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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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inmitten von gewaltigen Dünsten entschlüpfte, die alle Formen entstellten. Er
gehörte sich dann nicht mehr an, er gehorchte dann nur noch seinen Muskeln,
der aufgereihter Bestie. Er trank nicht, er wies selbst ein Gläschen Brannt¬
wein zurück, da er bemerkt hatte, daß ihn der geringste Tropfen Alkohol toll
machte. Er wurde den Gedanke" nicht los, daß er für andre zu büßen hätte,
für die Väter und Großväter, für die ganzen Geschlechter von Säufern, deren
verdorbenes Blut in ihm wirkte wie ein langer Vergiftungsprozeß, wie eine
allmähliche Verlierung, die ihn gleichsam mit weiberfressenden Wölfen ins
Walddickicht trieb."

Bei Jacques hat sich der Säuferwahusin" in einen mörderischen Haß
gegen die Frauen verwandelt. Ihm ist zu Mute, als Hütte er an ihnen alte
Beleidigungen zu rächen, als müsse er sie strafen für Verbrechen, die sie an
seinem Geschlechte verübt haben; er kann kein Weib mehr berühren, ohne daß
in ihm der wahnsinnige Gedanke auftauchte, es zu erwürge", zu erstechen. So
ist es ihm auch jetzt mit der Tochter des Bahnwärters, der liebebedürftige"
Flore, gegangen, ans deren Armen er sich mit Gewalt hat losreißen müsse",
"ni nicht seine fixe Idee auszuführen. Wie ein gehetztes Wild rennt er von
ihr, keuchend und taumelnd über die Felder, am Bahndamm entlang und
kommt erst wieder zur Besinnung, als el" Zug dvuneriid an ihm vorbeisaust
und er wie im Fluge wahrmmmt, wie sich i" einem Wage" ein Mensch ans
einen andern stürzt und ihm ein Messer in die Kehle stößt. Was war das?
wahnsinnige Täuschung oder Wirklichkeit? Er stutzt, sein Inneres wird ruhiger.
Langsam kehrt er zurück und findet den Wärter, der ihm mitteilt, er habe
soeben einen tote" Menschen ans dem Bahndamme gefunden, der aus dem
Zuge gefallen sein müsse. Jacques sieht ihn - es ist Grandmvrin: v'von
clviu; I)i"zu kg-vns as tuor? 'I'pret in rnonäv tu-ut.

Der Präsident ist auch in der Wärterfamilie bekannt; seine Wüstlings-
natnr hat auch hier gewütet lind die Tochter Lo"iso", die Braut des Fnhr-
knechts Cabuchon, in deu Tod gehetzt. Wer ist nun der Mörder des Alten?
Das grauenhafte Ereignis geht natürlich durch alle Zeitungen, alles ereifert
sich über die Unsicherheit in den Zügen, über die Zustände in der Bahnver¬
waltung, über deu Schlendrian der Negierung. Die gerichtliche Untersuchung
nimmt ihren Anfang; man findet im Testament Grandmvrins die Angabe, daß
er den Landsitz Croix-de-Manfms der Ssverine als Erbteil hinterlasse; sofort
ist der Verdacht auf Roubauds gelenkt, aber manche Gründe sprechen dafür,
daß Cabnchvn ans Rache den Mord begangen habe. Thatsächliche Be-
lastnngsgründe sind nicht zu sinden, und so endigt die ganze Untersuchung des
Falles ohne Ergebnis. Nur einer, Jacques, in dessen Gehirn immer deutlicher
die Ähnlichkeit Ronbauds mit dein Mörder im Bahnwage" aufdämmert, konnte
als Zeuge gefährlich werde", aber Ssverine weiß ihn i" ihre Liebesgarne zu
locken "ut ihn dadurch unschädlich zu machen.


inmitten von gewaltigen Dünsten entschlüpfte, die alle Formen entstellten. Er
gehörte sich dann nicht mehr an, er gehorchte dann nur noch seinen Muskeln,
der aufgereihter Bestie. Er trank nicht, er wies selbst ein Gläschen Brannt¬
wein zurück, da er bemerkt hatte, daß ihn der geringste Tropfen Alkohol toll
machte. Er wurde den Gedanke» nicht los, daß er für andre zu büßen hätte,
für die Väter und Großväter, für die ganzen Geschlechter von Säufern, deren
verdorbenes Blut in ihm wirkte wie ein langer Vergiftungsprozeß, wie eine
allmähliche Verlierung, die ihn gleichsam mit weiberfressenden Wölfen ins
Walddickicht trieb."

Bei Jacques hat sich der Säuferwahusin» in einen mörderischen Haß
gegen die Frauen verwandelt. Ihm ist zu Mute, als Hütte er an ihnen alte
Beleidigungen zu rächen, als müsse er sie strafen für Verbrechen, die sie an
seinem Geschlechte verübt haben; er kann kein Weib mehr berühren, ohne daß
in ihm der wahnsinnige Gedanke auftauchte, es zu erwürge», zu erstechen. So
ist es ihm auch jetzt mit der Tochter des Bahnwärters, der liebebedürftige»
Flore, gegangen, ans deren Armen er sich mit Gewalt hat losreißen müsse»,
»ni nicht seine fixe Idee auszuführen. Wie ein gehetztes Wild rennt er von
ihr, keuchend und taumelnd über die Felder, am Bahndamm entlang und
kommt erst wieder zur Besinnung, als el» Zug dvuneriid an ihm vorbeisaust
und er wie im Fluge wahrmmmt, wie sich i» einem Wage» ein Mensch ans
einen andern stürzt und ihm ein Messer in die Kehle stößt. Was war das?
wahnsinnige Täuschung oder Wirklichkeit? Er stutzt, sein Inneres wird ruhiger.
Langsam kehrt er zurück und findet den Wärter, der ihm mitteilt, er habe
soeben einen tote» Menschen ans dem Bahndamme gefunden, der aus dem
Zuge gefallen sein müsse. Jacques sieht ihn - es ist Grandmvrin: v'von
clviu; I)i«zu kg-vns as tuor? 'I'pret in rnonäv tu-ut.

Der Präsident ist auch in der Wärterfamilie bekannt; seine Wüstlings-
natnr hat auch hier gewütet lind die Tochter Lo»iso», die Braut des Fnhr-
knechts Cabuchon, in deu Tod gehetzt. Wer ist nun der Mörder des Alten?
Das grauenhafte Ereignis geht natürlich durch alle Zeitungen, alles ereifert
sich über die Unsicherheit in den Zügen, über die Zustände in der Bahnver¬
waltung, über deu Schlendrian der Negierung. Die gerichtliche Untersuchung
nimmt ihren Anfang; man findet im Testament Grandmvrins die Angabe, daß
er den Landsitz Croix-de-Manfms der Ssverine als Erbteil hinterlasse; sofort
ist der Verdacht auf Roubauds gelenkt, aber manche Gründe sprechen dafür,
daß Cabnchvn ans Rache den Mord begangen habe. Thatsächliche Be-
lastnngsgründe sind nicht zu sinden, und so endigt die ganze Untersuchung des
Falles ohne Ergebnis. Nur einer, Jacques, in dessen Gehirn immer deutlicher
die Ähnlichkeit Ronbauds mit dein Mörder im Bahnwage» aufdämmert, konnte
als Zeuge gefährlich werde», aber Ssverine weiß ihn i» ihre Liebesgarne zu
locken »ut ihn dadurch unschädlich zu machen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/180>, abgerufen am 25.08.2024.