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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Das Nationalgefiihl

nun war das Wort "deutsch" mächtig, selber gedankenbildend geworden. Was die
Übertragung dieses Wortes vom Begriff der bloßen sprachlichen und geistigen
Gemeinsamkeit zur politischen hinüber bedeute, das empfand mit unter deu
Ersten, eigentlich eher als die Deutschen selber Napoleon, der große Kenner
und Benutzer der Stimmung der Völker: ,,Jch kenne keine Deutschen, ich will
keine kennen, nur Württemberger, Sachsen, Baiern!" so spricht er gerade in diesen
Tagen mit dem ganzen leidenschaftlichen Ingrimm aus, den er so oft zu
bemeistern vergaß.

"Ich rede für Deutsche schlechtweg, von Deutschen schlechtweg, nicht an¬
erkennend, sondern durchaus beiseite setzend und wegwerfend alle trennenden
Unterscheidungen," sprach Fichtes stolze Freiheit im Denken, unbekümmert um
das Elend der Kleinstaaterei, unbekümmert aber auch um Preußen, auch nur
die Beschäftigung mit ihrem Vorhandensein schon abweisend. Er wollte das
Volk, das durch den gleichen geistigen Stolz einst des deutschen Namens froh
geworden war, lehren, auch politisch nur deutsch zu sein und deutsch zu
fühlen. Und man gelangte in diesen neuen politischen Gedankenbahuen vom
Namen "deutsch" auch wirklich uicht zu den staatlichen Sondergebilden unter
ihm, blieb ihnen und ihren Zwischeugrenzen fern, man vollzog vielmehr den¬
jenigen Übergang der Idee, der nnn, wenn jene nur vermieden wurden, nahe
genug gerückt war: zur Einheit. Ihren vergessenen Namen hatte Seume, in
dessen treuer Seele die Wandlung der Zeiten, seit er seine Napolevusbewunde-
rung begraben, so tiefe Furchen gezogen hatte, schon wieder auferweckt, als
er im Jahre 1810 gegen die Rheinbundsfürsten, die Satelliten des fremden
Zerstörers donnerte:


Einheit mir kann das Verderben hemmen,
Und die Einheit fliehn wir wie die Pest.

Blicke, Genius des Vaterlandes,
Mit dem Licht gemeineren Verstandes
Auf die Hohen und das Volk herab,
Daß wir Einheit, Freiheit, Recht erwerben,
Oder alle die Geschwächten sterben,
Und die Weltgeschichte gräbt das Grab.

Es war das in dem Zorne seiner Worte mehr noch die Einheit im Gegensatz zur
Zwietracht, im Sinne von Einigkeit gewesen. Jetzt aber war die "deutsche Einheit"
gefunden, und, Deutschlands Befreiung durch einen deutschen Sinn fordernd,
das gemeinsame deutsche Wollen, das Nationalgefühl der Deutschen entstanden.

Es wäre jedoch verfrüht, als Bestandteil dieses neuentstandnen bewußten
Patriotischen Gefühls sofort auch zugleich eine öffentliche Meumng über
Deutschlands Gegenwart und Zukunft suchen zu wollen. Gewiß wirkte das
romantisch-historische Angedenken des deutschen Reiches in vielen, träumte
>"nu mit Eichendorff


Grenzboten I 1890 1"
Das Nationalgefiihl

nun war das Wort „deutsch" mächtig, selber gedankenbildend geworden. Was die
Übertragung dieses Wortes vom Begriff der bloßen sprachlichen und geistigen
Gemeinsamkeit zur politischen hinüber bedeute, das empfand mit unter deu
Ersten, eigentlich eher als die Deutschen selber Napoleon, der große Kenner
und Benutzer der Stimmung der Völker: ,,Jch kenne keine Deutschen, ich will
keine kennen, nur Württemberger, Sachsen, Baiern!" so spricht er gerade in diesen
Tagen mit dem ganzen leidenschaftlichen Ingrimm aus, den er so oft zu
bemeistern vergaß.

„Ich rede für Deutsche schlechtweg, von Deutschen schlechtweg, nicht an¬
erkennend, sondern durchaus beiseite setzend und wegwerfend alle trennenden
Unterscheidungen," sprach Fichtes stolze Freiheit im Denken, unbekümmert um
das Elend der Kleinstaaterei, unbekümmert aber auch um Preußen, auch nur
die Beschäftigung mit ihrem Vorhandensein schon abweisend. Er wollte das
Volk, das durch den gleichen geistigen Stolz einst des deutschen Namens froh
geworden war, lehren, auch politisch nur deutsch zu sein und deutsch zu
fühlen. Und man gelangte in diesen neuen politischen Gedankenbahuen vom
Namen „deutsch" auch wirklich uicht zu den staatlichen Sondergebilden unter
ihm, blieb ihnen und ihren Zwischeugrenzen fern, man vollzog vielmehr den¬
jenigen Übergang der Idee, der nnn, wenn jene nur vermieden wurden, nahe
genug gerückt war: zur Einheit. Ihren vergessenen Namen hatte Seume, in
dessen treuer Seele die Wandlung der Zeiten, seit er seine Napolevusbewunde-
rung begraben, so tiefe Furchen gezogen hatte, schon wieder auferweckt, als
er im Jahre 1810 gegen die Rheinbundsfürsten, die Satelliten des fremden
Zerstörers donnerte:


Einheit mir kann das Verderben hemmen,
Und die Einheit fliehn wir wie die Pest.

Blicke, Genius des Vaterlandes,
Mit dem Licht gemeineren Verstandes
Auf die Hohen und das Volk herab,
Daß wir Einheit, Freiheit, Recht erwerben,
Oder alle die Geschwächten sterben,
Und die Weltgeschichte gräbt das Grab.

Es war das in dem Zorne seiner Worte mehr noch die Einheit im Gegensatz zur
Zwietracht, im Sinne von Einigkeit gewesen. Jetzt aber war die „deutsche Einheit"
gefunden, und, Deutschlands Befreiung durch einen deutschen Sinn fordernd,
das gemeinsame deutsche Wollen, das Nationalgefühl der Deutschen entstanden.

Es wäre jedoch verfrüht, als Bestandteil dieses neuentstandnen bewußten
Patriotischen Gefühls sofort auch zugleich eine öffentliche Meumng über
Deutschlands Gegenwart und Zukunft suchen zu wollen. Gewiß wirkte das
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>»nu mit Eichendorff


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[0081] Das Nationalgefiihl nun war das Wort „deutsch" mächtig, selber gedankenbildend geworden. Was die Übertragung dieses Wortes vom Begriff der bloßen sprachlichen und geistigen Gemeinsamkeit zur politischen hinüber bedeute, das empfand mit unter deu Ersten, eigentlich eher als die Deutschen selber Napoleon, der große Kenner und Benutzer der Stimmung der Völker: ,,Jch kenne keine Deutschen, ich will keine kennen, nur Württemberger, Sachsen, Baiern!" so spricht er gerade in diesen Tagen mit dem ganzen leidenschaftlichen Ingrimm aus, den er so oft zu bemeistern vergaß. „Ich rede für Deutsche schlechtweg, von Deutschen schlechtweg, nicht an¬ erkennend, sondern durchaus beiseite setzend und wegwerfend alle trennenden Unterscheidungen," sprach Fichtes stolze Freiheit im Denken, unbekümmert um das Elend der Kleinstaaterei, unbekümmert aber auch um Preußen, auch nur die Beschäftigung mit ihrem Vorhandensein schon abweisend. Er wollte das Volk, das durch den gleichen geistigen Stolz einst des deutschen Namens froh geworden war, lehren, auch politisch nur deutsch zu sein und deutsch zu fühlen. Und man gelangte in diesen neuen politischen Gedankenbahuen vom Namen „deutsch" auch wirklich uicht zu den staatlichen Sondergebilden unter ihm, blieb ihnen und ihren Zwischeugrenzen fern, man vollzog vielmehr den¬ jenigen Übergang der Idee, der nnn, wenn jene nur vermieden wurden, nahe genug gerückt war: zur Einheit. Ihren vergessenen Namen hatte Seume, in dessen treuer Seele die Wandlung der Zeiten, seit er seine Napolevusbewunde- rung begraben, so tiefe Furchen gezogen hatte, schon wieder auferweckt, als er im Jahre 1810 gegen die Rheinbundsfürsten, die Satelliten des fremden Zerstörers donnerte: Einheit mir kann das Verderben hemmen, Und die Einheit fliehn wir wie die Pest. Blicke, Genius des Vaterlandes, Mit dem Licht gemeineren Verstandes Auf die Hohen und das Volk herab, Daß wir Einheit, Freiheit, Recht erwerben, Oder alle die Geschwächten sterben, Und die Weltgeschichte gräbt das Grab. Es war das in dem Zorne seiner Worte mehr noch die Einheit im Gegensatz zur Zwietracht, im Sinne von Einigkeit gewesen. Jetzt aber war die „deutsche Einheit" gefunden, und, Deutschlands Befreiung durch einen deutschen Sinn fordernd, das gemeinsame deutsche Wollen, das Nationalgefühl der Deutschen entstanden. Es wäre jedoch verfrüht, als Bestandteil dieses neuentstandnen bewußten Patriotischen Gefühls sofort auch zugleich eine öffentliche Meumng über Deutschlands Gegenwart und Zukunft suchen zu wollen. Gewiß wirkte das romantisch-historische Angedenken des deutschen Reiches in vielen, träumte >»nu mit Eichendorff Grenzboten I 1890 1»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/81>, abgerufen am 23.07.2024.