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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Rücktritt

Auslande bei der Nachricht von dem Rücktritt des großen Kanzlers eine derartige
Befürchtung gezeigt; nicht einmal an den Börsen der Welthandelsstädte hat
sich ein Schwanken der Kurse bemerkbar gemacht. Es hat aber auch das
Satyrspiel zu dem großen Drama nicht gefehlt, indem einige Pariser Blatter
den Reichskanzler als den Friedensengel beweinten, ihn, den sie sein Leben lang
als den Friedensstörer Europas zu brandmarken pflegten!

Die Meinungsverschiedenheit zwischen dem Kaiser und dem Fürsten Bis-
mcirck kann notwendigerweise nur auf dem Gebiete der innern Politik liegen.
Es ist das leicht erklärlich, weil hier die Schwierigkeiten, die der Staatskunst
begegnen, viel großer sind. In der äußern Politik sind die Wege gegeben, die
Deutschland zu gehen hat! Aufrechterhaltung des Dreibundes, Freundschaft mit
England, vorsichtige Pflege des Verhältnisses zu Rußland. Auf diesem Ge¬
biete sind Mißstimmungen gar nicht denkbar, hier kann es innerhalb einer
deutschen Regierung eine abweichende Ansicht gar nicht geben. Anders ans
dem Gebiete der innern Politik. Hier nagt an dein deutschen Volk der Drache
der Sozialdemokratie, und das Sozialistengesetz bildet das schwierigste Erbteil,
das Kaiser Wilhelm II. von seinen Borfahren erhalten hat. Wenn auch inner¬
lich gänzlich verschieden davon, so doch im Zusammenhange mit diesen Fragen
steht die Fürsorge um das Wohl der arbeitenden Klaffen, die ganze sozial¬
politische Gesetzgebung. Auf dein fo umgrenzten Felde fehlt es bekanntlich nicht
an verschiedenartigen Meinungen, und hier kann man es verstehen, wenn ein
einunddreißigjähriger Monarch und ein fünfundsiebzigjähriger Minister aus-
einandergehen. An diesen Fragen hat es sich zum erstenmale deutlich gezeigt,
daß der Altersunterschied und die Bergangenheit des .Kanzlers, sowie seine Art ein
längeres Verweilen am Steuerruder des Reiches nicht mehr zuließen. Man
kann nicht verlangen, daß die Zurückhaltung und die znwartende Bedächtig¬
keit des Alters sich mit dem Thatendrang und der mutigen Zuversicht der
Jngend verständige. Dort galt es einen erworbenen Schatz von Ruhm nud
Ehre zu wahren und zu hüte", hier eine" neuen Schatz von gleichem Wert
erst zu erwerben. Auf der einen Seite Ruhe, auf der andern Bewegung.
Der Kanzler hatte siebenundzwanzig Jahre regiert; nach feine" beispiellosen
Erfolgen konnte es nicht anders sein, als daß seine Meinung stets die
maßgebende blieb. Man würde dem Andenken Kaiser Wilhelms 1. zu nahe
treten, wenn man annehmen wollte, daß dieser stets mir gethan habe, was
sein Minister ihm vorschrieb. Aber Monarch und Kanzler hatten sich seit
Jahren in einander eingelebt; war es keine Liebesheirat, so war es jedenfalls eine
Vernuiiftehe. Jeder von beiden kannte den andern, und Fürst Vismarck
kam name"euch in den letzten Jahren nicht mehr auf Dinge zurück, bei
denen er einen Widerspruch seines kaiserlichen Herrn voraussetzen konnte. So
geschah es, daß thatsächlich in den letzten Negierungsjahren Kaiser Wilhelms I.
der Wille des Fürsten Bismarck widerspruchslos blieb. Dazu kam, daß Fürst


Fürst Bismarcks Rücktritt

Auslande bei der Nachricht von dem Rücktritt des großen Kanzlers eine derartige
Befürchtung gezeigt; nicht einmal an den Börsen der Welthandelsstädte hat
sich ein Schwanken der Kurse bemerkbar gemacht. Es hat aber auch das
Satyrspiel zu dem großen Drama nicht gefehlt, indem einige Pariser Blatter
den Reichskanzler als den Friedensengel beweinten, ihn, den sie sein Leben lang
als den Friedensstörer Europas zu brandmarken pflegten!

Die Meinungsverschiedenheit zwischen dem Kaiser und dem Fürsten Bis-
mcirck kann notwendigerweise nur auf dem Gebiete der innern Politik liegen.
Es ist das leicht erklärlich, weil hier die Schwierigkeiten, die der Staatskunst
begegnen, viel großer sind. In der äußern Politik sind die Wege gegeben, die
Deutschland zu gehen hat! Aufrechterhaltung des Dreibundes, Freundschaft mit
England, vorsichtige Pflege des Verhältnisses zu Rußland. Auf diesem Ge¬
biete sind Mißstimmungen gar nicht denkbar, hier kann es innerhalb einer
deutschen Regierung eine abweichende Ansicht gar nicht geben. Anders ans
dem Gebiete der innern Politik. Hier nagt an dein deutschen Volk der Drache
der Sozialdemokratie, und das Sozialistengesetz bildet das schwierigste Erbteil,
das Kaiser Wilhelm II. von seinen Borfahren erhalten hat. Wenn auch inner¬
lich gänzlich verschieden davon, so doch im Zusammenhange mit diesen Fragen
steht die Fürsorge um das Wohl der arbeitenden Klaffen, die ganze sozial¬
politische Gesetzgebung. Auf dein fo umgrenzten Felde fehlt es bekanntlich nicht
an verschiedenartigen Meinungen, und hier kann man es verstehen, wenn ein
einunddreißigjähriger Monarch und ein fünfundsiebzigjähriger Minister aus-
einandergehen. An diesen Fragen hat es sich zum erstenmale deutlich gezeigt,
daß der Altersunterschied und die Bergangenheit des .Kanzlers, sowie seine Art ein
längeres Verweilen am Steuerruder des Reiches nicht mehr zuließen. Man
kann nicht verlangen, daß die Zurückhaltung und die znwartende Bedächtig¬
keit des Alters sich mit dem Thatendrang und der mutigen Zuversicht der
Jngend verständige. Dort galt es einen erworbenen Schatz von Ruhm nud
Ehre zu wahren und zu hüte», hier eine» neuen Schatz von gleichem Wert
erst zu erwerben. Auf der einen Seite Ruhe, auf der andern Bewegung.
Der Kanzler hatte siebenundzwanzig Jahre regiert; nach feine» beispiellosen
Erfolgen konnte es nicht anders sein, als daß seine Meinung stets die
maßgebende blieb. Man würde dem Andenken Kaiser Wilhelms 1. zu nahe
treten, wenn man annehmen wollte, daß dieser stets mir gethan habe, was
sein Minister ihm vorschrieb. Aber Monarch und Kanzler hatten sich seit
Jahren in einander eingelebt; war es keine Liebesheirat, so war es jedenfalls eine
Vernuiiftehe. Jeder von beiden kannte den andern, und Fürst Vismarck
kam name»euch in den letzten Jahren nicht mehr auf Dinge zurück, bei
denen er einen Widerspruch seines kaiserlichen Herrn voraussetzen konnte. So
geschah es, daß thatsächlich in den letzten Negierungsjahren Kaiser Wilhelms I.
der Wille des Fürsten Bismarck widerspruchslos blieb. Dazu kam, daß Fürst


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[0634] Fürst Bismarcks Rücktritt Auslande bei der Nachricht von dem Rücktritt des großen Kanzlers eine derartige Befürchtung gezeigt; nicht einmal an den Börsen der Welthandelsstädte hat sich ein Schwanken der Kurse bemerkbar gemacht. Es hat aber auch das Satyrspiel zu dem großen Drama nicht gefehlt, indem einige Pariser Blatter den Reichskanzler als den Friedensengel beweinten, ihn, den sie sein Leben lang als den Friedensstörer Europas zu brandmarken pflegten! Die Meinungsverschiedenheit zwischen dem Kaiser und dem Fürsten Bis- mcirck kann notwendigerweise nur auf dem Gebiete der innern Politik liegen. Es ist das leicht erklärlich, weil hier die Schwierigkeiten, die der Staatskunst begegnen, viel großer sind. In der äußern Politik sind die Wege gegeben, die Deutschland zu gehen hat! Aufrechterhaltung des Dreibundes, Freundschaft mit England, vorsichtige Pflege des Verhältnisses zu Rußland. Auf diesem Ge¬ biete sind Mißstimmungen gar nicht denkbar, hier kann es innerhalb einer deutschen Regierung eine abweichende Ansicht gar nicht geben. Anders ans dem Gebiete der innern Politik. Hier nagt an dein deutschen Volk der Drache der Sozialdemokratie, und das Sozialistengesetz bildet das schwierigste Erbteil, das Kaiser Wilhelm II. von seinen Borfahren erhalten hat. Wenn auch inner¬ lich gänzlich verschieden davon, so doch im Zusammenhange mit diesen Fragen steht die Fürsorge um das Wohl der arbeitenden Klaffen, die ganze sozial¬ politische Gesetzgebung. Auf dein fo umgrenzten Felde fehlt es bekanntlich nicht an verschiedenartigen Meinungen, und hier kann man es verstehen, wenn ein einunddreißigjähriger Monarch und ein fünfundsiebzigjähriger Minister aus- einandergehen. An diesen Fragen hat es sich zum erstenmale deutlich gezeigt, daß der Altersunterschied und die Bergangenheit des .Kanzlers, sowie seine Art ein längeres Verweilen am Steuerruder des Reiches nicht mehr zuließen. Man kann nicht verlangen, daß die Zurückhaltung und die znwartende Bedächtig¬ keit des Alters sich mit dem Thatendrang und der mutigen Zuversicht der Jngend verständige. Dort galt es einen erworbenen Schatz von Ruhm nud Ehre zu wahren und zu hüte», hier eine» neuen Schatz von gleichem Wert erst zu erwerben. Auf der einen Seite Ruhe, auf der andern Bewegung. Der Kanzler hatte siebenundzwanzig Jahre regiert; nach feine» beispiellosen Erfolgen konnte es nicht anders sein, als daß seine Meinung stets die maßgebende blieb. Man würde dem Andenken Kaiser Wilhelms 1. zu nahe treten, wenn man annehmen wollte, daß dieser stets mir gethan habe, was sein Minister ihm vorschrieb. Aber Monarch und Kanzler hatten sich seit Jahren in einander eingelebt; war es keine Liebesheirat, so war es jedenfalls eine Vernuiiftehe. Jeder von beiden kannte den andern, und Fürst Vismarck kam name»euch in den letzten Jahren nicht mehr auf Dinge zurück, bei denen er einen Widerspruch seines kaiserlichen Herrn voraussetzen konnte. So geschah es, daß thatsächlich in den letzten Negierungsjahren Kaiser Wilhelms I. der Wille des Fürsten Bismarck widerspruchslos blieb. Dazu kam, daß Fürst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/634>, abgerufen am 23.07.2024.