Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.Jean Paul Lebens spiegeln sich in seinen Erfindungen und Gestalten, sie waren in Jean Jean Paul Lebens spiegeln sich in seinen Erfindungen und Gestalten, sie waren in Jean <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206739"/> <fw type="header" place="top"> Jean Paul</fw><lb/> <p xml:id="ID_244" prev="#ID_243" next="#ID_245"> Lebens spiegeln sich in seinen Erfindungen und Gestalten, sie waren in Jean<lb/> Pauls Phantasie und Gemüt untrennbar, sie bildeten den Urquell seines<lb/> Humors. Die Voraussetzungen wie die frischesten Wirkungen vo» Jean Pauls<lb/> Dichtung gingen schon mit den Umgestaltungen des deutschen Lebens in und<lb/> nach den Weltkriegen verloren, sie schwanden vollends im Zeitalter der großen<lb/> technischen Umwälzungen, die auch die verlorensten Landstädtchen in den Äreis<lb/> des Weltverkehrs zogen. Die Überschmänglichteit des Gefühls, der bewußte<lb/> Widerstand des reichgeuährteu Geistes gegen eine kleinliche und beengende<lb/> Wirklichkeit erscheinen in Jean Pauls Romanen wunderbar verkörpert, doch<lb/> mit der kläglichen Enge der Dinge, über die sich Jean Pauls Seele erhob, ist<lb/> auch der beste Teil des Reizes und des Zaubers dahin, der in dein pvetisch-<lb/> humvristischen Gegensatze lag. Wenn heute Nerrlich seine Biographie mit den<lb/> Worten aus Bornes Denkrede auf Jean Paul schließt: „Wir wollen trauern<lb/> um ihn, den wir verloren, und um die andern, die ihn nicht verloren. Nicht<lb/> allen hat er gelebt! Aber eine Zeit wird kommen, da wird er allen geboren,<lb/> und alle werden ihn beweinen. Er aber steht geduldig an der Pforte des<lb/> zwanzigsten Jahrhunderts und wartet lächelnd, bis sein schleichend Volk ihm<lb/> nachkomme," so fühlt auch der pietätvollste Leser, daß dies nicht die Stimmung<lb/> ist, in der das letzte Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts ein Buch über<lb/> Jean Paul begrüßt. Die eitle Ruhmredigkeit und die genußsüchtige Flachheit<lb/> unsrer Tage mag die heutige Wirklichkeit den beschränkten Zuständen vergangner<lb/> Tage gegenüber überschätzen. Aber es sind doch wahrlich nicht bloß das<lb/> Strebertum und das Schwelgertum, die bekennen müssen, die Wirklichkeit sei<lb/> weiter, großer, stärker, begeisternder geworden, und auch die Tüchtigsten unsrer<lb/> Zeit werde« sich kaum in Traumstnndeu nach Flachsenfingen und Sehern»<lb/> zurückversetzen können. Es hilft Jenn Punt wenig, daß er als Ästhetiker,<lb/> Pädagog und Politiker so reichen Anspruch hat, unvergessen zu bleiben, wie<lb/> als Dichter. Er ist eben nicht „vergessen," er wirkt nach, er wird gewürdigt,<lb/> fein geistiges Herzblut mischt sich zu mehr als einem Werke, das die Gegen¬<lb/> wart willig aufnimmt, und seine poetische Nachkommenschaft ist nicht unter<lb/> uns ausgestorben. Aber er kann nicht unmittelbar mehr genossen werde»,<lb/> Kompositionsweise, Stil wie der Lebenshintergrnnd, dem diese Kompositions-<lb/> weise »ut dieser Stil entsprungen sind, setzen dem freudigen Mitieben in seinen<lb/> Erfindungen »ut mit seinen Gestalten Schranken, die auch die vvrziiglichste<lb/> Lebensgeschichte nicht hinwegräumen wird. Gerade was Bischer und mit ihm<lb/> Nerrlich als einen Bvrzng Jean Pauls rühmen, wird ihm zum Berhänguis,<lb/> »»d der äußerste Realismus von heute, der keine ewigen Züge der Blenschennatnr<lb/> mehr kennt und anerkennt, möchte sich Jean Paris Geschick zur Warnung<lb/> dienen lassen. „Während Goethe und Schiller als Vertreter des klassische»<lb/> Ideals jene Generalität des Pathos besaßen, welche das Individuelle uicht in<lb/> seinem vollen Umfange aufnimmt und uicht tief in die spezielle» Züge der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
Jean Paul
Lebens spiegeln sich in seinen Erfindungen und Gestalten, sie waren in Jean
Pauls Phantasie und Gemüt untrennbar, sie bildeten den Urquell seines
Humors. Die Voraussetzungen wie die frischesten Wirkungen vo» Jean Pauls
Dichtung gingen schon mit den Umgestaltungen des deutschen Lebens in und
nach den Weltkriegen verloren, sie schwanden vollends im Zeitalter der großen
technischen Umwälzungen, die auch die verlorensten Landstädtchen in den Äreis
des Weltverkehrs zogen. Die Überschmänglichteit des Gefühls, der bewußte
Widerstand des reichgeuährteu Geistes gegen eine kleinliche und beengende
Wirklichkeit erscheinen in Jean Pauls Romanen wunderbar verkörpert, doch
mit der kläglichen Enge der Dinge, über die sich Jean Pauls Seele erhob, ist
auch der beste Teil des Reizes und des Zaubers dahin, der in dein pvetisch-
humvristischen Gegensatze lag. Wenn heute Nerrlich seine Biographie mit den
Worten aus Bornes Denkrede auf Jean Paul schließt: „Wir wollen trauern
um ihn, den wir verloren, und um die andern, die ihn nicht verloren. Nicht
allen hat er gelebt! Aber eine Zeit wird kommen, da wird er allen geboren,
und alle werden ihn beweinen. Er aber steht geduldig an der Pforte des
zwanzigsten Jahrhunderts und wartet lächelnd, bis sein schleichend Volk ihm
nachkomme," so fühlt auch der pietätvollste Leser, daß dies nicht die Stimmung
ist, in der das letzte Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts ein Buch über
Jean Paul begrüßt. Die eitle Ruhmredigkeit und die genußsüchtige Flachheit
unsrer Tage mag die heutige Wirklichkeit den beschränkten Zuständen vergangner
Tage gegenüber überschätzen. Aber es sind doch wahrlich nicht bloß das
Strebertum und das Schwelgertum, die bekennen müssen, die Wirklichkeit sei
weiter, großer, stärker, begeisternder geworden, und auch die Tüchtigsten unsrer
Zeit werde« sich kaum in Traumstnndeu nach Flachsenfingen und Sehern»
zurückversetzen können. Es hilft Jenn Punt wenig, daß er als Ästhetiker,
Pädagog und Politiker so reichen Anspruch hat, unvergessen zu bleiben, wie
als Dichter. Er ist eben nicht „vergessen," er wirkt nach, er wird gewürdigt,
fein geistiges Herzblut mischt sich zu mehr als einem Werke, das die Gegen¬
wart willig aufnimmt, und seine poetische Nachkommenschaft ist nicht unter
uns ausgestorben. Aber er kann nicht unmittelbar mehr genossen werde»,
Kompositionsweise, Stil wie der Lebenshintergrnnd, dem diese Kompositions-
weise »ut dieser Stil entsprungen sind, setzen dem freudigen Mitieben in seinen
Erfindungen »ut mit seinen Gestalten Schranken, die auch die vvrziiglichste
Lebensgeschichte nicht hinwegräumen wird. Gerade was Bischer und mit ihm
Nerrlich als einen Bvrzng Jean Pauls rühmen, wird ihm zum Berhänguis,
»»d der äußerste Realismus von heute, der keine ewigen Züge der Blenschennatnr
mehr kennt und anerkennt, möchte sich Jean Paris Geschick zur Warnung
dienen lassen. „Während Goethe und Schiller als Vertreter des klassische»
Ideals jene Generalität des Pathos besaßen, welche das Individuelle uicht in
seinem vollen Umfange aufnimmt und uicht tief in die spezielle» Züge der
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