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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Jean j)aut

Fremden nur selten betretene Eiland geblieben, welches es zu Jean Paris
Zeiten gewesen ist. Ist diese Weltabgeschiedenheit noch heute nicht ohne Be¬
deutung für die Bewohner, so wird ihr Einfluß in den frühern Jnhrhuuderteu
natürlich um so mächtiger gewesen sein. Der Bewohner des Fichtelgebirges
hat sich seine Welt für sich geschaffen und wehrt eifersüchtig fremden Ele¬
menten den Zutritt; er wird daher stille Einkehr in das eigne Innere hallen,
das Gemütsleben Pflegen und um den überlieferten religiösen Vorstellungen
unverbrüchlich festhalten. Ein derartiger Boden wird eine Fülle origineller,
ihre Eigenheiten zäh festhaltender und leicht ins Komische übergehender Charaktere
hervorbringen." Die wenigen Eigentümlichkeiten, die Nerrlich von Jean Paris
Großvater, die zahlreichern, die er von Jean Pauls Bater, dem Organisten
und Pfarrer Johann Christian Christoph Richter, zu berichten weiß, wurzeln
insgesamt in der Abgeschlossenheit und der Überlieferung einer abgeschiednen
inselartigen Gebirgslandschaft, und daß Jean Paul nicht zufällig in diese hinein¬
geboren worden ist, sondern sich Zeit seines Lebens nur einseitig (dann aller¬
dings hoch und mächtig) über sie zu erheben wußte, belegt jedes Blatt der
Lebensgeschichte, um stärksten und überzeugendsten jene Kapitel, die die ,,bewegte
Zeit" Jean Pauls, die Jahre in Leipzig, Weimar, Berlin, Meiningen "ut
Koburg schildern, die Jahre, wo der Dichter sich vom Heimatboden loszu¬
reißen versuchte und am Ende fand, daß er mit allen seinen menschlichen
Bedürfnissen, Gewöhnungen (bis herab ans das unentbehrliche Bier) und selbst
mit gewissen tiefern Empfindungen an die Heimat gebunden blieb. Den
Pudel Ponto konnte er sich überall halten, aber Fran Dorothea Rollwenzel
konnte er nur auf dem fränkische" Boden finden, der ihm von Kindheit auf
vertraut war. Nerrlichs Erzählung ist keineswegs tendenziös ans die Hervor¬
hebung dieses Umstandes gerichtet, aber indem sie der äußern und innern
Entwicklung des Nomandichters mit reinem Anteil folgt, gelangt sie von selbst
zu dem Ergebnis, daß für Jean Paul ein frühzeitiges Einlenken und Ein¬
spinnen in ein Idyll mit stark philiströsen Beigeschmack Notwendigkeit wurde.
Wir könnten uns angesichts des Reichtums von Jean Pauls Gedankenwelt
mit dieser Wendung leichter aussöhnen, wenn nicht mich Nerrlich zugestehen
müßte, daß sich gerade in dieser Periode neben dein Lichte starker Schatten
gezeigt habe. "Ja es blieb in mehr als eiuer Beziehung die Fortentwicklung
von Jean Pauls Leben hinter dem vielverheißenden Anfange der Ehe zurück;
nur die Oberflüche zeigt idyllisches Glück und Erreichung des ersehnten Ideals:
der Tieferblickende bemerkt gerade in dieser Zeit Mißgeschicke und Dissonanzen,
welche den Baireuth vorangehenden Jahren fehlten. Immer Mehr und mehr
bildete sich jetzt in ihm die allerdings wohl begründete Überzeugung, daß er
sein Bestes geschaffen, eben damit aber auch eine stets zunehmende Gleichgiltig-
keit und'prosaische Auffassung des Lebens. So mutig und sieoreich er ferner
in den Werken dieser Periode die Sentimentalität überwunden, eine um


Jean j)aut

Fremden nur selten betretene Eiland geblieben, welches es zu Jean Paris
Zeiten gewesen ist. Ist diese Weltabgeschiedenheit noch heute nicht ohne Be¬
deutung für die Bewohner, so wird ihr Einfluß in den frühern Jnhrhuuderteu
natürlich um so mächtiger gewesen sein. Der Bewohner des Fichtelgebirges
hat sich seine Welt für sich geschaffen und wehrt eifersüchtig fremden Ele¬
menten den Zutritt; er wird daher stille Einkehr in das eigne Innere hallen,
das Gemütsleben Pflegen und um den überlieferten religiösen Vorstellungen
unverbrüchlich festhalten. Ein derartiger Boden wird eine Fülle origineller,
ihre Eigenheiten zäh festhaltender und leicht ins Komische übergehender Charaktere
hervorbringen." Die wenigen Eigentümlichkeiten, die Nerrlich von Jean Paris
Großvater, die zahlreichern, die er von Jean Pauls Bater, dem Organisten
und Pfarrer Johann Christian Christoph Richter, zu berichten weiß, wurzeln
insgesamt in der Abgeschlossenheit und der Überlieferung einer abgeschiednen
inselartigen Gebirgslandschaft, und daß Jean Paul nicht zufällig in diese hinein¬
geboren worden ist, sondern sich Zeit seines Lebens nur einseitig (dann aller¬
dings hoch und mächtig) über sie zu erheben wußte, belegt jedes Blatt der
Lebensgeschichte, um stärksten und überzeugendsten jene Kapitel, die die ,,bewegte
Zeit" Jean Pauls, die Jahre in Leipzig, Weimar, Berlin, Meiningen »ut
Koburg schildern, die Jahre, wo der Dichter sich vom Heimatboden loszu¬
reißen versuchte und am Ende fand, daß er mit allen seinen menschlichen
Bedürfnissen, Gewöhnungen (bis herab ans das unentbehrliche Bier) und selbst
mit gewissen tiefern Empfindungen an die Heimat gebunden blieb. Den
Pudel Ponto konnte er sich überall halten, aber Fran Dorothea Rollwenzel
konnte er nur auf dem fränkische» Boden finden, der ihm von Kindheit auf
vertraut war. Nerrlichs Erzählung ist keineswegs tendenziös ans die Hervor¬
hebung dieses Umstandes gerichtet, aber indem sie der äußern und innern
Entwicklung des Nomandichters mit reinem Anteil folgt, gelangt sie von selbst
zu dem Ergebnis, daß für Jean Paul ein frühzeitiges Einlenken und Ein¬
spinnen in ein Idyll mit stark philiströsen Beigeschmack Notwendigkeit wurde.
Wir könnten uns angesichts des Reichtums von Jean Pauls Gedankenwelt
mit dieser Wendung leichter aussöhnen, wenn nicht mich Nerrlich zugestehen
müßte, daß sich gerade in dieser Periode neben dein Lichte starker Schatten
gezeigt habe. „Ja es blieb in mehr als eiuer Beziehung die Fortentwicklung
von Jean Pauls Leben hinter dem vielverheißenden Anfange der Ehe zurück;
nur die Oberflüche zeigt idyllisches Glück und Erreichung des ersehnten Ideals:
der Tieferblickende bemerkt gerade in dieser Zeit Mißgeschicke und Dissonanzen,
welche den Baireuth vorangehenden Jahren fehlten. Immer Mehr und mehr
bildete sich jetzt in ihm die allerdings wohl begründete Überzeugung, daß er
sein Bestes geschaffen, eben damit aber auch eine stets zunehmende Gleichgiltig-
keit und'prosaische Auffassung des Lebens. So mutig und sieoreich er ferner
in den Werken dieser Periode die Sentimentalität überwunden, eine um


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[0098] Jean j)aut Fremden nur selten betretene Eiland geblieben, welches es zu Jean Paris Zeiten gewesen ist. Ist diese Weltabgeschiedenheit noch heute nicht ohne Be¬ deutung für die Bewohner, so wird ihr Einfluß in den frühern Jnhrhuuderteu natürlich um so mächtiger gewesen sein. Der Bewohner des Fichtelgebirges hat sich seine Welt für sich geschaffen und wehrt eifersüchtig fremden Ele¬ menten den Zutritt; er wird daher stille Einkehr in das eigne Innere hallen, das Gemütsleben Pflegen und um den überlieferten religiösen Vorstellungen unverbrüchlich festhalten. Ein derartiger Boden wird eine Fülle origineller, ihre Eigenheiten zäh festhaltender und leicht ins Komische übergehender Charaktere hervorbringen." Die wenigen Eigentümlichkeiten, die Nerrlich von Jean Paris Großvater, die zahlreichern, die er von Jean Pauls Bater, dem Organisten und Pfarrer Johann Christian Christoph Richter, zu berichten weiß, wurzeln insgesamt in der Abgeschlossenheit und der Überlieferung einer abgeschiednen inselartigen Gebirgslandschaft, und daß Jean Paul nicht zufällig in diese hinein¬ geboren worden ist, sondern sich Zeit seines Lebens nur einseitig (dann aller¬ dings hoch und mächtig) über sie zu erheben wußte, belegt jedes Blatt der Lebensgeschichte, um stärksten und überzeugendsten jene Kapitel, die die ,,bewegte Zeit" Jean Pauls, die Jahre in Leipzig, Weimar, Berlin, Meiningen »ut Koburg schildern, die Jahre, wo der Dichter sich vom Heimatboden loszu¬ reißen versuchte und am Ende fand, daß er mit allen seinen menschlichen Bedürfnissen, Gewöhnungen (bis herab ans das unentbehrliche Bier) und selbst mit gewissen tiefern Empfindungen an die Heimat gebunden blieb. Den Pudel Ponto konnte er sich überall halten, aber Fran Dorothea Rollwenzel konnte er nur auf dem fränkische» Boden finden, der ihm von Kindheit auf vertraut war. Nerrlichs Erzählung ist keineswegs tendenziös ans die Hervor¬ hebung dieses Umstandes gerichtet, aber indem sie der äußern und innern Entwicklung des Nomandichters mit reinem Anteil folgt, gelangt sie von selbst zu dem Ergebnis, daß für Jean Paul ein frühzeitiges Einlenken und Ein¬ spinnen in ein Idyll mit stark philiströsen Beigeschmack Notwendigkeit wurde. Wir könnten uns angesichts des Reichtums von Jean Pauls Gedankenwelt mit dieser Wendung leichter aussöhnen, wenn nicht mich Nerrlich zugestehen müßte, daß sich gerade in dieser Periode neben dein Lichte starker Schatten gezeigt habe. „Ja es blieb in mehr als eiuer Beziehung die Fortentwicklung von Jean Pauls Leben hinter dem vielverheißenden Anfange der Ehe zurück; nur die Oberflüche zeigt idyllisches Glück und Erreichung des ersehnten Ideals: der Tieferblickende bemerkt gerade in dieser Zeit Mißgeschicke und Dissonanzen, welche den Baireuth vorangehenden Jahren fehlten. Immer Mehr und mehr bildete sich jetzt in ihm die allerdings wohl begründete Überzeugung, daß er sein Bestes geschaffen, eben damit aber auch eine stets zunehmende Gleichgiltig- keit und'prosaische Auffassung des Lebens. So mutig und sieoreich er ferner in den Werken dieser Periode die Sentimentalität überwunden, eine um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/98>, abgerufen am 23.07.2024.