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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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hatte. Es wird uns von glaubwürdiger Seite versichert, daß die Stimmung der
Wähler für den ErzPriester in Saargemünd so flau gewesen sei, daß es den deutsch¬
gesinnten Wählern, wenn einige Bewegung in die Sache gebracht worden wäre,
mit einiger Anstrengung hätte gelingen können, den dentschgesinnten kaisertreuen Berg¬
mann in den Reichstag zu befördern. In den beiden Wahlkreisen Schlettstadt
und Hagenau-Weißenburg haben, wie schon erwähnt, die beiden ausscheidenden
Protestabgeordneten ihre früher aufgestellten Programme so weit gemildert, daß sich
jeder Antonomist damit hätte zufrieden geben können, und zwar geschah dies auf
Drängen einheimischer Wähler hin, die vorstellten, daß Prvtestprogramme in den
Dörfern nicht mehr zögen, und daß damit nichts mehr auszurichten sei. Der mit
geringer Stimmenzahl gewählte Vertreter von Hagenau-Weißenburg, Freiherr von
Dietrich, Besitzer großer Eisenwerke, hielt es sogar, um sich bei seinen Wählern
besser einzuführen, für nötig, im Wahlaufrufe zu erklären, er habe dem kaiserlichen
Statthalter ausdrücklich die Versicherung gegeben, daß er nicht grundsätzlich der
Regierung Opposition machen wolle. Dabei verschwieg er aber den Wählern, daß
er die Antwort erhalten hatte, eine solche Versicherung genüge nicht, den politischen
Standpunkt zu kennzeichnen. Die Wähler sollten eben glauben, daß ihr Vertreter
seinen kleinen Sondersrieden mit dein deutschen Reiche geschlossen habe; sonst würden
sie die Heerfolge verweigert haben. Wie sehr der Protest bei deu Wählern um
Kredit verloren hatte, das hat sich im Wahlkreise Erstem-Mvlsheim besonders ge¬
zeigt, wo die Bauern mit dem Eifer von Neubekehrten gegen den frühern Ver¬
treter sich erhoben.

Aus verschiednen Wahlkreisen hören wir von wohlunterrichteten Leuten, daß
die Niederlage des Protestes der natürliche Rückschlag der übertriebenen Wahl¬
bewegung von 1887 gewesen sei. Damals glaubten die Leute um einen unmittelbar
bevorstehenden Krieg und zweifelten anch nicht an dem Siege der französischen
Waffen, der mit solcher Zuversicht verkündet worden war. Seitdem sind drei
Jahre ins Land gegangen, und die Franzosen kamen nicht: Boulanger aber, der
Mann der Rache, ist gestürzt. Jetzt glaubt man nicht mehr an die Kriegsgefahr,
und die Ankündigung der französischen Siege wird als leere Ruhmrednerei nach
Gebühr geschätzt. Mau fürchtet nicht mehr die Wiederkehr der Franzosen, man
fürchtet nicht mehr die angedrohte Vergeltung, die an den Abtrünnigen geübt
werden soll, man ist dieser ewigen Aufregungen müde geworden, man will Ruhe
haben im Lande. Die aber, die die Rückkehr der Franzosen wünschen und hoffen,
haben Wasser in ihren Wein gegossen.

Es ist ein bedauerliches Verhängnis, daß die Abfindung mit der Vergangenheit
und der Anschluß an die neue Ordnung der Dinge zeitlich zusammentrifft mit der
Niederlage der Nationalliberalen in Altdeutschland und mit dem Beginn einer schweren
nationalen Krisis, in die wir durch die Wahlen vom 20. Februar gebracht worden sind.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in LeiP.na

hatte. Es wird uns von glaubwürdiger Seite versichert, daß die Stimmung der
Wähler für den ErzPriester in Saargemünd so flau gewesen sei, daß es den deutsch¬
gesinnten Wählern, wenn einige Bewegung in die Sache gebracht worden wäre,
mit einiger Anstrengung hätte gelingen können, den dentschgesinnten kaisertreuen Berg¬
mann in den Reichstag zu befördern. In den beiden Wahlkreisen Schlettstadt
und Hagenau-Weißenburg haben, wie schon erwähnt, die beiden ausscheidenden
Protestabgeordneten ihre früher aufgestellten Programme so weit gemildert, daß sich
jeder Antonomist damit hätte zufrieden geben können, und zwar geschah dies auf
Drängen einheimischer Wähler hin, die vorstellten, daß Prvtestprogramme in den
Dörfern nicht mehr zögen, und daß damit nichts mehr auszurichten sei. Der mit
geringer Stimmenzahl gewählte Vertreter von Hagenau-Weißenburg, Freiherr von
Dietrich, Besitzer großer Eisenwerke, hielt es sogar, um sich bei seinen Wählern
besser einzuführen, für nötig, im Wahlaufrufe zu erklären, er habe dem kaiserlichen
Statthalter ausdrücklich die Versicherung gegeben, daß er nicht grundsätzlich der
Regierung Opposition machen wolle. Dabei verschwieg er aber den Wählern, daß
er die Antwort erhalten hatte, eine solche Versicherung genüge nicht, den politischen
Standpunkt zu kennzeichnen. Die Wähler sollten eben glauben, daß ihr Vertreter
seinen kleinen Sondersrieden mit dein deutschen Reiche geschlossen habe; sonst würden
sie die Heerfolge verweigert haben. Wie sehr der Protest bei deu Wählern um
Kredit verloren hatte, das hat sich im Wahlkreise Erstem-Mvlsheim besonders ge¬
zeigt, wo die Bauern mit dem Eifer von Neubekehrten gegen den frühern Ver¬
treter sich erhoben.

Aus verschiednen Wahlkreisen hören wir von wohlunterrichteten Leuten, daß
die Niederlage des Protestes der natürliche Rückschlag der übertriebenen Wahl¬
bewegung von 1887 gewesen sei. Damals glaubten die Leute um einen unmittelbar
bevorstehenden Krieg und zweifelten anch nicht an dem Siege der französischen
Waffen, der mit solcher Zuversicht verkündet worden war. Seitdem sind drei
Jahre ins Land gegangen, und die Franzosen kamen nicht: Boulanger aber, der
Mann der Rache, ist gestürzt. Jetzt glaubt man nicht mehr an die Kriegsgefahr,
und die Ankündigung der französischen Siege wird als leere Ruhmrednerei nach
Gebühr geschätzt. Mau fürchtet nicht mehr die Wiederkehr der Franzosen, man
fürchtet nicht mehr die angedrohte Vergeltung, die an den Abtrünnigen geübt
werden soll, man ist dieser ewigen Aufregungen müde geworden, man will Ruhe
haben im Lande. Die aber, die die Rückkehr der Franzosen wünschen und hoffen,
haben Wasser in ihren Wein gegossen.

Es ist ein bedauerliches Verhängnis, daß die Abfindung mit der Vergangenheit
und der Anschluß an die neue Ordnung der Dinge zeitlich zusammentrifft mit der
Niederlage der Nationalliberalen in Altdeutschland und mit dem Beginn einer schweren
nationalen Krisis, in die wir durch die Wahlen vom 20. Februar gebracht worden sind.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in LeiP.na
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[0644] hatte. Es wird uns von glaubwürdiger Seite versichert, daß die Stimmung der Wähler für den ErzPriester in Saargemünd so flau gewesen sei, daß es den deutsch¬ gesinnten Wählern, wenn einige Bewegung in die Sache gebracht worden wäre, mit einiger Anstrengung hätte gelingen können, den dentschgesinnten kaisertreuen Berg¬ mann in den Reichstag zu befördern. In den beiden Wahlkreisen Schlettstadt und Hagenau-Weißenburg haben, wie schon erwähnt, die beiden ausscheidenden Protestabgeordneten ihre früher aufgestellten Programme so weit gemildert, daß sich jeder Antonomist damit hätte zufrieden geben können, und zwar geschah dies auf Drängen einheimischer Wähler hin, die vorstellten, daß Prvtestprogramme in den Dörfern nicht mehr zögen, und daß damit nichts mehr auszurichten sei. Der mit geringer Stimmenzahl gewählte Vertreter von Hagenau-Weißenburg, Freiherr von Dietrich, Besitzer großer Eisenwerke, hielt es sogar, um sich bei seinen Wählern besser einzuführen, für nötig, im Wahlaufrufe zu erklären, er habe dem kaiserlichen Statthalter ausdrücklich die Versicherung gegeben, daß er nicht grundsätzlich der Regierung Opposition machen wolle. Dabei verschwieg er aber den Wählern, daß er die Antwort erhalten hatte, eine solche Versicherung genüge nicht, den politischen Standpunkt zu kennzeichnen. Die Wähler sollten eben glauben, daß ihr Vertreter seinen kleinen Sondersrieden mit dein deutschen Reiche geschlossen habe; sonst würden sie die Heerfolge verweigert haben. Wie sehr der Protest bei deu Wählern um Kredit verloren hatte, das hat sich im Wahlkreise Erstem-Mvlsheim besonders ge¬ zeigt, wo die Bauern mit dem Eifer von Neubekehrten gegen den frühern Ver¬ treter sich erhoben. Aus verschiednen Wahlkreisen hören wir von wohlunterrichteten Leuten, daß die Niederlage des Protestes der natürliche Rückschlag der übertriebenen Wahl¬ bewegung von 1887 gewesen sei. Damals glaubten die Leute um einen unmittelbar bevorstehenden Krieg und zweifelten anch nicht an dem Siege der französischen Waffen, der mit solcher Zuversicht verkündet worden war. Seitdem sind drei Jahre ins Land gegangen, und die Franzosen kamen nicht: Boulanger aber, der Mann der Rache, ist gestürzt. Jetzt glaubt man nicht mehr an die Kriegsgefahr, und die Ankündigung der französischen Siege wird als leere Ruhmrednerei nach Gebühr geschätzt. Mau fürchtet nicht mehr die Wiederkehr der Franzosen, man fürchtet nicht mehr die angedrohte Vergeltung, die an den Abtrünnigen geübt werden soll, man ist dieser ewigen Aufregungen müde geworden, man will Ruhe haben im Lande. Die aber, die die Rückkehr der Franzosen wünschen und hoffen, haben Wasser in ihren Wein gegossen. Es ist ein bedauerliches Verhängnis, daß die Abfindung mit der Vergangenheit und der Anschluß an die neue Ordnung der Dinge zeitlich zusammentrifft mit der Niederlage der Nationalliberalen in Altdeutschland und mit dem Beginn einer schweren nationalen Krisis, in die wir durch die Wahlen vom 20. Februar gebracht worden sind. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in LeiP.na

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/644>, abgerufen am 23.07.2024.