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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Drei Dichterinnen

Der Schuster mißt ihn mit dem Faden,
Was weiß der Wicht von Minneschaden
Und Minnetrost und Abenteuer?
Ein Trunk ists ohne Kraft und Feuer,
Ein Reimgetänzel sonder Schwung,
Als schulg kein Herz mehr warm und jung
Für frisches Leben, Lieb und Wein.

Wir befinden uns am Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts, zur Zeit des
Konzils von Konstanz. Oswald von Wolkenstein ist der letzte Minnesänger,
eine Gestalt wie geschaffen zum epischen Helden. Er hat die Thorheit eines
Ulrich von Lichtenstein und ist doch gleichzeitig ein ernster politischer Mann.
In dem Kampfe des Tiroler Adels gegen Herzog Friedrich mit der leeren
Tasche, der die Macht des Adels zu Gunsten seiner Landeshoheit gebrochen
hat, nimmt Oswald eine hervorragende Stellung ein: er wehrt sich für seine
Unabhängigkeit vom Landesfürsten bis aufs äußerste. Oswald ist einer der
meistgereisten Menschen seiner Zeit. In grenzenlosem Wandertriebe hat er
Jerusalem und Litauen und England und Aragonien und Neapel gesehen,
hat die Sprachen der verschiednen Völker kennen gelernt, und überall war die
Laute des Minnesängers seine Begleiterin. Er hat die höchsten Auszeichnungen
vom Kaiser und von der Königin in Aragon und die schlimmste Not als
Schiffbrüchiger erfahren. Aber er ist, wie mit seinem Wandertriebe, so auch mit
der Liebe zur Heimat ein echter Tiroler, er ist stets voller Sehnsucht nach
Tirol auf seine Burg Hauenstein zurückgekehrt. Und er ist ewig der liebes-
selige Dichter geblieben, Frauen haben in Haß und Liebe eine entscheidende
Rolle in seinem Leben gespielt, die Kunst des Gesanges hat ihn aus tiefem
Verließ gerettet und in der Einsamkeit des Alters getröstet. Wenn das kein
Held für ein Epos ist, dann giebt es keinen mehr. Hermann Schmidt hat
ihn denn auch wenige Jahre nach der Ausgabe von Oswalds Schriften und
Leben durch Beda Weber in einem Roman behandelt. Ungleich feiner ist die
poetische Erzählung der Hörmann. Sie hat sich allerdings ihren großen Stoff
novellistisch zugestutzt, man merkt es, daß ihre weibliche Hand gezögert hat,
in großen Zügen ein Weltbild von Oswalds Zeit zu entfalten. Aber sie hat
doch ein schönes Bild, wenn auch in kleinerem Rahmen, geschaffen und vor
allem die Gestalt Oswalds mit richtigem poetischen Gefühl erfaßt, nicht ohne
sie von den Derbheiten des Originals zu säubern, den Dichter gleichsam
manierlicher zu machen, wozu ihr die Wirklichkeit ein Recht gab. Sie hat
das Wesen des Mannes: seinen Sanguinismus, seine rasche Entzündbarkeit,
seine Leichtgläubigkeit sehr richtig dargestellt, nicht die Politik, sondern die
Poesie als den Mittelpunkt seines Charakters erfaßt und aus seinen zahllosen
Abenteuern die wichtigsten Ereignisse für ihre Darstellung ausgewählt. Die
Dichtung setzt idyllisch mit dem Leben auf dem stillen Schlosse Hohenschwangau
ein, von wo sich Oswald seine vielgeliebte Frau Margareta geholt hat.


Drei Dichterinnen

Der Schuster mißt ihn mit dem Faden,
Was weiß der Wicht von Minneschaden
Und Minnetrost und Abenteuer?
Ein Trunk ists ohne Kraft und Feuer,
Ein Reimgetänzel sonder Schwung,
Als schulg kein Herz mehr warm und jung
Für frisches Leben, Lieb und Wein.

Wir befinden uns am Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts, zur Zeit des
Konzils von Konstanz. Oswald von Wolkenstein ist der letzte Minnesänger,
eine Gestalt wie geschaffen zum epischen Helden. Er hat die Thorheit eines
Ulrich von Lichtenstein und ist doch gleichzeitig ein ernster politischer Mann.
In dem Kampfe des Tiroler Adels gegen Herzog Friedrich mit der leeren
Tasche, der die Macht des Adels zu Gunsten seiner Landeshoheit gebrochen
hat, nimmt Oswald eine hervorragende Stellung ein: er wehrt sich für seine
Unabhängigkeit vom Landesfürsten bis aufs äußerste. Oswald ist einer der
meistgereisten Menschen seiner Zeit. In grenzenlosem Wandertriebe hat er
Jerusalem und Litauen und England und Aragonien und Neapel gesehen,
hat die Sprachen der verschiednen Völker kennen gelernt, und überall war die
Laute des Minnesängers seine Begleiterin. Er hat die höchsten Auszeichnungen
vom Kaiser und von der Königin in Aragon und die schlimmste Not als
Schiffbrüchiger erfahren. Aber er ist, wie mit seinem Wandertriebe, so auch mit
der Liebe zur Heimat ein echter Tiroler, er ist stets voller Sehnsucht nach
Tirol auf seine Burg Hauenstein zurückgekehrt. Und er ist ewig der liebes-
selige Dichter geblieben, Frauen haben in Haß und Liebe eine entscheidende
Rolle in seinem Leben gespielt, die Kunst des Gesanges hat ihn aus tiefem
Verließ gerettet und in der Einsamkeit des Alters getröstet. Wenn das kein
Held für ein Epos ist, dann giebt es keinen mehr. Hermann Schmidt hat
ihn denn auch wenige Jahre nach der Ausgabe von Oswalds Schriften und
Leben durch Beda Weber in einem Roman behandelt. Ungleich feiner ist die
poetische Erzählung der Hörmann. Sie hat sich allerdings ihren großen Stoff
novellistisch zugestutzt, man merkt es, daß ihre weibliche Hand gezögert hat,
in großen Zügen ein Weltbild von Oswalds Zeit zu entfalten. Aber sie hat
doch ein schönes Bild, wenn auch in kleinerem Rahmen, geschaffen und vor
allem die Gestalt Oswalds mit richtigem poetischen Gefühl erfaßt, nicht ohne
sie von den Derbheiten des Originals zu säubern, den Dichter gleichsam
manierlicher zu machen, wozu ihr die Wirklichkeit ein Recht gab. Sie hat
das Wesen des Mannes: seinen Sanguinismus, seine rasche Entzündbarkeit,
seine Leichtgläubigkeit sehr richtig dargestellt, nicht die Politik, sondern die
Poesie als den Mittelpunkt seines Charakters erfaßt und aus seinen zahllosen
Abenteuern die wichtigsten Ereignisse für ihre Darstellung ausgewählt. Die
Dichtung setzt idyllisch mit dem Leben auf dem stillen Schlosse Hohenschwangau
ein, von wo sich Oswald seine vielgeliebte Frau Margareta geholt hat.


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[0616] Drei Dichterinnen Der Schuster mißt ihn mit dem Faden, Was weiß der Wicht von Minneschaden Und Minnetrost und Abenteuer? Ein Trunk ists ohne Kraft und Feuer, Ein Reimgetänzel sonder Schwung, Als schulg kein Herz mehr warm und jung Für frisches Leben, Lieb und Wein. Wir befinden uns am Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts, zur Zeit des Konzils von Konstanz. Oswald von Wolkenstein ist der letzte Minnesänger, eine Gestalt wie geschaffen zum epischen Helden. Er hat die Thorheit eines Ulrich von Lichtenstein und ist doch gleichzeitig ein ernster politischer Mann. In dem Kampfe des Tiroler Adels gegen Herzog Friedrich mit der leeren Tasche, der die Macht des Adels zu Gunsten seiner Landeshoheit gebrochen hat, nimmt Oswald eine hervorragende Stellung ein: er wehrt sich für seine Unabhängigkeit vom Landesfürsten bis aufs äußerste. Oswald ist einer der meistgereisten Menschen seiner Zeit. In grenzenlosem Wandertriebe hat er Jerusalem und Litauen und England und Aragonien und Neapel gesehen, hat die Sprachen der verschiednen Völker kennen gelernt, und überall war die Laute des Minnesängers seine Begleiterin. Er hat die höchsten Auszeichnungen vom Kaiser und von der Königin in Aragon und die schlimmste Not als Schiffbrüchiger erfahren. Aber er ist, wie mit seinem Wandertriebe, so auch mit der Liebe zur Heimat ein echter Tiroler, er ist stets voller Sehnsucht nach Tirol auf seine Burg Hauenstein zurückgekehrt. Und er ist ewig der liebes- selige Dichter geblieben, Frauen haben in Haß und Liebe eine entscheidende Rolle in seinem Leben gespielt, die Kunst des Gesanges hat ihn aus tiefem Verließ gerettet und in der Einsamkeit des Alters getröstet. Wenn das kein Held für ein Epos ist, dann giebt es keinen mehr. Hermann Schmidt hat ihn denn auch wenige Jahre nach der Ausgabe von Oswalds Schriften und Leben durch Beda Weber in einem Roman behandelt. Ungleich feiner ist die poetische Erzählung der Hörmann. Sie hat sich allerdings ihren großen Stoff novellistisch zugestutzt, man merkt es, daß ihre weibliche Hand gezögert hat, in großen Zügen ein Weltbild von Oswalds Zeit zu entfalten. Aber sie hat doch ein schönes Bild, wenn auch in kleinerem Rahmen, geschaffen und vor allem die Gestalt Oswalds mit richtigem poetischen Gefühl erfaßt, nicht ohne sie von den Derbheiten des Originals zu säubern, den Dichter gleichsam manierlicher zu machen, wozu ihr die Wirklichkeit ein Recht gab. Sie hat das Wesen des Mannes: seinen Sanguinismus, seine rasche Entzündbarkeit, seine Leichtgläubigkeit sehr richtig dargestellt, nicht die Politik, sondern die Poesie als den Mittelpunkt seines Charakters erfaßt und aus seinen zahllosen Abenteuern die wichtigsten Ereignisse für ihre Darstellung ausgewählt. Die Dichtung setzt idyllisch mit dem Leben auf dem stillen Schlosse Hohenschwangau ein, von wo sich Oswald seine vielgeliebte Frau Margareta geholt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/616>, abgerufen am 03.07.2024.