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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-Ostaftika

Verwaltung und Rechtspflege abschaffen würden, daß das Ansehen des arabischen
Elements sinken, das Vertrauen der indischen Kaufleute, die ihnen Vorschüsse
zu geben pflegten, schwinden und so ihr Handel geschädigt werden würde. Die
Negerbevolkeruug hatte von der deutschen Verwaltung wenig zu fürchten, aber
manches zu hoffen, die Verhinderung von Sklavenraub z. B. und die Er¬
setzung bestechlicher Richter, aber die Hoffnung war noch keine Thatsache, auch
gab es hier keinen Vvlkswillen, sondern die Häuptlinge herrschte:?, die in der
Erhaltung des alten, halbmiarchischen Zustandes ihre Willkür gesichert sahen,
und denen die Araber leicht einreden konnten, die Deutschen würden ihre Ge¬
wohnheiten uicht berücksichtigen. Der neue Sultan genoß nicht das Ansehen
des frühern, und seine Polizeisoldaten waren unzuverlässig. Die Ostafrikanische
Gesellschaft endlich hatte unterlassen, sich selbst eine Truppe zur Durchführung
ihres vertragsmäßigen Rechts und zur Verteidigung gegen Europäer zu schaffen.
So wurde ihr allmählich bis zum Oktober 1888 mit Ausnahme von Bagamoho
und Dar-es-Snlmu das ganze Küstenland von den Aufständischen entrissen, und
wenn sie hier nicht alles verlor, so hatte sie es dem Eingreifen des deutscheu
Geschwaders zu danken. Die Brandreden des Kardinals Lavigerie gegen die
Scheußlichkeiten des Sklavenhandels und die dadurch aufgeregte öffentliche
Meinung Europas boten dem deutschen Reichskanzler eine Handhabe, anfangs
November mit England und Portugal ein Abkommen über eine Blockade der
ostafrikanischen Küste zur Verhinderung der Ausfuhr von Sklaven und der
Einfuhr von Waffen und Munition für den Aufstand zu vereinbaren. Diese
Zwecke wurden fast vollständig erreicht, aber der Aufstand, der den Charakter
eines kleinen Krieges angenommen hatte und bis zuletzt beibehielt, war mit
Schiffen allein nicht zu bezwingen. Dazu bedürfte man einer Landtrnppe, und
da der Sultan Said Chcilifci mit seinen Askaris wenig leistete und die Ost-
nfrikanische Gesellschaft nicht finanzkräftig genug war, um auch nur ein kleines
Heer aufzustellen, so mußte sie entweder liquidiren oder die Hilfe des deutscheu
Reiches anrufen. Sie wühlte das letztere und wendete sich an den Reichstag,
der nun am 2. Februar 188V durch Gesetz beschloß, die deutschen Interessen in
Ostafrika durch eine Truppe wahrnehmen zu lassen und die Mittel dazu zu
bewilligen. Hauptmann Wißmaun, der Erforscher des südlichen Kongobeckens,
der gründliche Kenner des Araber- und Negercharakters, wurde vom Kaiser
mit der Leitung des Unternehmens beauftragt. Man rüstete eine militärische
Expedition aus, an der sich 14 Offiziere, 4 Arzte, ebensoviel Verwaltungs-
beamte und 100 Unteroffiziere der deutscheu Armee freiwillig beteiligten.
Dazu wurden 600 Sudanesen und Zulus angeworben und 6 Dampfer gechar¬
tert, und mit dem Eintreffen Wißmanus in Sansibar, am !>1. März vorigen
Jahres, begann das Werk der Wiedereroberung Deutsch-Ostafrikas. Der Er¬
folg, in seinen Einzelheiten noch in frischem Gedächtnis, war bisher allent¬
halben zufriedenstellend und wird aller Wahrscheinlichkeit zufolge bald ein


Deutsch-Ostaftika

Verwaltung und Rechtspflege abschaffen würden, daß das Ansehen des arabischen
Elements sinken, das Vertrauen der indischen Kaufleute, die ihnen Vorschüsse
zu geben pflegten, schwinden und so ihr Handel geschädigt werden würde. Die
Negerbevolkeruug hatte von der deutschen Verwaltung wenig zu fürchten, aber
manches zu hoffen, die Verhinderung von Sklavenraub z. B. und die Er¬
setzung bestechlicher Richter, aber die Hoffnung war noch keine Thatsache, auch
gab es hier keinen Vvlkswillen, sondern die Häuptlinge herrschte:?, die in der
Erhaltung des alten, halbmiarchischen Zustandes ihre Willkür gesichert sahen,
und denen die Araber leicht einreden konnten, die Deutschen würden ihre Ge¬
wohnheiten uicht berücksichtigen. Der neue Sultan genoß nicht das Ansehen
des frühern, und seine Polizeisoldaten waren unzuverlässig. Die Ostafrikanische
Gesellschaft endlich hatte unterlassen, sich selbst eine Truppe zur Durchführung
ihres vertragsmäßigen Rechts und zur Verteidigung gegen Europäer zu schaffen.
So wurde ihr allmählich bis zum Oktober 1888 mit Ausnahme von Bagamoho
und Dar-es-Snlmu das ganze Küstenland von den Aufständischen entrissen, und
wenn sie hier nicht alles verlor, so hatte sie es dem Eingreifen des deutscheu
Geschwaders zu danken. Die Brandreden des Kardinals Lavigerie gegen die
Scheußlichkeiten des Sklavenhandels und die dadurch aufgeregte öffentliche
Meinung Europas boten dem deutschen Reichskanzler eine Handhabe, anfangs
November mit England und Portugal ein Abkommen über eine Blockade der
ostafrikanischen Küste zur Verhinderung der Ausfuhr von Sklaven und der
Einfuhr von Waffen und Munition für den Aufstand zu vereinbaren. Diese
Zwecke wurden fast vollständig erreicht, aber der Aufstand, der den Charakter
eines kleinen Krieges angenommen hatte und bis zuletzt beibehielt, war mit
Schiffen allein nicht zu bezwingen. Dazu bedürfte man einer Landtrnppe, und
da der Sultan Said Chcilifci mit seinen Askaris wenig leistete und die Ost-
nfrikanische Gesellschaft nicht finanzkräftig genug war, um auch nur ein kleines
Heer aufzustellen, so mußte sie entweder liquidiren oder die Hilfe des deutscheu
Reiches anrufen. Sie wühlte das letztere und wendete sich an den Reichstag,
der nun am 2. Februar 188V durch Gesetz beschloß, die deutschen Interessen in
Ostafrika durch eine Truppe wahrnehmen zu lassen und die Mittel dazu zu
bewilligen. Hauptmann Wißmaun, der Erforscher des südlichen Kongobeckens,
der gründliche Kenner des Araber- und Negercharakters, wurde vom Kaiser
mit der Leitung des Unternehmens beauftragt. Man rüstete eine militärische
Expedition aus, an der sich 14 Offiziere, 4 Arzte, ebensoviel Verwaltungs-
beamte und 100 Unteroffiziere der deutscheu Armee freiwillig beteiligten.
Dazu wurden 600 Sudanesen und Zulus angeworben und 6 Dampfer gechar¬
tert, und mit dem Eintreffen Wißmanus in Sansibar, am !>1. März vorigen
Jahres, begann das Werk der Wiedereroberung Deutsch-Ostafrikas. Der Er¬
folg, in seinen Einzelheiten noch in frischem Gedächtnis, war bisher allent¬
halben zufriedenstellend und wird aller Wahrscheinlichkeit zufolge bald ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/67>, abgerufen am 23.07.2024.