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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

er fühlt sich dem genialen Staatsmanne, der beinahe ein Menschenalter die
Geschicke des Vaterlands leitet, "zu aufrichtigstem Danke verpflichtet."

Der Verfasser leitet seine Mitteilungen durch einen Rückblick auf die Ent¬
wicklungsstufen ein, die die deutsche Frage seit der Auflösung des heiligen
römischen Reiches bis zum Frieden mit Dänemark (1864) durchlaufen hat,
und erinnert zunächst daran, daß bis zu dem Tage, wo Franz II. die deutsche
Kaiserwürde niederlegte, kein einziger deutscher Fürst rechtlich im Besitze voller
Souveränität war, und daß später, wo Napoleon sie den Mitgliedern des Rhein¬
bundes zugestand, anch die Könige von Baiern, Sachsen und Württemberg sie
nicht thatsächlich ausübte", sondern nur ,,nus Basalten von Kaiser und Reich
zu Schleppträgeru eines fremden Eroberers geworden waren." Nach Ab-
schüttelung des Joches beging Österreich den Fehler, Baiern im Vertrage von
Ried jene volle Souveränität zu gewähren, die bisher nur auf dem Papier
bestanden hatte, und dieser Vertrag wurde maßgebend für die Neugestaltung
Deutschlands durch den Wiener Kongreß, die vorzüglich durch Rußland,
England und das besiegte, jetzt aber durch Tallehrands Talent vertretene
Frankreich bestimmt wurde. Im Interesse dieser Mächte lag es, daß die Zer¬
rissenheit Deutschlands erhalten wurde, und so unterstützten sie Metternich und
Hardenberg in dem Bestreben, vor allem die Großmachtsstellung Österreichs
und Preußens innerhalb des neuen deutschen Bundes sicherzustellen. So
wurde der letztere zu einem Verein souveräner Fürsten und Städte, der auf
völkerrechtlichen Einbildungen und falschen Voraussetzungen beruhte. Die vier
kleinen Könige desselben hatten jeder so viel Stimmen als die Beherrscher von
Österreich und von Preußen, während doch in der europäischen Wagschale die
Gesamtheit der deutschen Fürsten und Städte nicht so viel wog als jede der
beiden Vormächte für sich. Kein Wunder, daß keiner der beiden sich später
der Mehrheit unterwerfen wollte. Die Verfassung des Bundes aber erklärte
den Bund für unauflösbar, er konnte dies aber nur bleiben, wenn sich die An¬
nahme, daß die heilige Allianz und die Eintracht zwischen Österreich und Preußen
immerfort bestehen würden, bewahrheitete, und dies erwies sich als Irrtum.
Eine andre Anomalie war die Aufnahme zweier fremden kleinen Souveräne,
des dänischen Königs für Holstein und Lauenburg und des niederländischen
für Luxemburg, in einen Bund, an dessen Bestand sie keinerlei Interesse hatten.
Der Bund war nicht eutivicklungsfähig, das gewaltige Deutschland der Befreiungs¬
kriege wurde durch ihn für Europa muudtot und im Rate der fünf Gro߬
wächte, wie Gortschakoff einmal unverschämt, aber mit gutem Grunde sich aus¬
drückte, auz omubiimiMn puronrent civtsusivs. Vergeblich baten deutsche Fürsten
den Kaiser Franz, die 1806 niedergelegte deutsche Krone wieder anzunehmen.
Vor allem bemüht, die Habsburg-lothringische Hausmacht nach so vielen Kriegen
in>d Verlusten wieder herzustellen, hatte er kein Ohr für die Wünsche der


Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

er fühlt sich dem genialen Staatsmanne, der beinahe ein Menschenalter die
Geschicke des Vaterlands leitet, „zu aufrichtigstem Danke verpflichtet."

Der Verfasser leitet seine Mitteilungen durch einen Rückblick auf die Ent¬
wicklungsstufen ein, die die deutsche Frage seit der Auflösung des heiligen
römischen Reiches bis zum Frieden mit Dänemark (1864) durchlaufen hat,
und erinnert zunächst daran, daß bis zu dem Tage, wo Franz II. die deutsche
Kaiserwürde niederlegte, kein einziger deutscher Fürst rechtlich im Besitze voller
Souveränität war, und daß später, wo Napoleon sie den Mitgliedern des Rhein¬
bundes zugestand, anch die Könige von Baiern, Sachsen und Württemberg sie
nicht thatsächlich ausübte», sondern nur ,,nus Basalten von Kaiser und Reich
zu Schleppträgeru eines fremden Eroberers geworden waren." Nach Ab-
schüttelung des Joches beging Österreich den Fehler, Baiern im Vertrage von
Ried jene volle Souveränität zu gewähren, die bisher nur auf dem Papier
bestanden hatte, und dieser Vertrag wurde maßgebend für die Neugestaltung
Deutschlands durch den Wiener Kongreß, die vorzüglich durch Rußland,
England und das besiegte, jetzt aber durch Tallehrands Talent vertretene
Frankreich bestimmt wurde. Im Interesse dieser Mächte lag es, daß die Zer¬
rissenheit Deutschlands erhalten wurde, und so unterstützten sie Metternich und
Hardenberg in dem Bestreben, vor allem die Großmachtsstellung Österreichs
und Preußens innerhalb des neuen deutschen Bundes sicherzustellen. So
wurde der letztere zu einem Verein souveräner Fürsten und Städte, der auf
völkerrechtlichen Einbildungen und falschen Voraussetzungen beruhte. Die vier
kleinen Könige desselben hatten jeder so viel Stimmen als die Beherrscher von
Österreich und von Preußen, während doch in der europäischen Wagschale die
Gesamtheit der deutschen Fürsten und Städte nicht so viel wog als jede der
beiden Vormächte für sich. Kein Wunder, daß keiner der beiden sich später
der Mehrheit unterwerfen wollte. Die Verfassung des Bundes aber erklärte
den Bund für unauflösbar, er konnte dies aber nur bleiben, wenn sich die An¬
nahme, daß die heilige Allianz und die Eintracht zwischen Österreich und Preußen
immerfort bestehen würden, bewahrheitete, und dies erwies sich als Irrtum.
Eine andre Anomalie war die Aufnahme zweier fremden kleinen Souveräne,
des dänischen Königs für Holstein und Lauenburg und des niederländischen
für Luxemburg, in einen Bund, an dessen Bestand sie keinerlei Interesse hatten.
Der Bund war nicht eutivicklungsfähig, das gewaltige Deutschland der Befreiungs¬
kriege wurde durch ihn für Europa muudtot und im Rate der fünf Gro߬
wächte, wie Gortschakoff einmal unverschämt, aber mit gutem Grunde sich aus¬
drückte, auz omubiimiMn puronrent civtsusivs. Vergeblich baten deutsche Fürsten
den Kaiser Franz, die 1806 niedergelegte deutsche Krone wieder anzunehmen.
Vor allem bemüht, die Habsburg-lothringische Hausmacht nach so vielen Kriegen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/87>, abgerufen am 25.08.2024.