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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die allgemeine Wehrpflicht in den Wehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs

znlibcr bekannt. Daher haben sie die Dieüs^it in der Reserve auf sieben Jahre,
gegenüber den vier Jahren bei uns, verlängert und so den wesentlichen Vor¬
teil gewonnen, alles, was sogleich ins Feld zu führen ist, schon im Frieden
mit dem richtigen Namen bezeichnet zu haben.

Es bleibt also dabei, Frankreich gewinnt durch sein neues Wehrgesetz
jährlich 50000 ausgebildete Soldaten im Vergleich zu Deutschland und mit
diesem Gewinn in absehbarer Zeit der Zahl nach das Übergewicht. Wird das
im künftigen Kriege ausschlaggebend sein? Das vermag niemand zu sagen.
Die Erfahrung lehrt, daß geniale Feldherren es öfter verstanden haben, ob¬
gleich die Gesamtzahl ihrer Kräfte denen des Feindes bedeutend nachstand,
trotzdem auf dein Schlachtfelde die Überzahl zu vereinigen. Doch waren dies
immer uur Ausnahmefälle. Einer vernünftigen Kriegsvorbereitung steht es
besser an, sich nicht darauf zu verlassen, sondern dem Heerführer eine dem
Gegner in der Zahl gewachsene Macht an die Hand zu geben.

Das neue französische Wehrgesetz ist in Wahrheit eine militärische That.
Sie kann zwar nicht mit den Leistungen Preußens nach 1807 auf eine Stufe
gestellt werden, denn sie vollzieht sich unter wesentlich günstigern Bedingungen,
aber sie reiht sich würdig an sie an. Wenn Frankreich alle seine zum Heeres¬
dienst geeigneten Söhne ausnahmslos zum Friedensdienst heranzieht, wenn es
1,5 vom Hundert der Gesamteinwohnerzahl fortwährend bei der Fahne hält,
angesichts der besprochenen Annahme, daß 1 vom Hundert das Höchste zu
leistende sei und angesichts der 0,"8 vom Hundert in Deutschland, wenn es
allen seinen Söhnen eine zur Not vollständig genügende militärische Ausbil¬
dung giebt, so ist das eine große Anstrengung, der die vollste Anerkennung
nicht zu versagen ist. Das neue Gesetz allein genügt, um das landläufige
Gerede vom Niedergange Frankreichs zu widerlegen. Ein Volk, das derartige
Gesetze schafft, mag an vielen Übeln kranken, sittliche Kraft wird ihm nicht
abgesprochen werden können.

Es ist kürzlich an hervorragender Stelle die Frage aufgeworfen worden,
ob die Im orgMiauv noch im Rahmen der ruhigen Fortentwicklung und
Schulung der Volkskräfte zum Zweck der Vaterlandsverteidigung liege, oder
ob sie vielmehr schon zu den wirklichen Kriegsrüstungen zu rechnen sei. Eine
Antwort darauf zu suchen dürfte eine müßige Beschäftigung sein. Kriegs¬
rüstung oder nicht, wir können die Einführung des Gesetzes nicht hindern.
Die Thatsache seines Bestehens genügt, die Lage zu kennzeichnen. Wichtiger
erscheint die Betrachtung, ob das Gesetz im ganzen Umfange wird zur Durch¬
führung kommen können. Auch sie ist nur mit Vermutungen zu beantworten:
die Zeit muß .Klarheit bringen.

Die so oft betonten finanziellen Schwierigkeiten dürften kein unbedingtes
Hindernis bieten, dafür bürgt die Opferwilligkeit des französischen Volkes, wenn
es sich um die Stärkung seiner Wehrkraft handelt, sein Reichtum und die


Die allgemeine Wehrpflicht in den Wehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs

znlibcr bekannt. Daher haben sie die Dieüs^it in der Reserve auf sieben Jahre,
gegenüber den vier Jahren bei uns, verlängert und so den wesentlichen Vor¬
teil gewonnen, alles, was sogleich ins Feld zu führen ist, schon im Frieden
mit dem richtigen Namen bezeichnet zu haben.

Es bleibt also dabei, Frankreich gewinnt durch sein neues Wehrgesetz
jährlich 50000 ausgebildete Soldaten im Vergleich zu Deutschland und mit
diesem Gewinn in absehbarer Zeit der Zahl nach das Übergewicht. Wird das
im künftigen Kriege ausschlaggebend sein? Das vermag niemand zu sagen.
Die Erfahrung lehrt, daß geniale Feldherren es öfter verstanden haben, ob¬
gleich die Gesamtzahl ihrer Kräfte denen des Feindes bedeutend nachstand,
trotzdem auf dein Schlachtfelde die Überzahl zu vereinigen. Doch waren dies
immer uur Ausnahmefälle. Einer vernünftigen Kriegsvorbereitung steht es
besser an, sich nicht darauf zu verlassen, sondern dem Heerführer eine dem
Gegner in der Zahl gewachsene Macht an die Hand zu geben.

Das neue französische Wehrgesetz ist in Wahrheit eine militärische That.
Sie kann zwar nicht mit den Leistungen Preußens nach 1807 auf eine Stufe
gestellt werden, denn sie vollzieht sich unter wesentlich günstigern Bedingungen,
aber sie reiht sich würdig an sie an. Wenn Frankreich alle seine zum Heeres¬
dienst geeigneten Söhne ausnahmslos zum Friedensdienst heranzieht, wenn es
1,5 vom Hundert der Gesamteinwohnerzahl fortwährend bei der Fahne hält,
angesichts der besprochenen Annahme, daß 1 vom Hundert das Höchste zu
leistende sei und angesichts der 0,»8 vom Hundert in Deutschland, wenn es
allen seinen Söhnen eine zur Not vollständig genügende militärische Ausbil¬
dung giebt, so ist das eine große Anstrengung, der die vollste Anerkennung
nicht zu versagen ist. Das neue Gesetz allein genügt, um das landläufige
Gerede vom Niedergange Frankreichs zu widerlegen. Ein Volk, das derartige
Gesetze schafft, mag an vielen Übeln kranken, sittliche Kraft wird ihm nicht
abgesprochen werden können.

Es ist kürzlich an hervorragender Stelle die Frage aufgeworfen worden,
ob die Im orgMiauv noch im Rahmen der ruhigen Fortentwicklung und
Schulung der Volkskräfte zum Zweck der Vaterlandsverteidigung liege, oder
ob sie vielmehr schon zu den wirklichen Kriegsrüstungen zu rechnen sei. Eine
Antwort darauf zu suchen dürfte eine müßige Beschäftigung sein. Kriegs¬
rüstung oder nicht, wir können die Einführung des Gesetzes nicht hindern.
Die Thatsache seines Bestehens genügt, die Lage zu kennzeichnen. Wichtiger
erscheint die Betrachtung, ob das Gesetz im ganzen Umfange wird zur Durch¬
führung kommen können. Auch sie ist nur mit Vermutungen zu beantworten:
die Zeit muß .Klarheit bringen.

Die so oft betonten finanziellen Schwierigkeiten dürften kein unbedingtes
Hindernis bieten, dafür bürgt die Opferwilligkeit des französischen Volkes, wenn
es sich um die Stärkung seiner Wehrkraft handelt, sein Reichtum und die


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[0075] Die allgemeine Wehrpflicht in den Wehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs znlibcr bekannt. Daher haben sie die Dieüs^it in der Reserve auf sieben Jahre, gegenüber den vier Jahren bei uns, verlängert und so den wesentlichen Vor¬ teil gewonnen, alles, was sogleich ins Feld zu führen ist, schon im Frieden mit dem richtigen Namen bezeichnet zu haben. Es bleibt also dabei, Frankreich gewinnt durch sein neues Wehrgesetz jährlich 50000 ausgebildete Soldaten im Vergleich zu Deutschland und mit diesem Gewinn in absehbarer Zeit der Zahl nach das Übergewicht. Wird das im künftigen Kriege ausschlaggebend sein? Das vermag niemand zu sagen. Die Erfahrung lehrt, daß geniale Feldherren es öfter verstanden haben, ob¬ gleich die Gesamtzahl ihrer Kräfte denen des Feindes bedeutend nachstand, trotzdem auf dein Schlachtfelde die Überzahl zu vereinigen. Doch waren dies immer uur Ausnahmefälle. Einer vernünftigen Kriegsvorbereitung steht es besser an, sich nicht darauf zu verlassen, sondern dem Heerführer eine dem Gegner in der Zahl gewachsene Macht an die Hand zu geben. Das neue französische Wehrgesetz ist in Wahrheit eine militärische That. Sie kann zwar nicht mit den Leistungen Preußens nach 1807 auf eine Stufe gestellt werden, denn sie vollzieht sich unter wesentlich günstigern Bedingungen, aber sie reiht sich würdig an sie an. Wenn Frankreich alle seine zum Heeres¬ dienst geeigneten Söhne ausnahmslos zum Friedensdienst heranzieht, wenn es 1,5 vom Hundert der Gesamteinwohnerzahl fortwährend bei der Fahne hält, angesichts der besprochenen Annahme, daß 1 vom Hundert das Höchste zu leistende sei und angesichts der 0,»8 vom Hundert in Deutschland, wenn es allen seinen Söhnen eine zur Not vollständig genügende militärische Ausbil¬ dung giebt, so ist das eine große Anstrengung, der die vollste Anerkennung nicht zu versagen ist. Das neue Gesetz allein genügt, um das landläufige Gerede vom Niedergange Frankreichs zu widerlegen. Ein Volk, das derartige Gesetze schafft, mag an vielen Übeln kranken, sittliche Kraft wird ihm nicht abgesprochen werden können. Es ist kürzlich an hervorragender Stelle die Frage aufgeworfen worden, ob die Im orgMiauv noch im Rahmen der ruhigen Fortentwicklung und Schulung der Volkskräfte zum Zweck der Vaterlandsverteidigung liege, oder ob sie vielmehr schon zu den wirklichen Kriegsrüstungen zu rechnen sei. Eine Antwort darauf zu suchen dürfte eine müßige Beschäftigung sein. Kriegs¬ rüstung oder nicht, wir können die Einführung des Gesetzes nicht hindern. Die Thatsache seines Bestehens genügt, die Lage zu kennzeichnen. Wichtiger erscheint die Betrachtung, ob das Gesetz im ganzen Umfange wird zur Durch¬ führung kommen können. Auch sie ist nur mit Vermutungen zu beantworten: die Zeit muß .Klarheit bringen. Die so oft betonten finanziellen Schwierigkeiten dürften kein unbedingtes Hindernis bieten, dafür bürgt die Opferwilligkeit des französischen Volkes, wenn es sich um die Stärkung seiner Wehrkraft handelt, sein Reichtum und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/75>, abgerufen am 23.07.2024.