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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Rücktritt

lich machten, daß der junge Kaiser sich von seinein alten und bewährten
Ratgeber trennte. Was Fürst Bismarck für Preuße" und Deutschland
gethan hat, das zu entwickeln ist hier nicht der Ort und Gott sei Dank
auch kein Anlaß. Noch lebt der Fürst in ungeschwächter geistiger und körper¬
licher Kraft, und noch steht er seinem Kaiser nud seinem Lande so nahe, daß,
er erforderlichen Falls mit seinem Rate gehört werden kann. Es handelt sich
nicht sowohl darum, den Fürsten Bismarck in seiner Wirksamkeit zu schildern,
als vielmehr die richtige Bedeutung seines Rücktritts von den Geschäften zu
würdigen. Dabei ziemt es sich im Interesse der beiden in Frage stehenden
Personen die Zurückhaltung zu üben, die angesichts eines solchen Ereignisses
geboten ist. Es ist widerlich, den Klatsch zu verfolgen, mit dein einzelne
Blätter sich bemühen, den letzten Anlaß des Trennungsgrnndes herauszufinden.
Auch wer uur notdürftige Kenntnisse der Geschichte besitzt, wird wissen, daß
oft kleine Ursachen große Wirkungen hervorbringen; aber er wird auch wissen,
daß dies nnr dann der Fall ist, wenn der Boden für diese großen Wirkungen
vorbereitet war; erst dann bringt ein Tropfen das Gefäß zum Überlaufen.
.Kleinlich oder böswillig ist es daher, den geheimen Vorgängen nachzuspüren,
noch kleinlicher oder noch bösivilliger, aus ihnen den Beweis führen zu Wollen,
daß sie der Grund zu dem Rücktritt des Fürsten Bismarck gewesen seien.
Mit der Ehrfurcht, die dem Kaiser geschuldet wird, mit der Dankbarkeit, aus
die der große Staatsmann Anspruch hat, ist ein solches Verfahren schlechter¬
dings unvereinbar.

Aber die Thatsache läßt sich nicht leugnen und soll auch nicht geleugnet
werden, daß ernste Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kaiser und dein
Reichskanzler vorhanden gewesen sei" müssen. Bei der Öffentlichkeit, von der
das heutige Stnntsleben beherrscht wird, läßt sich eine solche Thatsache nicht
vertuschen. Es ist deshalb für Deutschland und für den Frieden Europas von
außerordentlicher Wichtigkeit, feststellen zu können, daß die Verschiedenheit der
Auffassung nicht aus dem Gebiete der äußern Politik liegt. Fürst Bismarck
hat iii dem Augenblick seineu Abschied genommen, wo eine der friedlichsten
internationalen Konferenzen, die je die Welt gesehen hat, i" Berlin auf Be¬
treiben Kaiser Wilhelms II. zusammengetreten ist. Ein solcher Zeitpunkt ist
kein kriegerisches Anzeichen. Diese Konferenz beweist das Gegenteil, sie bringt
das Friedensbedürfnis der Völker zum Ausdruck, ihr Zustandekommen ist eine
Huldigung und Anerkennung für den jungen .Kaiser, daß ihn Europa in seinen
Bemühungen "in das Wohl der arbeitenden Klassen unterstützen will. Noch
"iemals seit der Einigung des Deutschen Reichs war weniger Stoff zu
einer kriegerischen Verwicklung i" der Welt vorhanden, als jetzt. Deshalb hat
es der feierlichen Versicheriing des Kaisers in seinein Schreiben an den scheidende"
Reichskanzler kaum noch bedurft, daß die bewährte Politik des Friedens weiter
fortgesetzt werden solle. In der That hat sich auch weder i" Deutschland noch im


Grenzboten I 1890 79
Fürst Bismarcks Rücktritt

lich machten, daß der junge Kaiser sich von seinein alten und bewährten
Ratgeber trennte. Was Fürst Bismarck für Preuße» und Deutschland
gethan hat, das zu entwickeln ist hier nicht der Ort und Gott sei Dank
auch kein Anlaß. Noch lebt der Fürst in ungeschwächter geistiger und körper¬
licher Kraft, und noch steht er seinem Kaiser nud seinem Lande so nahe, daß,
er erforderlichen Falls mit seinem Rate gehört werden kann. Es handelt sich
nicht sowohl darum, den Fürsten Bismarck in seiner Wirksamkeit zu schildern,
als vielmehr die richtige Bedeutung seines Rücktritts von den Geschäften zu
würdigen. Dabei ziemt es sich im Interesse der beiden in Frage stehenden
Personen die Zurückhaltung zu üben, die angesichts eines solchen Ereignisses
geboten ist. Es ist widerlich, den Klatsch zu verfolgen, mit dein einzelne
Blätter sich bemühen, den letzten Anlaß des Trennungsgrnndes herauszufinden.
Auch wer uur notdürftige Kenntnisse der Geschichte besitzt, wird wissen, daß
oft kleine Ursachen große Wirkungen hervorbringen; aber er wird auch wissen,
daß dies nnr dann der Fall ist, wenn der Boden für diese großen Wirkungen
vorbereitet war; erst dann bringt ein Tropfen das Gefäß zum Überlaufen.
.Kleinlich oder böswillig ist es daher, den geheimen Vorgängen nachzuspüren,
noch kleinlicher oder noch bösivilliger, aus ihnen den Beweis führen zu Wollen,
daß sie der Grund zu dem Rücktritt des Fürsten Bismarck gewesen seien.
Mit der Ehrfurcht, die dem Kaiser geschuldet wird, mit der Dankbarkeit, aus
die der große Staatsmann Anspruch hat, ist ein solches Verfahren schlechter¬
dings unvereinbar.

Aber die Thatsache läßt sich nicht leugnen und soll auch nicht geleugnet
werden, daß ernste Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kaiser und dein
Reichskanzler vorhanden gewesen sei» müssen. Bei der Öffentlichkeit, von der
das heutige Stnntsleben beherrscht wird, läßt sich eine solche Thatsache nicht
vertuschen. Es ist deshalb für Deutschland und für den Frieden Europas von
außerordentlicher Wichtigkeit, feststellen zu können, daß die Verschiedenheit der
Auffassung nicht aus dem Gebiete der äußern Politik liegt. Fürst Bismarck
hat iii dem Augenblick seineu Abschied genommen, wo eine der friedlichsten
internationalen Konferenzen, die je die Welt gesehen hat, i» Berlin auf Be¬
treiben Kaiser Wilhelms II. zusammengetreten ist. Ein solcher Zeitpunkt ist
kein kriegerisches Anzeichen. Diese Konferenz beweist das Gegenteil, sie bringt
das Friedensbedürfnis der Völker zum Ausdruck, ihr Zustandekommen ist eine
Huldigung und Anerkennung für den jungen .Kaiser, daß ihn Europa in seinen
Bemühungen »in das Wohl der arbeitenden Klassen unterstützen will. Noch
»iemals seit der Einigung des Deutschen Reichs war weniger Stoff zu
einer kriegerischen Verwicklung i» der Welt vorhanden, als jetzt. Deshalb hat
es der feierlichen Versicheriing des Kaisers in seinein Schreiben an den scheidende»
Reichskanzler kaum noch bedurft, daß die bewährte Politik des Friedens weiter
fortgesetzt werden solle. In der That hat sich auch weder i» Deutschland noch im


Grenzboten I 1890 79
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[0633] Fürst Bismarcks Rücktritt lich machten, daß der junge Kaiser sich von seinein alten und bewährten Ratgeber trennte. Was Fürst Bismarck für Preuße» und Deutschland gethan hat, das zu entwickeln ist hier nicht der Ort und Gott sei Dank auch kein Anlaß. Noch lebt der Fürst in ungeschwächter geistiger und körper¬ licher Kraft, und noch steht er seinem Kaiser nud seinem Lande so nahe, daß, er erforderlichen Falls mit seinem Rate gehört werden kann. Es handelt sich nicht sowohl darum, den Fürsten Bismarck in seiner Wirksamkeit zu schildern, als vielmehr die richtige Bedeutung seines Rücktritts von den Geschäften zu würdigen. Dabei ziemt es sich im Interesse der beiden in Frage stehenden Personen die Zurückhaltung zu üben, die angesichts eines solchen Ereignisses geboten ist. Es ist widerlich, den Klatsch zu verfolgen, mit dein einzelne Blätter sich bemühen, den letzten Anlaß des Trennungsgrnndes herauszufinden. Auch wer uur notdürftige Kenntnisse der Geschichte besitzt, wird wissen, daß oft kleine Ursachen große Wirkungen hervorbringen; aber er wird auch wissen, daß dies nnr dann der Fall ist, wenn der Boden für diese großen Wirkungen vorbereitet war; erst dann bringt ein Tropfen das Gefäß zum Überlaufen. .Kleinlich oder böswillig ist es daher, den geheimen Vorgängen nachzuspüren, noch kleinlicher oder noch bösivilliger, aus ihnen den Beweis führen zu Wollen, daß sie der Grund zu dem Rücktritt des Fürsten Bismarck gewesen seien. Mit der Ehrfurcht, die dem Kaiser geschuldet wird, mit der Dankbarkeit, aus die der große Staatsmann Anspruch hat, ist ein solches Verfahren schlechter¬ dings unvereinbar. Aber die Thatsache läßt sich nicht leugnen und soll auch nicht geleugnet werden, daß ernste Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kaiser und dein Reichskanzler vorhanden gewesen sei» müssen. Bei der Öffentlichkeit, von der das heutige Stnntsleben beherrscht wird, läßt sich eine solche Thatsache nicht vertuschen. Es ist deshalb für Deutschland und für den Frieden Europas von außerordentlicher Wichtigkeit, feststellen zu können, daß die Verschiedenheit der Auffassung nicht aus dem Gebiete der äußern Politik liegt. Fürst Bismarck hat iii dem Augenblick seineu Abschied genommen, wo eine der friedlichsten internationalen Konferenzen, die je die Welt gesehen hat, i» Berlin auf Be¬ treiben Kaiser Wilhelms II. zusammengetreten ist. Ein solcher Zeitpunkt ist kein kriegerisches Anzeichen. Diese Konferenz beweist das Gegenteil, sie bringt das Friedensbedürfnis der Völker zum Ausdruck, ihr Zustandekommen ist eine Huldigung und Anerkennung für den jungen .Kaiser, daß ihn Europa in seinen Bemühungen »in das Wohl der arbeitenden Klassen unterstützen will. Noch »iemals seit der Einigung des Deutschen Reichs war weniger Stoff zu einer kriegerischen Verwicklung i» der Welt vorhanden, als jetzt. Deshalb hat es der feierlichen Versicheriing des Kaisers in seinein Schreiben an den scheidende» Reichskanzler kaum noch bedurft, daß die bewährte Politik des Friedens weiter fortgesetzt werden solle. In der That hat sich auch weder i» Deutschland noch im Grenzboten I 1890 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/633>, abgerufen am 23.07.2024.