revolutionären Zentralkomitees nicht, und bald hatten sie, unterstützt durch den
Eindruck, den eine ultrarvhalistische Kammer und ein gleichartiges Ministerium,
die Früchte des neuen Wahlgesetzes, auf die Liberalen im Lande gemacht hatten,
zwei andre geheime Gesellschaften für einen Aufstand zur Verfügung, der zu
gleicher Zeit im Osten und im Westen Frankreichs nusbrecheu sollte. Die eine
dieser Verbindungen, die ihren Mittelpunkt in Sauiuur hatte und sich von
hier rasch über alle Städte des Loiregebietes verzweigte, sodaß die Zahl ihrer
Mitglieder zuletzt auf 30 000 bis 40 000 geschätzt wurde, nannte sich die
„Ritter der Freiheit." Die andre war nach dem Muster und unter dem Namen
der italienischen Carbonari in Paris von Studenten und andern jungen Leuten
gegründet worden, die, als sie ihre Ohnmacht begriffen hatten, Männer von
Ansehen und Einfluß um Anschluß an ihre Genossenschaft angingen. Lafnyette
willigte sofort ein und trat an die Spitze der „obersten Venta" des Bundes.
Ihm folgten die meisten Mitglieder des leitenden Ausschusses vou 1820:
Voher d'Argenson, CvreelleS, die Generale Thiard und Tarayre, der Maler
Ary Scheffer, der Fabrikant Köchliu und der Gerichtsrnt Schonen. Die beiden
letzten waren aus dem Elsaß, das nun durch ihre Bemühungen für die beab¬
sichtigte Revolution vorbereitet wurde. Im Laufe des Sommers vereinigten
sich die „Carbonnri" nnter Leitung des Pariser Zeutralnusschusses mit den
„Rittern der Freiheit." Ausgesprochener Zweck der Verschworenen war der
Sturz der regierenden Dynastie; das Weitere wurde einer dann einznbernfendeu
Nationalversammlung überlassen, von der die einen Erklärung der Republik,
die andern die Erhebung Louis Philipps, des Herzogs von Orleans, noch
andre die Wiederherstellung des Kaisertums unter Napoleon II. hofften. Der
Aufstand sollte in den letzten Dezembertngen von 1821 im Elsaß seinen Anfang
nehmen, wo die Verschwörung unter den Besatzungen der festen Plätze, sowie
unter der bürgerlichen Bevölkerung viele Anhänger zählte. Zuerst gedachte


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[0214] Ans den Iugendjcchreil der Sozialdemokratie vorzubereiten. Schon bei den Volksaufläufen während der Kammerverhand¬ lungen über die von der Regierung vorgelegten reaktionären Gesetzentwürfe hatte dieser Ausschuß die Hand im Spiele gehabt; die Hauptsache aber sollte eine von ihm augestiftete Militärverschwöruug thun, die sich über einen großen Teil der Besatzung von Paris und dessen Nachbarschaft ausbreitete, besonders Unteroffiziere und Offiziere bis zum Major zu Mitgliedern hatte, aber auch von einigen Obersten und Generalen begünstigt wurde, und deren Plan dahin ging, sich des festen Schlosses Vincennes zu bemächtigen, dort eine provisorische Regierung einzurichten und vou dort aus die benachbarten Vorstädte Se. Antoine und Se. Marceau zum Aufstande gegen die Bourbonen aufzufordern. Gleich¬ zeitig sollte die Empörung in andern Städten Frankreichs ausbrechen. Ein Zufall, das Auffliegen eines Pulverturmes in Vincennes, vereitelte das Unter¬ nehmen, das in der Nacht vom 1'^. zum 20. August 1820 ausgeführt werde» sollte. Aber der Hochverratsprozeß, der nun folgte, erreichte die Männer des revolutionären Zentralkomitees nicht, und bald hatten sie, unterstützt durch den Eindruck, den eine ultrarvhalistische Kammer und ein gleichartiges Ministerium, die Früchte des neuen Wahlgesetzes, auf die Liberalen im Lande gemacht hatten, zwei andre geheime Gesellschaften für einen Aufstand zur Verfügung, der zu gleicher Zeit im Osten und im Westen Frankreichs nusbrecheu sollte. Die eine dieser Verbindungen, die ihren Mittelpunkt in Sauiuur hatte und sich von hier rasch über alle Städte des Loiregebietes verzweigte, sodaß die Zahl ihrer Mitglieder zuletzt auf 30 000 bis 40 000 geschätzt wurde, nannte sich die „Ritter der Freiheit." Die andre war nach dem Muster und unter dem Namen der italienischen Carbonari in Paris von Studenten und andern jungen Leuten gegründet worden, die, als sie ihre Ohnmacht begriffen hatten, Männer von Ansehen und Einfluß um Anschluß an ihre Genossenschaft angingen. Lafnyette willigte sofort ein und trat an die Spitze der „obersten Venta" des Bundes. Ihm folgten die meisten Mitglieder des leitenden Ausschusses vou 1820: Voher d'Argenson, CvreelleS, die Generale Thiard und Tarayre, der Maler Ary Scheffer, der Fabrikant Köchliu und der Gerichtsrnt Schonen. Die beiden letzten waren aus dem Elsaß, das nun durch ihre Bemühungen für die beab¬ sichtigte Revolution vorbereitet wurde. Im Laufe des Sommers vereinigten sich die „Carbonnri" nnter Leitung des Pariser Zeutralnusschusses mit den „Rittern der Freiheit." Ausgesprochener Zweck der Verschworenen war der Sturz der regierenden Dynastie; das Weitere wurde einer dann einznbernfendeu Nationalversammlung überlassen, von der die einen Erklärung der Republik, die andern die Erhebung Louis Philipps, des Herzogs von Orleans, noch andre die Wiederherstellung des Kaisertums unter Napoleon II. hofften. Der Aufstand sollte in den letzten Dezembertngen von 1821 im Elsaß seinen Anfang nehmen, wo die Verschwörung unter den Besatzungen der festen Plätze, sowie unter der bürgerlichen Bevölkerung viele Anhänger zählte. Zuerst gedachte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/214>, abgerufen am 02.10.2024.