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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Rücktritt

Ach, sagte sie weinend, hätte er doch Ihrem Rate gefolgt! Was haben wir
in dieser Zeit für Anfeindungen erfahren müssen! Wie viele Schiras- und Droh¬
briefe haben wir erhalten! Die ganze Gegenpartei grüßt weder meinen Mann noch
mich. Die Hälfte der Gemeinde bleibt aus der Kirche weg. Selbst die Kinder
verweigern uns Grus; und Gehorsam. Nun hat er gestern Abend in der Schule
einen siebzehnjährigen Jungen zurecht gewiesen und geohrfeigt. Der Junge aber,
riesenstark, wie er ist, hat meinen Mann an der Kehle gepackt und ihm das Gesicht
zerkratzt. Er hätte ihn noch ärger zugerichtet, wenn ihn nicht die andern Jungen
weggerissen hätten. Und zu dem allen wird mein Mann sich noch vor dem Land¬
gericht wegen Überschreitung seiner Strafbefugnis und Mißhandlung zu verant¬
worten haben. Die Gegenpartei hat bereits einem gewiegten Advokaten die Be¬
treibung der Sache übergeben.

Und so geschah es. Mein lieber Kollege wurde verurteilt; er hatte Monate
zu warte", bis die Kratzwunden aus dem Geficht verschwanden; er hatte von un"
an die Hölle an dem Orte, wo er bisher in leidlichem Verhältnis mit allen ge¬
standen hatte, und blos; darum, weil er gewählt hatte. Er mußte von der ihm
wohlwollenden Behörde auf eine andre Stelle versetzt werden.

Warum ich diese Geschichte erzähle? Weil sie sich mit mehr oder wenig
Änderungen überall ans dem Lande zuträgt, wo das direkte Wahlrecht ausgeübt
wird. Die indirekten Wahlen verlaufen immer sehr anständig und ruhig. Da
kommen die guten und besonnenen Elemente, an denen es nicht fehlt, zur Geltung.
Unsre Landbevölkerung wird durch diese Art von Wahlbewegung schlecht und arm
gemacht, und darum nehme man ihr dieses Danaergeschenk, dessen sie selbst müde
ist, wieder ab.

Die Gemeinde, die ich bei meiner Erzählung vorzugsweise im Auge habe, war
vor dreißig Jahren noch sehr wohlhabend, heute ist sie arm. Auch die Reichen
sind durch die vielen Wahl-, Gerichts-, Advokaten- und Gefängniskosten herunter¬
gekommen. Die Hälfte der Besitzer ist dem Wucherer zinsbar geworden und wird
ihrem Schicksal in solchen Händen nicht entgehen.

Also fort mit dieser undeutschen Einrichtung, dem sulllAxs mrivsr"o1, das
nicht auf deutschem Boden gewachsen ist und keinen deutscheu Namen verdient, das
wir in thörichter Ausländerei den Franzosen nachgeahmt haben fort damit
wenigstens für die Bürgermeister- oder Dvrfvorsteherwahlen ans dein Lande!




Fürst Bismarcks Rücktritt

bwvhl von den Betrachtungen der Tageszeitungen überholt,
können sich diese Blätter doch der Aufgabe nicht entziehen, auch
ihrerseits über den Rücktritt des ersten deutschen Reichskanzlers
ihre Meinung zu äußern, zu dessen äußerer und innerer Politik
sich die Grenzboten allezeit bekannt, die sie opferfreudig unter¬
stützt haben. Für sie und ihren Leserkreis stand Fürst Bismarck so hoch, daß
sie es nnr ans tiefster Seele beklagen können, wenn die Umstände es erforder-


Fürst Bismarcks Rücktritt

Ach, sagte sie weinend, hätte er doch Ihrem Rate gefolgt! Was haben wir
in dieser Zeit für Anfeindungen erfahren müssen! Wie viele Schiras- und Droh¬
briefe haben wir erhalten! Die ganze Gegenpartei grüßt weder meinen Mann noch
mich. Die Hälfte der Gemeinde bleibt aus der Kirche weg. Selbst die Kinder
verweigern uns Grus; und Gehorsam. Nun hat er gestern Abend in der Schule
einen siebzehnjährigen Jungen zurecht gewiesen und geohrfeigt. Der Junge aber,
riesenstark, wie er ist, hat meinen Mann an der Kehle gepackt und ihm das Gesicht
zerkratzt. Er hätte ihn noch ärger zugerichtet, wenn ihn nicht die andern Jungen
weggerissen hätten. Und zu dem allen wird mein Mann sich noch vor dem Land¬
gericht wegen Überschreitung seiner Strafbefugnis und Mißhandlung zu verant¬
worten haben. Die Gegenpartei hat bereits einem gewiegten Advokaten die Be¬
treibung der Sache übergeben.

Und so geschah es. Mein lieber Kollege wurde verurteilt; er hatte Monate
zu warte», bis die Kratzwunden aus dem Geficht verschwanden; er hatte von un»
an die Hölle an dem Orte, wo er bisher in leidlichem Verhältnis mit allen ge¬
standen hatte, und blos; darum, weil er gewählt hatte. Er mußte von der ihm
wohlwollenden Behörde auf eine andre Stelle versetzt werden.

Warum ich diese Geschichte erzähle? Weil sie sich mit mehr oder wenig
Änderungen überall ans dem Lande zuträgt, wo das direkte Wahlrecht ausgeübt
wird. Die indirekten Wahlen verlaufen immer sehr anständig und ruhig. Da
kommen die guten und besonnenen Elemente, an denen es nicht fehlt, zur Geltung.
Unsre Landbevölkerung wird durch diese Art von Wahlbewegung schlecht und arm
gemacht, und darum nehme man ihr dieses Danaergeschenk, dessen sie selbst müde
ist, wieder ab.

Die Gemeinde, die ich bei meiner Erzählung vorzugsweise im Auge habe, war
vor dreißig Jahren noch sehr wohlhabend, heute ist sie arm. Auch die Reichen
sind durch die vielen Wahl-, Gerichts-, Advokaten- und Gefängniskosten herunter¬
gekommen. Die Hälfte der Besitzer ist dem Wucherer zinsbar geworden und wird
ihrem Schicksal in solchen Händen nicht entgehen.

Also fort mit dieser undeutschen Einrichtung, dem sulllAxs mrivsr»o1, das
nicht auf deutschem Boden gewachsen ist und keinen deutscheu Namen verdient, das
wir in thörichter Ausländerei den Franzosen nachgeahmt haben fort damit
wenigstens für die Bürgermeister- oder Dvrfvorsteherwahlen ans dein Lande!




Fürst Bismarcks Rücktritt

bwvhl von den Betrachtungen der Tageszeitungen überholt,
können sich diese Blätter doch der Aufgabe nicht entziehen, auch
ihrerseits über den Rücktritt des ersten deutschen Reichskanzlers
ihre Meinung zu äußern, zu dessen äußerer und innerer Politik
sich die Grenzboten allezeit bekannt, die sie opferfreudig unter¬
stützt haben. Für sie und ihren Leserkreis stand Fürst Bismarck so hoch, daß
sie es nnr ans tiefster Seele beklagen können, wenn die Umstände es erforder-


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[0632] Fürst Bismarcks Rücktritt Ach, sagte sie weinend, hätte er doch Ihrem Rate gefolgt! Was haben wir in dieser Zeit für Anfeindungen erfahren müssen! Wie viele Schiras- und Droh¬ briefe haben wir erhalten! Die ganze Gegenpartei grüßt weder meinen Mann noch mich. Die Hälfte der Gemeinde bleibt aus der Kirche weg. Selbst die Kinder verweigern uns Grus; und Gehorsam. Nun hat er gestern Abend in der Schule einen siebzehnjährigen Jungen zurecht gewiesen und geohrfeigt. Der Junge aber, riesenstark, wie er ist, hat meinen Mann an der Kehle gepackt und ihm das Gesicht zerkratzt. Er hätte ihn noch ärger zugerichtet, wenn ihn nicht die andern Jungen weggerissen hätten. Und zu dem allen wird mein Mann sich noch vor dem Land¬ gericht wegen Überschreitung seiner Strafbefugnis und Mißhandlung zu verant¬ worten haben. Die Gegenpartei hat bereits einem gewiegten Advokaten die Be¬ treibung der Sache übergeben. Und so geschah es. Mein lieber Kollege wurde verurteilt; er hatte Monate zu warte», bis die Kratzwunden aus dem Geficht verschwanden; er hatte von un» an die Hölle an dem Orte, wo er bisher in leidlichem Verhältnis mit allen ge¬ standen hatte, und blos; darum, weil er gewählt hatte. Er mußte von der ihm wohlwollenden Behörde auf eine andre Stelle versetzt werden. Warum ich diese Geschichte erzähle? Weil sie sich mit mehr oder wenig Änderungen überall ans dem Lande zuträgt, wo das direkte Wahlrecht ausgeübt wird. Die indirekten Wahlen verlaufen immer sehr anständig und ruhig. Da kommen die guten und besonnenen Elemente, an denen es nicht fehlt, zur Geltung. Unsre Landbevölkerung wird durch diese Art von Wahlbewegung schlecht und arm gemacht, und darum nehme man ihr dieses Danaergeschenk, dessen sie selbst müde ist, wieder ab. Die Gemeinde, die ich bei meiner Erzählung vorzugsweise im Auge habe, war vor dreißig Jahren noch sehr wohlhabend, heute ist sie arm. Auch die Reichen sind durch die vielen Wahl-, Gerichts-, Advokaten- und Gefängniskosten herunter¬ gekommen. Die Hälfte der Besitzer ist dem Wucherer zinsbar geworden und wird ihrem Schicksal in solchen Händen nicht entgehen. Also fort mit dieser undeutschen Einrichtung, dem sulllAxs mrivsr»o1, das nicht auf deutschem Boden gewachsen ist und keinen deutscheu Namen verdient, das wir in thörichter Ausländerei den Franzosen nachgeahmt haben fort damit wenigstens für die Bürgermeister- oder Dvrfvorsteherwahlen ans dein Lande! Fürst Bismarcks Rücktritt bwvhl von den Betrachtungen der Tageszeitungen überholt, können sich diese Blätter doch der Aufgabe nicht entziehen, auch ihrerseits über den Rücktritt des ersten deutschen Reichskanzlers ihre Meinung zu äußern, zu dessen äußerer und innerer Politik sich die Grenzboten allezeit bekannt, die sie opferfreudig unter¬ stützt haben. Für sie und ihren Leserkreis stand Fürst Bismarck so hoch, daß sie es nnr ans tiefster Seele beklagen können, wenn die Umstände es erforder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/632>, abgerufen am 23.07.2024.