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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Das Nationalgefühl

Und der Tag der Rache und der Befreiung kam plötzlich und unver¬
mittelt, im Städtebrande, in blutigen Morgenröten. Der Ungeduld viel zu
spät, manchem Manne des Staates und des Heeres vielleicht zu früh. Da
brachte die herrliche Erhebung selber die fortschreitende Allsbildung und Ver¬
schmelzung der politischen und patriotischen Wünsche und Gedanken zum jähen
Stillstand, der Krieg unterbrach die Entstehung einer öffentlichen Meinung
und schränkte alles wieder auf den reinen und alleinigen glühenden Drang der
Befreiung ein. Dies lehrt vor allem die wie über Nacht empvrgeflammte
neue Dichtung der Befreiungstage. Aus seinem trauten Wiener Kreise war
Theodor Körner herbeigeeilt, denn ihn hatte der neuerwachte Geist ganz
plötzlich, aber nicht minder überwältigend gepackt als irgend einen der preu-
ßischen Jünglinge: als das Volk aufsteht, der Sturm losbricht, da giebt Körner
in schnellem Entschluß alles auf, was glückverheißend vor ihm liegt, eilt
nach Preußen und tritt ein in die Scharen des Majors von Lützow, fortan
der eigentliche Thrtäns des Kampfes. Körner ist der, der im Gedicht am
treuesteri den einzig allgemeinen Geist der Erhebung widerspiegelt: das Vater¬
land rein zu waschen von der Schmach, am freien Rheine ein weißes Sieges¬
zeichen zu errichten. Kein weiterer politischer Gedanke drängt sich hinein, der
Grundton von "Leier und Schwert" ist überall nur die dichterische Abklärung
von Lützows wilder verwegener Jagd, der rücksichtslose Sturm zum Siege,
und, während Fvuqu6 von der frohen Heimkehr der Sieger ins befreite
Vaterland singt, bei Körner immer und immer wiederkehrend fast in unheim¬
licher Gewißheit die Ahnung des Todes ans der Wahlstatt. Wohl klingt
im Verlauf des Kampfes in diesen Dichtungen auch die freudige Genugthuung
durch, wie bei Otto von Loben:


An Donau, Neckar und an Main
Reicht alles sich die Hände;
An Elbe, Oder und am Rhein
Will alles nur ein Deutschland sein
Und bleiben bis ans Ende!

aber das ist vereinzelt und mehr eine Erinnerung und Hoffnung aus altem
Sehnen; der allgemeine Ruf ist Kampf und Befreiung und zunächst nur diese;
Preußen voran, noch nicht zur Einheit, nur zur Erlösung, zum Siege! So
bei Arndt, dem eiseukräftigen Rufer zum Streit, und bei Rückert, dem Franken,
so bei Schenkendorf, bei Stägemann und den Übrigen. Die Hoffnungen auf
Einheit und Freiheit, sie hatten Zeit. Verloren gingen sie darum nicht; sie
schlummerten nur tief drinnen in der allgemeinen außerordentlich herzlichen
Einhelligkeit. Denn alle heimatlichen und alle bürgerlichen Unterschiede schienen
ja verwischt und waren zurückgetreten vor dem Gedanken, Brüder zu sein, eines
großen Bundes Glieder zu bilden, vor der gleichen Begeisterung lind vor dein
gleichen aus Herz und Stimmung gebornen, im höchsten Sinne volksniäßigen


Das Nationalgefühl

Und der Tag der Rache und der Befreiung kam plötzlich und unver¬
mittelt, im Städtebrande, in blutigen Morgenröten. Der Ungeduld viel zu
spät, manchem Manne des Staates und des Heeres vielleicht zu früh. Da
brachte die herrliche Erhebung selber die fortschreitende Allsbildung und Ver¬
schmelzung der politischen und patriotischen Wünsche und Gedanken zum jähen
Stillstand, der Krieg unterbrach die Entstehung einer öffentlichen Meinung
und schränkte alles wieder auf den reinen und alleinigen glühenden Drang der
Befreiung ein. Dies lehrt vor allem die wie über Nacht empvrgeflammte
neue Dichtung der Befreiungstage. Aus seinem trauten Wiener Kreise war
Theodor Körner herbeigeeilt, denn ihn hatte der neuerwachte Geist ganz
plötzlich, aber nicht minder überwältigend gepackt als irgend einen der preu-
ßischen Jünglinge: als das Volk aufsteht, der Sturm losbricht, da giebt Körner
in schnellem Entschluß alles auf, was glückverheißend vor ihm liegt, eilt
nach Preußen und tritt ein in die Scharen des Majors von Lützow, fortan
der eigentliche Thrtäns des Kampfes. Körner ist der, der im Gedicht am
treuesteri den einzig allgemeinen Geist der Erhebung widerspiegelt: das Vater¬
land rein zu waschen von der Schmach, am freien Rheine ein weißes Sieges¬
zeichen zu errichten. Kein weiterer politischer Gedanke drängt sich hinein, der
Grundton von „Leier und Schwert" ist überall nur die dichterische Abklärung
von Lützows wilder verwegener Jagd, der rücksichtslose Sturm zum Siege,
und, während Fvuqu6 von der frohen Heimkehr der Sieger ins befreite
Vaterland singt, bei Körner immer und immer wiederkehrend fast in unheim¬
licher Gewißheit die Ahnung des Todes ans der Wahlstatt. Wohl klingt
im Verlauf des Kampfes in diesen Dichtungen auch die freudige Genugthuung
durch, wie bei Otto von Loben:


An Donau, Neckar und an Main
Reicht alles sich die Hände;
An Elbe, Oder und am Rhein
Will alles nur ein Deutschland sein
Und bleiben bis ans Ende!

aber das ist vereinzelt und mehr eine Erinnerung und Hoffnung aus altem
Sehnen; der allgemeine Ruf ist Kampf und Befreiung und zunächst nur diese;
Preußen voran, noch nicht zur Einheit, nur zur Erlösung, zum Siege! So
bei Arndt, dem eiseukräftigen Rufer zum Streit, und bei Rückert, dem Franken,
so bei Schenkendorf, bei Stägemann und den Übrigen. Die Hoffnungen auf
Einheit und Freiheit, sie hatten Zeit. Verloren gingen sie darum nicht; sie
schlummerten nur tief drinnen in der allgemeinen außerordentlich herzlichen
Einhelligkeit. Denn alle heimatlichen und alle bürgerlichen Unterschiede schienen
ja verwischt und waren zurückgetreten vor dem Gedanken, Brüder zu sein, eines
großen Bundes Glieder zu bilden, vor der gleichen Begeisterung lind vor dein
gleichen aus Herz und Stimmung gebornen, im höchsten Sinne volksniäßigen


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[0083] Das Nationalgefühl Und der Tag der Rache und der Befreiung kam plötzlich und unver¬ mittelt, im Städtebrande, in blutigen Morgenröten. Der Ungeduld viel zu spät, manchem Manne des Staates und des Heeres vielleicht zu früh. Da brachte die herrliche Erhebung selber die fortschreitende Allsbildung und Ver¬ schmelzung der politischen und patriotischen Wünsche und Gedanken zum jähen Stillstand, der Krieg unterbrach die Entstehung einer öffentlichen Meinung und schränkte alles wieder auf den reinen und alleinigen glühenden Drang der Befreiung ein. Dies lehrt vor allem die wie über Nacht empvrgeflammte neue Dichtung der Befreiungstage. Aus seinem trauten Wiener Kreise war Theodor Körner herbeigeeilt, denn ihn hatte der neuerwachte Geist ganz plötzlich, aber nicht minder überwältigend gepackt als irgend einen der preu- ßischen Jünglinge: als das Volk aufsteht, der Sturm losbricht, da giebt Körner in schnellem Entschluß alles auf, was glückverheißend vor ihm liegt, eilt nach Preußen und tritt ein in die Scharen des Majors von Lützow, fortan der eigentliche Thrtäns des Kampfes. Körner ist der, der im Gedicht am treuesteri den einzig allgemeinen Geist der Erhebung widerspiegelt: das Vater¬ land rein zu waschen von der Schmach, am freien Rheine ein weißes Sieges¬ zeichen zu errichten. Kein weiterer politischer Gedanke drängt sich hinein, der Grundton von „Leier und Schwert" ist überall nur die dichterische Abklärung von Lützows wilder verwegener Jagd, der rücksichtslose Sturm zum Siege, und, während Fvuqu6 von der frohen Heimkehr der Sieger ins befreite Vaterland singt, bei Körner immer und immer wiederkehrend fast in unheim¬ licher Gewißheit die Ahnung des Todes ans der Wahlstatt. Wohl klingt im Verlauf des Kampfes in diesen Dichtungen auch die freudige Genugthuung durch, wie bei Otto von Loben: An Donau, Neckar und an Main Reicht alles sich die Hände; An Elbe, Oder und am Rhein Will alles nur ein Deutschland sein Und bleiben bis ans Ende! aber das ist vereinzelt und mehr eine Erinnerung und Hoffnung aus altem Sehnen; der allgemeine Ruf ist Kampf und Befreiung und zunächst nur diese; Preußen voran, noch nicht zur Einheit, nur zur Erlösung, zum Siege! So bei Arndt, dem eiseukräftigen Rufer zum Streit, und bei Rückert, dem Franken, so bei Schenkendorf, bei Stägemann und den Übrigen. Die Hoffnungen auf Einheit und Freiheit, sie hatten Zeit. Verloren gingen sie darum nicht; sie schlummerten nur tief drinnen in der allgemeinen außerordentlich herzlichen Einhelligkeit. Denn alle heimatlichen und alle bürgerlichen Unterschiede schienen ja verwischt und waren zurückgetreten vor dem Gedanken, Brüder zu sein, eines großen Bundes Glieder zu bilden, vor der gleichen Begeisterung lind vor dein gleichen aus Herz und Stimmung gebornen, im höchsten Sinne volksniäßigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/83>, abgerufen am 23.07.2024.