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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Rücktritt

Bismarck sich immer mehr von den Einzelheiten der Geschäfte zurückzog,
indem er in der auswärtige" Politik in seinem talentvollen und fleißigen
Sohne, in der innern Politik in dem mit Hingebung ihn vertretenden Minister
von Bötticher die richtigen Gehilfen gefunden hatte. Fürst Bismarck blieb
dem Parlamente fern und leitete monatelang von Friedrichsruh oder Varzin
ans ohne Berührung mit seinem König und ohne Zusammenhang mit den
bewegenden Mächten der Zeit das innere Stantswesen. Alles ging, soweit ein
Urteil gestattet ist, vortrefflich, solange kein zweiter Wille daneben stand. Dieser
machte sich natürlich geltend, als Kaiser Wilhelm II. die Regierung ergriff
und nach echter Hvhenzollernart nicht bloß König heißen, sondern auch sein
wollte. Von der Natur mit einem reichen Geist ausgestattet und von dem
höchsten Pflichtgefühl für fein hohes Amt beseelt, konnte und wollte er nicht
sein eigenstes Wesen verleugnen. Bemühe, nach allen Seiten und von wem
es auch sei, Erkundigungen einzuziehen und sich so zu unterrichten, versteht er
es mit derselben Klarheit und demselben Ernst sich sein Ziel zu setzen und
die Mittel zurecht zu legen. Es ist zweifellos und anerkannt, daß der Kaiser
in rührender Pietät für den großen Diener seines Großvaters alle Meinungs¬
verschiedenheiten nach Möglichkeit zu umgehen gesucht hat. Allein es ist klar,
daß diese sich doch so geltend machten, daß der Kanzler ein ersprießliches Zu¬
sammenwirken mit seinem Herrn ausgeschlossen sah. In dieser durch die Natur
der beiden hohen Persönlichkeiten bedingten Verschiedenheit liegt der Grund für
den Rücktritt des Fürsten Bismarck, und es ist überflüssig und thöricht, nach
der nächsten oder den näheren Ursachen zu suchen.

Der Staatsmann und der Geschichtsschreiber müssen frei von Empfind¬
samkeit bleiben. Wenn es sich um die Geschicke der Völker handelt, kann man
nicht die Empfindungen des täglichen und bürgerlichen Lebens zum Maßstabe
der Beurteilung machen. Daß das deutsche Reich einmal des Rats seines
Kanzlers würde entbehren müssen, das war bei der sterblichen Hülle seines
Geistes nicht anders zu erwarten. Er hat ein Alter erreicht, das bereits die
gewöhnliche Grenze des Lebens überschritten hat, und wir können uns glücklich
Preisen, daß uus ein gütiges Geschick den Fürsten so lange im Dienst für
Kaiser und Reich erhalten hat. An Dank haben es weder die Monarchen,
denen er gedient, noch das Volk, das er geeinigt hat, fehlen lassen. Was
an Ehren und Gütern auf das Haupt eines Unterthanen gehäuft werden konnte,
ist dem Fürsten Bismarck zu Teil geworden. Er hat der Zeit, in der er ge¬
wirkt hat, einen unverlöschbaren Stempel aufgeprägt. Er hat eine geradezu
legendäre Gestalt angenommen, und noch bei Lebzeiten hat ein Sagenkreis ihn
zu umweben begonnen.

Und doch hat sich der Rücktritt dieses mächtigen Staatsmannes in aller
Stille vollzogen. Man ist es in Deutschland, dem Himmel sei Dank dafür,
nicht gewohnt, daß die Politik auf der Straße ausgeschrieen oder gar dort


Fürst Bismarcks Rücktritt

Bismarck sich immer mehr von den Einzelheiten der Geschäfte zurückzog,
indem er in der auswärtige» Politik in seinem talentvollen und fleißigen
Sohne, in der innern Politik in dem mit Hingebung ihn vertretenden Minister
von Bötticher die richtigen Gehilfen gefunden hatte. Fürst Bismarck blieb
dem Parlamente fern und leitete monatelang von Friedrichsruh oder Varzin
ans ohne Berührung mit seinem König und ohne Zusammenhang mit den
bewegenden Mächten der Zeit das innere Stantswesen. Alles ging, soweit ein
Urteil gestattet ist, vortrefflich, solange kein zweiter Wille daneben stand. Dieser
machte sich natürlich geltend, als Kaiser Wilhelm II. die Regierung ergriff
und nach echter Hvhenzollernart nicht bloß König heißen, sondern auch sein
wollte. Von der Natur mit einem reichen Geist ausgestattet und von dem
höchsten Pflichtgefühl für fein hohes Amt beseelt, konnte und wollte er nicht
sein eigenstes Wesen verleugnen. Bemühe, nach allen Seiten und von wem
es auch sei, Erkundigungen einzuziehen und sich so zu unterrichten, versteht er
es mit derselben Klarheit und demselben Ernst sich sein Ziel zu setzen und
die Mittel zurecht zu legen. Es ist zweifellos und anerkannt, daß der Kaiser
in rührender Pietät für den großen Diener seines Großvaters alle Meinungs¬
verschiedenheiten nach Möglichkeit zu umgehen gesucht hat. Allein es ist klar,
daß diese sich doch so geltend machten, daß der Kanzler ein ersprießliches Zu¬
sammenwirken mit seinem Herrn ausgeschlossen sah. In dieser durch die Natur
der beiden hohen Persönlichkeiten bedingten Verschiedenheit liegt der Grund für
den Rücktritt des Fürsten Bismarck, und es ist überflüssig und thöricht, nach
der nächsten oder den näheren Ursachen zu suchen.

Der Staatsmann und der Geschichtsschreiber müssen frei von Empfind¬
samkeit bleiben. Wenn es sich um die Geschicke der Völker handelt, kann man
nicht die Empfindungen des täglichen und bürgerlichen Lebens zum Maßstabe
der Beurteilung machen. Daß das deutsche Reich einmal des Rats seines
Kanzlers würde entbehren müssen, das war bei der sterblichen Hülle seines
Geistes nicht anders zu erwarten. Er hat ein Alter erreicht, das bereits die
gewöhnliche Grenze des Lebens überschritten hat, und wir können uns glücklich
Preisen, daß uus ein gütiges Geschick den Fürsten so lange im Dienst für
Kaiser und Reich erhalten hat. An Dank haben es weder die Monarchen,
denen er gedient, noch das Volk, das er geeinigt hat, fehlen lassen. Was
an Ehren und Gütern auf das Haupt eines Unterthanen gehäuft werden konnte,
ist dem Fürsten Bismarck zu Teil geworden. Er hat der Zeit, in der er ge¬
wirkt hat, einen unverlöschbaren Stempel aufgeprägt. Er hat eine geradezu
legendäre Gestalt angenommen, und noch bei Lebzeiten hat ein Sagenkreis ihn
zu umweben begonnen.

Und doch hat sich der Rücktritt dieses mächtigen Staatsmannes in aller
Stille vollzogen. Man ist es in Deutschland, dem Himmel sei Dank dafür,
nicht gewohnt, daß die Politik auf der Straße ausgeschrieen oder gar dort


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[0635] Fürst Bismarcks Rücktritt Bismarck sich immer mehr von den Einzelheiten der Geschäfte zurückzog, indem er in der auswärtige» Politik in seinem talentvollen und fleißigen Sohne, in der innern Politik in dem mit Hingebung ihn vertretenden Minister von Bötticher die richtigen Gehilfen gefunden hatte. Fürst Bismarck blieb dem Parlamente fern und leitete monatelang von Friedrichsruh oder Varzin ans ohne Berührung mit seinem König und ohne Zusammenhang mit den bewegenden Mächten der Zeit das innere Stantswesen. Alles ging, soweit ein Urteil gestattet ist, vortrefflich, solange kein zweiter Wille daneben stand. Dieser machte sich natürlich geltend, als Kaiser Wilhelm II. die Regierung ergriff und nach echter Hvhenzollernart nicht bloß König heißen, sondern auch sein wollte. Von der Natur mit einem reichen Geist ausgestattet und von dem höchsten Pflichtgefühl für fein hohes Amt beseelt, konnte und wollte er nicht sein eigenstes Wesen verleugnen. Bemühe, nach allen Seiten und von wem es auch sei, Erkundigungen einzuziehen und sich so zu unterrichten, versteht er es mit derselben Klarheit und demselben Ernst sich sein Ziel zu setzen und die Mittel zurecht zu legen. Es ist zweifellos und anerkannt, daß der Kaiser in rührender Pietät für den großen Diener seines Großvaters alle Meinungs¬ verschiedenheiten nach Möglichkeit zu umgehen gesucht hat. Allein es ist klar, daß diese sich doch so geltend machten, daß der Kanzler ein ersprießliches Zu¬ sammenwirken mit seinem Herrn ausgeschlossen sah. In dieser durch die Natur der beiden hohen Persönlichkeiten bedingten Verschiedenheit liegt der Grund für den Rücktritt des Fürsten Bismarck, und es ist überflüssig und thöricht, nach der nächsten oder den näheren Ursachen zu suchen. Der Staatsmann und der Geschichtsschreiber müssen frei von Empfind¬ samkeit bleiben. Wenn es sich um die Geschicke der Völker handelt, kann man nicht die Empfindungen des täglichen und bürgerlichen Lebens zum Maßstabe der Beurteilung machen. Daß das deutsche Reich einmal des Rats seines Kanzlers würde entbehren müssen, das war bei der sterblichen Hülle seines Geistes nicht anders zu erwarten. Er hat ein Alter erreicht, das bereits die gewöhnliche Grenze des Lebens überschritten hat, und wir können uns glücklich Preisen, daß uus ein gütiges Geschick den Fürsten so lange im Dienst für Kaiser und Reich erhalten hat. An Dank haben es weder die Monarchen, denen er gedient, noch das Volk, das er geeinigt hat, fehlen lassen. Was an Ehren und Gütern auf das Haupt eines Unterthanen gehäuft werden konnte, ist dem Fürsten Bismarck zu Teil geworden. Er hat der Zeit, in der er ge¬ wirkt hat, einen unverlöschbaren Stempel aufgeprägt. Er hat eine geradezu legendäre Gestalt angenommen, und noch bei Lebzeiten hat ein Sagenkreis ihn zu umweben begonnen. Und doch hat sich der Rücktritt dieses mächtigen Staatsmannes in aller Stille vollzogen. Man ist es in Deutschland, dem Himmel sei Dank dafür, nicht gewohnt, daß die Politik auf der Straße ausgeschrieen oder gar dort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/635>, abgerufen am 23.07.2024.