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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Ans den Ingendjcchren der Socialdemokratie

Verwandelt. Niemand hat die Gedankenbanten Se. Simons, Fouriers, Cadets
und Vianes mit dialektischen Donnerkeilen so gründlich zerschmettert, niemand
die bisherigen Vorschläge zur Reform der Gesellschaft so handgreiflich act ^t>-
"nrclum geführt als Proudhon in seinen (üontriicliotwns ^oonomiWss. So ge¬
waltig aber seine Kritik aufräumt, so wenig hat seine positive Leistung, sein
eigner Umbau der Gesellschaft zu bedeuten. Die Grundlage bildet die Be¬
hauptung, daß die Zeit den einzigen Maßstab für die Vestimmnng des Wertes
der Arbeit abgebe. Die Erzeugnisse der Arbeit werden durch eine Bank gegen¬
einander ausgetauscht, deren einziges Zirkulationsmittel in Zetteln, die geleistete
Arbeitsstunden bescheinigen, besteht. Das Geld, eins der größten wirtschaft¬
lichen Übel, wird hierdurch überflüssig. Was der Arbeiter erzeugt oder durch
Tausch erwirbt, wird sein "Besitz," über dessen Unterschied von dem auszu¬
rottenden Eigentums wir leider nichts erfahren. Ebenso wenig Klarheit er¬
halten wir über die andern Fragen, die, nachdem die ganze jetzige Ordnung
der Dinge mit Ansnahme von Ehe und Familie beseitigt ist, sich geltend
machen. Proudhon beschränkt sich auch in seinen spätern Arbeiten auf die
Erklärung, daß er die Anarchie wolle, das Verschwinden jeder Staatsgewalt,
was ihn jedoch nicht hindert, der Wissenschaft die Herstellung einer neuen
Gesetzgebung uach den Grundsätzen der Anarchie zuzuweisen. So erscheint denn
all sein Wissen und alle seine schriftstellerische Kunst nur im Dienste einer
bodenlosen Sophistik, die ganz außerordentliche Geisteskräfte zur Zerstörung
von Überzeugungen mißbraucht, für die sie keinen andern Ersatz zu bieten hat
als etliche Formeln ohne faßlichen Inhalt. Die Wirkung dieser leichtfertigen
Sophistik ist aber gefährlich gewesen; selbst der große Hause, dem nichts von
Proudhons Schriften verständlich ist und der sich auch niemals damit befaßt
hat, Hai sich zum Gebrauch am Schenkentische und in der Volksversammlung
den Satz angeeignet: Eigentum ist Diebstahl, und dadurch ist Proudhon ein
Apostel des Kommunismus geworden, den er sonst mit bitterstem Hasse
Erfolgt.

In naher Verwandtschaft mit Proudhons Ideen steht die Gescllschnftslehre,
die Pierre Lervux vortrug, nachdem er sich von den Se. Simonisten getrennt
hatte. Auch er will das Eigentum wegschaffen, ohne den Kommunismus an
seine Stelle zu setzen und ohne imstande zu sein, uns eine deutliche Vorstellung
^>on Verhältnisse der Menschen zu den Dingen zu geben, das in der Gesell¬
schaft der Zukunft herrschen soll. Wie Proudhon, so hatte sich auch Leroux
^srig mit deutscher Philosophie beschäftigt, und auch darin gleicht er ihm, daß
^' entschieden und aufrichtig, aber wenig folgerichtig an der Familie festhält,
^' doch ohne die Voraussetzung des vollen persönlichen und vererblichen
Eigentums uicht bestehen kann. Sein Hauptwerk, das 1840 unter dem Titel
o l'lininimitö erschien, versucht die Aufgabe der Menschheit philosophisch zu
entwickeln, wobei es sich auch in religiöse Ideen versenkt. Sein oberstes


Ans den Ingendjcchren der Socialdemokratie

Verwandelt. Niemand hat die Gedankenbanten Se. Simons, Fouriers, Cadets
und Vianes mit dialektischen Donnerkeilen so gründlich zerschmettert, niemand
die bisherigen Vorschläge zur Reform der Gesellschaft so handgreiflich act ^t>-
«nrclum geführt als Proudhon in seinen (üontriicliotwns ^oonomiWss. So ge¬
waltig aber seine Kritik aufräumt, so wenig hat seine positive Leistung, sein
eigner Umbau der Gesellschaft zu bedeuten. Die Grundlage bildet die Be¬
hauptung, daß die Zeit den einzigen Maßstab für die Vestimmnng des Wertes
der Arbeit abgebe. Die Erzeugnisse der Arbeit werden durch eine Bank gegen¬
einander ausgetauscht, deren einziges Zirkulationsmittel in Zetteln, die geleistete
Arbeitsstunden bescheinigen, besteht. Das Geld, eins der größten wirtschaft¬
lichen Übel, wird hierdurch überflüssig. Was der Arbeiter erzeugt oder durch
Tausch erwirbt, wird sein „Besitz," über dessen Unterschied von dem auszu¬
rottenden Eigentums wir leider nichts erfahren. Ebenso wenig Klarheit er¬
halten wir über die andern Fragen, die, nachdem die ganze jetzige Ordnung
der Dinge mit Ansnahme von Ehe und Familie beseitigt ist, sich geltend
machen. Proudhon beschränkt sich auch in seinen spätern Arbeiten auf die
Erklärung, daß er die Anarchie wolle, das Verschwinden jeder Staatsgewalt,
was ihn jedoch nicht hindert, der Wissenschaft die Herstellung einer neuen
Gesetzgebung uach den Grundsätzen der Anarchie zuzuweisen. So erscheint denn
all sein Wissen und alle seine schriftstellerische Kunst nur im Dienste einer
bodenlosen Sophistik, die ganz außerordentliche Geisteskräfte zur Zerstörung
von Überzeugungen mißbraucht, für die sie keinen andern Ersatz zu bieten hat
als etliche Formeln ohne faßlichen Inhalt. Die Wirkung dieser leichtfertigen
Sophistik ist aber gefährlich gewesen; selbst der große Hause, dem nichts von
Proudhons Schriften verständlich ist und der sich auch niemals damit befaßt
hat, Hai sich zum Gebrauch am Schenkentische und in der Volksversammlung
den Satz angeeignet: Eigentum ist Diebstahl, und dadurch ist Proudhon ein
Apostel des Kommunismus geworden, den er sonst mit bitterstem Hasse
Erfolgt.

In naher Verwandtschaft mit Proudhons Ideen steht die Gescllschnftslehre,
die Pierre Lervux vortrug, nachdem er sich von den Se. Simonisten getrennt
hatte. Auch er will das Eigentum wegschaffen, ohne den Kommunismus an
seine Stelle zu setzen und ohne imstande zu sein, uns eine deutliche Vorstellung
^>on Verhältnisse der Menschen zu den Dingen zu geben, das in der Gesell¬
schaft der Zukunft herrschen soll. Wie Proudhon, so hatte sich auch Leroux
^srig mit deutscher Philosophie beschäftigt, und auch darin gleicht er ihm, daß
^' entschieden und aufrichtig, aber wenig folgerichtig an der Familie festhält,
^' doch ohne die Voraussetzung des vollen persönlichen und vererblichen
Eigentums uicht bestehen kann. Sein Hauptwerk, das 1840 unter dem Titel
o l'lininimitö erschien, versucht die Aufgabe der Menschheit philosophisch zu
entwickeln, wobei es sich auch in religiöse Ideen versenkt. Sein oberstes


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[0127] Ans den Ingendjcchren der Socialdemokratie Verwandelt. Niemand hat die Gedankenbanten Se. Simons, Fouriers, Cadets und Vianes mit dialektischen Donnerkeilen so gründlich zerschmettert, niemand die bisherigen Vorschläge zur Reform der Gesellschaft so handgreiflich act ^t>- «nrclum geführt als Proudhon in seinen (üontriicliotwns ^oonomiWss. So ge¬ waltig aber seine Kritik aufräumt, so wenig hat seine positive Leistung, sein eigner Umbau der Gesellschaft zu bedeuten. Die Grundlage bildet die Be¬ hauptung, daß die Zeit den einzigen Maßstab für die Vestimmnng des Wertes der Arbeit abgebe. Die Erzeugnisse der Arbeit werden durch eine Bank gegen¬ einander ausgetauscht, deren einziges Zirkulationsmittel in Zetteln, die geleistete Arbeitsstunden bescheinigen, besteht. Das Geld, eins der größten wirtschaft¬ lichen Übel, wird hierdurch überflüssig. Was der Arbeiter erzeugt oder durch Tausch erwirbt, wird sein „Besitz," über dessen Unterschied von dem auszu¬ rottenden Eigentums wir leider nichts erfahren. Ebenso wenig Klarheit er¬ halten wir über die andern Fragen, die, nachdem die ganze jetzige Ordnung der Dinge mit Ansnahme von Ehe und Familie beseitigt ist, sich geltend machen. Proudhon beschränkt sich auch in seinen spätern Arbeiten auf die Erklärung, daß er die Anarchie wolle, das Verschwinden jeder Staatsgewalt, was ihn jedoch nicht hindert, der Wissenschaft die Herstellung einer neuen Gesetzgebung uach den Grundsätzen der Anarchie zuzuweisen. So erscheint denn all sein Wissen und alle seine schriftstellerische Kunst nur im Dienste einer bodenlosen Sophistik, die ganz außerordentliche Geisteskräfte zur Zerstörung von Überzeugungen mißbraucht, für die sie keinen andern Ersatz zu bieten hat als etliche Formeln ohne faßlichen Inhalt. Die Wirkung dieser leichtfertigen Sophistik ist aber gefährlich gewesen; selbst der große Hause, dem nichts von Proudhons Schriften verständlich ist und der sich auch niemals damit befaßt hat, Hai sich zum Gebrauch am Schenkentische und in der Volksversammlung den Satz angeeignet: Eigentum ist Diebstahl, und dadurch ist Proudhon ein Apostel des Kommunismus geworden, den er sonst mit bitterstem Hasse Erfolgt. In naher Verwandtschaft mit Proudhons Ideen steht die Gescllschnftslehre, die Pierre Lervux vortrug, nachdem er sich von den Se. Simonisten getrennt hatte. Auch er will das Eigentum wegschaffen, ohne den Kommunismus an seine Stelle zu setzen und ohne imstande zu sein, uns eine deutliche Vorstellung ^>on Verhältnisse der Menschen zu den Dingen zu geben, das in der Gesell¬ schaft der Zukunft herrschen soll. Wie Proudhon, so hatte sich auch Leroux ^srig mit deutscher Philosophie beschäftigt, und auch darin gleicht er ihm, daß ^' entschieden und aufrichtig, aber wenig folgerichtig an der Familie festhält, ^' doch ohne die Voraussetzung des vollen persönlichen und vererblichen Eigentums uicht bestehen kann. Sein Hauptwerk, das 1840 unter dem Titel o l'lininimitö erschien, versucht die Aufgabe der Menschheit philosophisch zu entwickeln, wobei es sich auch in religiöse Ideen versenkt. Sein oberstes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/127>, abgerufen am 22.07.2024.