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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Jugendjahren der Lozialdemokratie

legenden, sich umfassende Kenntnisse zu erwerben und sich sogar mit der
Hegelschen Philosophie einigermaßen vertraut zu machen, der er dann seine
Methode und seine wichtigsten Gesichtspunkte entlehnte. Er war noch Setzer
in einer Druckerei zu Besnn^on, als er sich mit der Lösung einer akademischen
Preisfrage über die Verbesserung des Loses der mittellosen Klasse in die Welt
einführte. Es war die Schrift (ju'est-vo Pio ig. xrovriLtv, die ihn sofort zu
einer Berühmtheit des Tages machte. Er beantwortete die Frage einfach mit:
Is vol. Eigentum ist gestohlenes Gut. Indem er die juristischen Definitionen
des Eigentnmsbegrifses untersucht und dessen wirtschaftliche Folgerungen sowie
dessen Verhältnis zu der Idee der Freiheit prüft, gelangt er zu dem Ergebnis,
daß das Eigentum juristisch ein Unding, ökonomisch ein Nachteil und freiheitlich
ein Feind aller sozialen Entwicklung sei. Dabei bleibt es aber; seine Arbeit
ist nur negativ, sie weiß an die Stelle dessen, was sie aufhebt, nichts andres
zu setzen als die paradoxe Behauptung, daß die einzig wahre Gestalt des ge¬
meinen Wesens die Anarchie sei. Proudhon war so stolz auf den Satz,
Eigentum sei Diebstahl, daß er die Urheberschaft desselben uicht gegen die
Millionen der Rothschilds eintauschen wollte, doch hatte das Konventsmitglied
Brissot schon früher drucken lassen: "Das übermäßige Eigentum ist in der
Natur ein Diebstahl, der Eigentümer ein Dieb." Indes wurde Proudhons
Ausspruch ein Ereignis, das noch lange nachhallte und noch jetzt nicht auf¬
gehört hat, auf Liebhaber kurzgefaßter und packender Phrasen zu wirken. Der
Staatsanwalt wollte Proudhon wegen seines Buches vor den Geschwornen
belangen, aber Blanqui wußte das abzuwenden. Das Werk erregte großes
Aufsehen, und mit Spannung erwartete man vom Verfasser weitere Arbeiten.
Diese erschienen auch, befriedigten aber wenig. Im zweiten Buche Os 1'oräro
l'luinmnitö findet mau fast nur Allgemeinheiten und kaum irgend ein
greifbares Ergebnis. Das nächste, Lontraäietions vvononüaMiZ, bringt wieder eine
weitüufige Kritik der Hauptsätze der Volkswirtschaftslehre, die zwar viele geist¬
reiche Bemerkungen enthält, aber die Sache nicht wesentlich fördert, indem sie
das bisher geltende nur beseitigt, aber nicht ersetzt. Durch diese rein ver¬
neinende Haltung seiner Arbeiten hat Proudhon viele angeregt, aber niemand
befriedigt; er steht abseits von allen Richtungen und Systemen und ist, was
er ist, nur als Gegner aller. Der Haß gegen das Eigentum und das, was
aus ihm folgt, wie Miete, Pacht und Zins, bildet anch den Grundzug seiner
spätern Schriften, deswegen ist er aber keineswegs ein Kommunist oder Sozialist,
im Gegenteil, er greift diese Parteien mit gleicher Heftigkeit und spöttischer
Verachtung an wie die bürgerliche Klasse. "Ich bin rein von den sozialistischen
Schandlehren," ruft er aus. "Packt euch fort von mir, ihr Kommunisten;
eure Anwesenheit ist ein Gestank für mich und euer Anblick ein Absehen," und
neben diesen leidenschaftlichen Ausfällen geht eine Kritik her, deren Schürfe und
unwiderstehliche Kraft alle sozialistischen Behauptungen in Staub und Dunst


Aus den Jugendjahren der Lozialdemokratie

legenden, sich umfassende Kenntnisse zu erwerben und sich sogar mit der
Hegelschen Philosophie einigermaßen vertraut zu machen, der er dann seine
Methode und seine wichtigsten Gesichtspunkte entlehnte. Er war noch Setzer
in einer Druckerei zu Besnn^on, als er sich mit der Lösung einer akademischen
Preisfrage über die Verbesserung des Loses der mittellosen Klasse in die Welt
einführte. Es war die Schrift (ju'est-vo Pio ig. xrovriLtv, die ihn sofort zu
einer Berühmtheit des Tages machte. Er beantwortete die Frage einfach mit:
Is vol. Eigentum ist gestohlenes Gut. Indem er die juristischen Definitionen
des Eigentnmsbegrifses untersucht und dessen wirtschaftliche Folgerungen sowie
dessen Verhältnis zu der Idee der Freiheit prüft, gelangt er zu dem Ergebnis,
daß das Eigentum juristisch ein Unding, ökonomisch ein Nachteil und freiheitlich
ein Feind aller sozialen Entwicklung sei. Dabei bleibt es aber; seine Arbeit
ist nur negativ, sie weiß an die Stelle dessen, was sie aufhebt, nichts andres
zu setzen als die paradoxe Behauptung, daß die einzig wahre Gestalt des ge¬
meinen Wesens die Anarchie sei. Proudhon war so stolz auf den Satz,
Eigentum sei Diebstahl, daß er die Urheberschaft desselben uicht gegen die
Millionen der Rothschilds eintauschen wollte, doch hatte das Konventsmitglied
Brissot schon früher drucken lassen: „Das übermäßige Eigentum ist in der
Natur ein Diebstahl, der Eigentümer ein Dieb." Indes wurde Proudhons
Ausspruch ein Ereignis, das noch lange nachhallte und noch jetzt nicht auf¬
gehört hat, auf Liebhaber kurzgefaßter und packender Phrasen zu wirken. Der
Staatsanwalt wollte Proudhon wegen seines Buches vor den Geschwornen
belangen, aber Blanqui wußte das abzuwenden. Das Werk erregte großes
Aufsehen, und mit Spannung erwartete man vom Verfasser weitere Arbeiten.
Diese erschienen auch, befriedigten aber wenig. Im zweiten Buche Os 1'oräro
l'luinmnitö findet mau fast nur Allgemeinheiten und kaum irgend ein
greifbares Ergebnis. Das nächste, Lontraäietions vvononüaMiZ, bringt wieder eine
weitüufige Kritik der Hauptsätze der Volkswirtschaftslehre, die zwar viele geist¬
reiche Bemerkungen enthält, aber die Sache nicht wesentlich fördert, indem sie
das bisher geltende nur beseitigt, aber nicht ersetzt. Durch diese rein ver¬
neinende Haltung seiner Arbeiten hat Proudhon viele angeregt, aber niemand
befriedigt; er steht abseits von allen Richtungen und Systemen und ist, was
er ist, nur als Gegner aller. Der Haß gegen das Eigentum und das, was
aus ihm folgt, wie Miete, Pacht und Zins, bildet anch den Grundzug seiner
spätern Schriften, deswegen ist er aber keineswegs ein Kommunist oder Sozialist,
im Gegenteil, er greift diese Parteien mit gleicher Heftigkeit und spöttischer
Verachtung an wie die bürgerliche Klasse. „Ich bin rein von den sozialistischen
Schandlehren," ruft er aus. „Packt euch fort von mir, ihr Kommunisten;
eure Anwesenheit ist ein Gestank für mich und euer Anblick ein Absehen," und
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unwiderstehliche Kraft alle sozialistischen Behauptungen in Staub und Dunst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/126>, abgerufen am 27.07.2024.