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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Fürsten und die öffentliche Meinung in Deutschland eingeschlagen zu sehen ver¬
langten. Bismarcks Anschauung ging dahin, daß es hier in erster Reihe auf
die Beziehung Preußens zu den übrigen Großmächten und hier wieder vorzüglich
auf die thätige Mitwirkung Österreichs ankomme. Wir haben, sagte er, 1849
erlebt, daß es übel ist, einer gegen vier zu stehen, zwei gegen drei ist ein
besseres Verhältnis. Dazu aber gehörte, daß man zunächst nicht an dem Lon¬
doner Vertrage über die Thronfolge rüttelte; denn diesen erklärten Osterreich
und die fremde,: Großmächte für schlechthin rechtsverbindlich. Wohl aber hatte
König Christian durch Sanktion der Nvvemberverfassung den deutschen Höfen
einen von der Erbfolgefrage unabhängigen Kriegsfall geliefert, gegen den sich
nichts einwenden ließ. An dieser Stelle also war einzusetzen; nur um diesem
Punkte konnte man Österreich auf das Gleis der preußischen Politik herüber
zu lenken hoffen. Österreich wollte die Thronfolge des Protokollkönigs und
die ungeschmälerte Erhaltung des dänischen Staates; nun wohl: Preußen stellte
keine damit unverträgliche Forderung, wenn es Zurücknahme der November-
Verfassung, im Notfalle durch die Waffen erzwungen, begehrte. Hierzu war
Österreichs Beistand zu erlangen, und im Bunde mit Österreich konnte man
unter Umständen den Dänen den Krieg erklären, nach dessen Ausbruch alle
frühern Verträge mit diesen hinfällig wurden. Man hatte dann zunächst nur
noch den Staatsmännern in Wien die Lostrennnng der Herzogtümer annehmbar
zu machen; die andern Großmächte besaßen keinen Rechtsgrund mehr zur Ein¬
mischung. Anderseits aber vermied Preußen mir durch solches Vorgehen, sich
für die erbrechtlichen Ansprüche eines Prätendenten im voraus zu verpflichten,
und Sachkenner wußten, daß Bismarck sich für die Einsetzung eines neuen
souveränen Fürsten unter dem Schirme des bisherigen Bundesrechts nicht im
mindesten begeisterte und namentlich von einem Augustenburger Anspruch auf
Schleswig-Holstein nichts hielt, da er 1852 den Verzicht des Chefs der Familie
gegen eine Geldentschädignng vermittelt hatte. Kurz: trotz allen Stürmens
der öffentlichen Meinung in Deutschland beschloß Bismarck, nicht die Thron¬
folge-, sondern die Verfassungsfrage zum Ausgangspunkte des Verfahrens gegen
Dänemark zu machen.

Er hatte damit die Politiker in Wie" ganz richtig beurteilt. Man be¬
zweifelte hier das Thrvurecht Christians IX. so wenig, daß man es für billig
hielt, dem neuen König Zeit zur Überlegung zu lassen und deshalb die vom
Bunde beschlossene Exekution aufzuschieben. In mau schrieb nach Berlin, >"n"
werde dankbar sein, wenn Preußen die Reserve für die Exekution, falls sie un¬
vermeidlich würde, allein stellen wolle. Bismarck antwortete darauf mit der
Frage, ob denn die Vertrüge von 1852 nicht ein untrennbares Ganze bildeten,
bei dessen Bruch durch Dänemark die deutschen Mächte in jeder Beziehung
freie Hand bekämen. Doch werde Preußen einstweilen von dieser Freiheit keinen
Gebrauch macheu, sondern am Londoner Protokoll festhalten, aber umso mehr


Fürsten und die öffentliche Meinung in Deutschland eingeschlagen zu sehen ver¬
langten. Bismarcks Anschauung ging dahin, daß es hier in erster Reihe auf
die Beziehung Preußens zu den übrigen Großmächten und hier wieder vorzüglich
auf die thätige Mitwirkung Österreichs ankomme. Wir haben, sagte er, 1849
erlebt, daß es übel ist, einer gegen vier zu stehen, zwei gegen drei ist ein
besseres Verhältnis. Dazu aber gehörte, daß man zunächst nicht an dem Lon¬
doner Vertrage über die Thronfolge rüttelte; denn diesen erklärten Osterreich
und die fremde,: Großmächte für schlechthin rechtsverbindlich. Wohl aber hatte
König Christian durch Sanktion der Nvvemberverfassung den deutschen Höfen
einen von der Erbfolgefrage unabhängigen Kriegsfall geliefert, gegen den sich
nichts einwenden ließ. An dieser Stelle also war einzusetzen; nur um diesem
Punkte konnte man Österreich auf das Gleis der preußischen Politik herüber
zu lenken hoffen. Österreich wollte die Thronfolge des Protokollkönigs und
die ungeschmälerte Erhaltung des dänischen Staates; nun wohl: Preußen stellte
keine damit unverträgliche Forderung, wenn es Zurücknahme der November-
Verfassung, im Notfalle durch die Waffen erzwungen, begehrte. Hierzu war
Österreichs Beistand zu erlangen, und im Bunde mit Österreich konnte man
unter Umständen den Dänen den Krieg erklären, nach dessen Ausbruch alle
frühern Verträge mit diesen hinfällig wurden. Man hatte dann zunächst nur
noch den Staatsmännern in Wien die Lostrennnng der Herzogtümer annehmbar
zu machen; die andern Großmächte besaßen keinen Rechtsgrund mehr zur Ein¬
mischung. Anderseits aber vermied Preußen mir durch solches Vorgehen, sich
für die erbrechtlichen Ansprüche eines Prätendenten im voraus zu verpflichten,
und Sachkenner wußten, daß Bismarck sich für die Einsetzung eines neuen
souveränen Fürsten unter dem Schirme des bisherigen Bundesrechts nicht im
mindesten begeisterte und namentlich von einem Augustenburger Anspruch auf
Schleswig-Holstein nichts hielt, da er 1852 den Verzicht des Chefs der Familie
gegen eine Geldentschädignng vermittelt hatte. Kurz: trotz allen Stürmens
der öffentlichen Meinung in Deutschland beschloß Bismarck, nicht die Thron¬
folge-, sondern die Verfassungsfrage zum Ausgangspunkte des Verfahrens gegen
Dänemark zu machen.

Er hatte damit die Politiker in Wie» ganz richtig beurteilt. Man be¬
zweifelte hier das Thrvurecht Christians IX. so wenig, daß man es für billig
hielt, dem neuen König Zeit zur Überlegung zu lassen und deshalb die vom
Bunde beschlossene Exekution aufzuschieben. In mau schrieb nach Berlin, >»n"
werde dankbar sein, wenn Preußen die Reserve für die Exekution, falls sie un¬
vermeidlich würde, allein stellen wolle. Bismarck antwortete darauf mit der
Frage, ob denn die Vertrüge von 1852 nicht ein untrennbares Ganze bildeten,
bei dessen Bruch durch Dänemark die deutschen Mächte in jeder Beziehung
freie Hand bekämen. Doch werde Preußen einstweilen von dieser Freiheit keinen
Gebrauch macheu, sondern am Londoner Protokoll festhalten, aber umso mehr


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[0204] Fürsten und die öffentliche Meinung in Deutschland eingeschlagen zu sehen ver¬ langten. Bismarcks Anschauung ging dahin, daß es hier in erster Reihe auf die Beziehung Preußens zu den übrigen Großmächten und hier wieder vorzüglich auf die thätige Mitwirkung Österreichs ankomme. Wir haben, sagte er, 1849 erlebt, daß es übel ist, einer gegen vier zu stehen, zwei gegen drei ist ein besseres Verhältnis. Dazu aber gehörte, daß man zunächst nicht an dem Lon¬ doner Vertrage über die Thronfolge rüttelte; denn diesen erklärten Osterreich und die fremde,: Großmächte für schlechthin rechtsverbindlich. Wohl aber hatte König Christian durch Sanktion der Nvvemberverfassung den deutschen Höfen einen von der Erbfolgefrage unabhängigen Kriegsfall geliefert, gegen den sich nichts einwenden ließ. An dieser Stelle also war einzusetzen; nur um diesem Punkte konnte man Österreich auf das Gleis der preußischen Politik herüber zu lenken hoffen. Österreich wollte die Thronfolge des Protokollkönigs und die ungeschmälerte Erhaltung des dänischen Staates; nun wohl: Preußen stellte keine damit unverträgliche Forderung, wenn es Zurücknahme der November- Verfassung, im Notfalle durch die Waffen erzwungen, begehrte. Hierzu war Österreichs Beistand zu erlangen, und im Bunde mit Österreich konnte man unter Umständen den Dänen den Krieg erklären, nach dessen Ausbruch alle frühern Verträge mit diesen hinfällig wurden. Man hatte dann zunächst nur noch den Staatsmännern in Wien die Lostrennnng der Herzogtümer annehmbar zu machen; die andern Großmächte besaßen keinen Rechtsgrund mehr zur Ein¬ mischung. Anderseits aber vermied Preußen mir durch solches Vorgehen, sich für die erbrechtlichen Ansprüche eines Prätendenten im voraus zu verpflichten, und Sachkenner wußten, daß Bismarck sich für die Einsetzung eines neuen souveränen Fürsten unter dem Schirme des bisherigen Bundesrechts nicht im mindesten begeisterte und namentlich von einem Augustenburger Anspruch auf Schleswig-Holstein nichts hielt, da er 1852 den Verzicht des Chefs der Familie gegen eine Geldentschädignng vermittelt hatte. Kurz: trotz allen Stürmens der öffentlichen Meinung in Deutschland beschloß Bismarck, nicht die Thron¬ folge-, sondern die Verfassungsfrage zum Ausgangspunkte des Verfahrens gegen Dänemark zu machen. Er hatte damit die Politiker in Wie» ganz richtig beurteilt. Man be¬ zweifelte hier das Thrvurecht Christians IX. so wenig, daß man es für billig hielt, dem neuen König Zeit zur Überlegung zu lassen und deshalb die vom Bunde beschlossene Exekution aufzuschieben. In mau schrieb nach Berlin, >»n" werde dankbar sein, wenn Preußen die Reserve für die Exekution, falls sie un¬ vermeidlich würde, allein stellen wolle. Bismarck antwortete darauf mit der Frage, ob denn die Vertrüge von 1852 nicht ein untrennbares Ganze bildeten, bei dessen Bruch durch Dänemark die deutschen Mächte in jeder Beziehung freie Hand bekämen. Doch werde Preußen einstweilen von dieser Freiheit keinen Gebrauch macheu, sondern am Londoner Protokoll festhalten, aber umso mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/204>, abgerufen am 22.07.2024.