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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die allgemeine Wehrpflicht in den Ivehrgesetzen Deutschlands n"d Frankreichs

zwnngen, denn kein Staat hat sich freiwillig, ans der überzcnguug heraus,
daß die allgemeine Wehrpflicht die einzige eines Kulturvolkes würdige Wehr¬
verfassung sei, zu ihrer Annahme entschlossen. In Österreich-Ungarn waren
es finanzielle Bedenken, in Nußland voltslvirtschaftliche Gründe, in Frankreich
endlich die merkwürdigen, in dem gelobten Lande der Freiheit herrschenden
Anschauungen über die Gleichheit aller Staatsbürger, die die Beschränkung der
allgemeinen Wehrpflicht veranlaßten.

Erst in der allerjüngsten Zeit hat Frankreich, gedrängt durch die in ihm
immer mehr die Oberhand gewinnende Demokratie, die allgemeine Wehrpflicht
in ihrer ganzen Strenge durch das Gesetz vom 15. Juli 1889 zur Durch¬
führung zu bringen versucht. Daher lohnt sich eine nähere Betrachtung dieser
Ivi in-Mnianö schon aus kulturgeschichtlichen Gründen. Für uns Deutsche ist
sie aber, wo es sich um die militärische Kraft unsers bösen Nachbars von heute
und, was die Vorsehung verhüten möge, vielleicht unsers Gegners von morgen
handelt, ganz besonders wichtig.

Welche Bedeutung diesem neuen französischen Gesetz zugeschrieben werden
muß, ist man am besten in der Lage an einem Vergleich mit den entsprechenden
gesetzlichen Bestimmungen Deutschlands zu erweisen. Die erste hierbei zu be¬
antwortende Frage lautet: Was ist über die Wehrpflicht im allgemeinen be¬
stimmt?

Beide Wehrgesetze stellen für den Kriegsfall alle streitbaren Männer dem
Vaterlande zur Verfügung, das deutsche die vom vollendeten 17. bis zum
vollendeten 45. Lebensjahre, d. h. 28 Jahre lang, das französische die vom 21.
bis zum 46., also 25 Jahre lang. Wir sind demnach freigebiger gewesen, da
wir schon die Jünglinge vom 17. bis zum 21. Lebensjahre für wehrpflichtig
anerkennen. Der Unterschied findet seine Erklärung in der Hauptsache in den
grnndverschiednen Erfahrungen, die Preußen und Frankreich mit jungen Sol¬
daten gemacht haben: Preußen in den Freiheitskriegen gute, Frankreich zu der¬
selben Zeit und 1870/71 schlechte. Im übrigem mag die Körperbeschnsfeuheit
des Durchschnitts der in diesem Alter stehenden Jugend beider Länder ihren
Alleen daran haben. Leider tröstet man sich bei uns an manchen Stellen mit
der hervorgehobnen billigen Freigebigkeit, obwohl sie dieses umso weniger wert
ist, als es sich bei der Berechnung der Wehrkraft eines heutigen europäischen
Großstaates überhaupt nicht um die Zahl der Wehrpflichtigen handelt. Die
Zahl der militärisch ausgebildeten Mannschaften ist es, die im modernen Kriege
den Nnsschlag giebt. Was helfen Millionen kriegstüchtigcr Leute, wenn sie
nicht fähig fuit, die Waffen zu gebrauchen? So gut wie nichts. Die ans
ihnen gebildeten Kriegshaufen zerstieben vor dem Ansturm wirklicher Soldaten
wie Spreu vorm Winde. Schon einer der ersten Apostel der allgemeinen
Wehrpflicht, Graf Johann von Nassau, sagt an der Wende des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts: "Da steht nun alles an richtiger Ausrüstung und


Die allgemeine Wehrpflicht in den Ivehrgesetzen Deutschlands n»d Frankreichs

zwnngen, denn kein Staat hat sich freiwillig, ans der überzcnguug heraus,
daß die allgemeine Wehrpflicht die einzige eines Kulturvolkes würdige Wehr¬
verfassung sei, zu ihrer Annahme entschlossen. In Österreich-Ungarn waren
es finanzielle Bedenken, in Nußland voltslvirtschaftliche Gründe, in Frankreich
endlich die merkwürdigen, in dem gelobten Lande der Freiheit herrschenden
Anschauungen über die Gleichheit aller Staatsbürger, die die Beschränkung der
allgemeinen Wehrpflicht veranlaßten.

Erst in der allerjüngsten Zeit hat Frankreich, gedrängt durch die in ihm
immer mehr die Oberhand gewinnende Demokratie, die allgemeine Wehrpflicht
in ihrer ganzen Strenge durch das Gesetz vom 15. Juli 1889 zur Durch¬
führung zu bringen versucht. Daher lohnt sich eine nähere Betrachtung dieser
Ivi in-Mnianö schon aus kulturgeschichtlichen Gründen. Für uns Deutsche ist
sie aber, wo es sich um die militärische Kraft unsers bösen Nachbars von heute
und, was die Vorsehung verhüten möge, vielleicht unsers Gegners von morgen
handelt, ganz besonders wichtig.

Welche Bedeutung diesem neuen französischen Gesetz zugeschrieben werden
muß, ist man am besten in der Lage an einem Vergleich mit den entsprechenden
gesetzlichen Bestimmungen Deutschlands zu erweisen. Die erste hierbei zu be¬
antwortende Frage lautet: Was ist über die Wehrpflicht im allgemeinen be¬
stimmt?

Beide Wehrgesetze stellen für den Kriegsfall alle streitbaren Männer dem
Vaterlande zur Verfügung, das deutsche die vom vollendeten 17. bis zum
vollendeten 45. Lebensjahre, d. h. 28 Jahre lang, das französische die vom 21.
bis zum 46., also 25 Jahre lang. Wir sind demnach freigebiger gewesen, da
wir schon die Jünglinge vom 17. bis zum 21. Lebensjahre für wehrpflichtig
anerkennen. Der Unterschied findet seine Erklärung in der Hauptsache in den
grnndverschiednen Erfahrungen, die Preußen und Frankreich mit jungen Sol¬
daten gemacht haben: Preußen in den Freiheitskriegen gute, Frankreich zu der¬
selben Zeit und 1870/71 schlechte. Im übrigem mag die Körperbeschnsfeuheit
des Durchschnitts der in diesem Alter stehenden Jugend beider Länder ihren
Alleen daran haben. Leider tröstet man sich bei uns an manchen Stellen mit
der hervorgehobnen billigen Freigebigkeit, obwohl sie dieses umso weniger wert
ist, als es sich bei der Berechnung der Wehrkraft eines heutigen europäischen
Großstaates überhaupt nicht um die Zahl der Wehrpflichtigen handelt. Die
Zahl der militärisch ausgebildeten Mannschaften ist es, die im modernen Kriege
den Nnsschlag giebt. Was helfen Millionen kriegstüchtigcr Leute, wenn sie
nicht fähig fuit, die Waffen zu gebrauchen? So gut wie nichts. Die ans
ihnen gebildeten Kriegshaufen zerstieben vor dem Ansturm wirklicher Soldaten
wie Spreu vorm Winde. Schon einer der ersten Apostel der allgemeinen
Wehrpflicht, Graf Johann von Nassau, sagt an der Wende des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts: „Da steht nun alles an richtiger Ausrüstung und


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[0070] Die allgemeine Wehrpflicht in den Ivehrgesetzen Deutschlands n»d Frankreichs zwnngen, denn kein Staat hat sich freiwillig, ans der überzcnguug heraus, daß die allgemeine Wehrpflicht die einzige eines Kulturvolkes würdige Wehr¬ verfassung sei, zu ihrer Annahme entschlossen. In Österreich-Ungarn waren es finanzielle Bedenken, in Nußland voltslvirtschaftliche Gründe, in Frankreich endlich die merkwürdigen, in dem gelobten Lande der Freiheit herrschenden Anschauungen über die Gleichheit aller Staatsbürger, die die Beschränkung der allgemeinen Wehrpflicht veranlaßten. Erst in der allerjüngsten Zeit hat Frankreich, gedrängt durch die in ihm immer mehr die Oberhand gewinnende Demokratie, die allgemeine Wehrpflicht in ihrer ganzen Strenge durch das Gesetz vom 15. Juli 1889 zur Durch¬ führung zu bringen versucht. Daher lohnt sich eine nähere Betrachtung dieser Ivi in-Mnianö schon aus kulturgeschichtlichen Gründen. Für uns Deutsche ist sie aber, wo es sich um die militärische Kraft unsers bösen Nachbars von heute und, was die Vorsehung verhüten möge, vielleicht unsers Gegners von morgen handelt, ganz besonders wichtig. Welche Bedeutung diesem neuen französischen Gesetz zugeschrieben werden muß, ist man am besten in der Lage an einem Vergleich mit den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen Deutschlands zu erweisen. Die erste hierbei zu be¬ antwortende Frage lautet: Was ist über die Wehrpflicht im allgemeinen be¬ stimmt? Beide Wehrgesetze stellen für den Kriegsfall alle streitbaren Männer dem Vaterlande zur Verfügung, das deutsche die vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 45. Lebensjahre, d. h. 28 Jahre lang, das französische die vom 21. bis zum 46., also 25 Jahre lang. Wir sind demnach freigebiger gewesen, da wir schon die Jünglinge vom 17. bis zum 21. Lebensjahre für wehrpflichtig anerkennen. Der Unterschied findet seine Erklärung in der Hauptsache in den grnndverschiednen Erfahrungen, die Preußen und Frankreich mit jungen Sol¬ daten gemacht haben: Preußen in den Freiheitskriegen gute, Frankreich zu der¬ selben Zeit und 1870/71 schlechte. Im übrigem mag die Körperbeschnsfeuheit des Durchschnitts der in diesem Alter stehenden Jugend beider Länder ihren Alleen daran haben. Leider tröstet man sich bei uns an manchen Stellen mit der hervorgehobnen billigen Freigebigkeit, obwohl sie dieses umso weniger wert ist, als es sich bei der Berechnung der Wehrkraft eines heutigen europäischen Großstaates überhaupt nicht um die Zahl der Wehrpflichtigen handelt. Die Zahl der militärisch ausgebildeten Mannschaften ist es, die im modernen Kriege den Nnsschlag giebt. Was helfen Millionen kriegstüchtigcr Leute, wenn sie nicht fähig fuit, die Waffen zu gebrauchen? So gut wie nichts. Die ans ihnen gebildeten Kriegshaufen zerstieben vor dem Ansturm wirklicher Soldaten wie Spreu vorm Winde. Schon einer der ersten Apostel der allgemeinen Wehrpflicht, Graf Johann von Nassau, sagt an der Wende des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts: „Da steht nun alles an richtiger Ausrüstung und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/70>, abgerufen am 23.07.2024.