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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Drei Dichterinnen

sonderbare Vorliebe hat die Puttkamer für neue Wortbildungen, namentlich für
Zeitwörter mit der Vorsilbe ent-; so sagt sie:


Denn ich, ich glaube noch an jenen Gott,
Der sich ent wirkt in edeln Männerseelen,

Auch das Wort "beflaumt" ist so eine Schöpfung:


Am Fels des Mooses weicher Samt
Ist schon mit Knospen licht beflaumt!

heißt es im "Wcingeigerleiu"; und eine Seite vorher:


Durch die keuschen Wasgauwälder, goldbeflammt von Knospentrieben.

Gleich im ersten Gedicht lauten die ersten Verse:


Am Dachfirst, wo der letzte Schwalbenban,
Hoch überm Stadtgewühl, in Sonnenstillen --

das ist grammatisch fehlerhaft, es soll Wohl heißen: in sonniger Stille; "die
Stillen" ist doch ein falscher Plural. In dem Gedicht "Kleopatra" heißt es:


Und doch ist mir die ganze Welt entsonnt!

das ist häßlich; und geradezu komisch ist es, wenn Kleopatra von der
Schlange sagt:


Was hebt sein Haupt dort, todesselig-bange?
Zerstörungsgliick von Eden, schöne Schlange.

Ganz abgesehen von der sinnlosen Bildung "Zerstöruugsglück" sür "Zerstörerin
des Glücks von Eden" ist die Wendung im Munde der Freundin des An-
tonius doch zu gewagt; oder hat Kleopvtra schon das alte Testament gekannt?
Das ist doch nicht wahrscheinlich.

Gerade in sprachlicher Beziehung zeichnet sich das erzählende Gedicht
Oswald von Wolkenstein von Angelika von Hörmann (Dresden,
Ehlermcmn, )890) vorteilhaft nicht bloß vor den Gedichten der Puttkamer,
sondern auch vor vielen männlichen Leistungen der Gegenwart aus durch Anmut,
Sorgfalt, Innigkeit, Schlichtheit, Vermeidung jeder Sucht nach Originalität,
ohne deshalb die Farbe der Persönlichkeit zu verlieren. Man lese z. B.
folgende heitere Klage des Ritters Hiltpolt von Hohenschwangau über den
Verlust der guten alten Zeit des Minnesangs:


Was Wunder, daß mich Grimm beschleicht,
Weil Sang und Klang so ganz verbleicht;
Deun was man jetzt noch nennt mit Ruhme,
Ist dürres Laub statt frischer Blume.
Einst sang der Ritter seine Weise
Im Wald und zu der Frauen Preise,
Jetzt klebt der Schreiner mit dem Leim
In dumpfer Stube Reim auf Reim,

Drei Dichterinnen

sonderbare Vorliebe hat die Puttkamer für neue Wortbildungen, namentlich für
Zeitwörter mit der Vorsilbe ent-; so sagt sie:


Denn ich, ich glaube noch an jenen Gott,
Der sich ent wirkt in edeln Männerseelen,

Auch das Wort „beflaumt" ist so eine Schöpfung:


Am Fels des Mooses weicher Samt
Ist schon mit Knospen licht beflaumt!

heißt es im „Wcingeigerleiu"; und eine Seite vorher:


Durch die keuschen Wasgauwälder, goldbeflammt von Knospentrieben.

Gleich im ersten Gedicht lauten die ersten Verse:


Am Dachfirst, wo der letzte Schwalbenban,
Hoch überm Stadtgewühl, in Sonnenstillen —

das ist grammatisch fehlerhaft, es soll Wohl heißen: in sonniger Stille; „die
Stillen" ist doch ein falscher Plural. In dem Gedicht „Kleopatra" heißt es:


Und doch ist mir die ganze Welt entsonnt!

das ist häßlich; und geradezu komisch ist es, wenn Kleopatra von der
Schlange sagt:


Was hebt sein Haupt dort, todesselig-bange?
Zerstörungsgliick von Eden, schöne Schlange.

Ganz abgesehen von der sinnlosen Bildung „Zerstöruugsglück" sür „Zerstörerin
des Glücks von Eden" ist die Wendung im Munde der Freundin des An-
tonius doch zu gewagt; oder hat Kleopvtra schon das alte Testament gekannt?
Das ist doch nicht wahrscheinlich.

Gerade in sprachlicher Beziehung zeichnet sich das erzählende Gedicht
Oswald von Wolkenstein von Angelika von Hörmann (Dresden,
Ehlermcmn, )890) vorteilhaft nicht bloß vor den Gedichten der Puttkamer,
sondern auch vor vielen männlichen Leistungen der Gegenwart aus durch Anmut,
Sorgfalt, Innigkeit, Schlichtheit, Vermeidung jeder Sucht nach Originalität,
ohne deshalb die Farbe der Persönlichkeit zu verlieren. Man lese z. B.
folgende heitere Klage des Ritters Hiltpolt von Hohenschwangau über den
Verlust der guten alten Zeit des Minnesangs:


Was Wunder, daß mich Grimm beschleicht,
Weil Sang und Klang so ganz verbleicht;
Deun was man jetzt noch nennt mit Ruhme,
Ist dürres Laub statt frischer Blume.
Einst sang der Ritter seine Weise
Im Wald und zu der Frauen Preise,
Jetzt klebt der Schreiner mit dem Leim
In dumpfer Stube Reim auf Reim,

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[0615] Drei Dichterinnen sonderbare Vorliebe hat die Puttkamer für neue Wortbildungen, namentlich für Zeitwörter mit der Vorsilbe ent-; so sagt sie: Denn ich, ich glaube noch an jenen Gott, Der sich ent wirkt in edeln Männerseelen, Auch das Wort „beflaumt" ist so eine Schöpfung: Am Fels des Mooses weicher Samt Ist schon mit Knospen licht beflaumt! heißt es im „Wcingeigerleiu"; und eine Seite vorher: Durch die keuschen Wasgauwälder, goldbeflammt von Knospentrieben. Gleich im ersten Gedicht lauten die ersten Verse: Am Dachfirst, wo der letzte Schwalbenban, Hoch überm Stadtgewühl, in Sonnenstillen — das ist grammatisch fehlerhaft, es soll Wohl heißen: in sonniger Stille; „die Stillen" ist doch ein falscher Plural. In dem Gedicht „Kleopatra" heißt es: Und doch ist mir die ganze Welt entsonnt! das ist häßlich; und geradezu komisch ist es, wenn Kleopatra von der Schlange sagt: Was hebt sein Haupt dort, todesselig-bange? Zerstörungsgliick von Eden, schöne Schlange. Ganz abgesehen von der sinnlosen Bildung „Zerstöruugsglück" sür „Zerstörerin des Glücks von Eden" ist die Wendung im Munde der Freundin des An- tonius doch zu gewagt; oder hat Kleopvtra schon das alte Testament gekannt? Das ist doch nicht wahrscheinlich. Gerade in sprachlicher Beziehung zeichnet sich das erzählende Gedicht Oswald von Wolkenstein von Angelika von Hörmann (Dresden, Ehlermcmn, )890) vorteilhaft nicht bloß vor den Gedichten der Puttkamer, sondern auch vor vielen männlichen Leistungen der Gegenwart aus durch Anmut, Sorgfalt, Innigkeit, Schlichtheit, Vermeidung jeder Sucht nach Originalität, ohne deshalb die Farbe der Persönlichkeit zu verlieren. Man lese z. B. folgende heitere Klage des Ritters Hiltpolt von Hohenschwangau über den Verlust der guten alten Zeit des Minnesangs: Was Wunder, daß mich Grimm beschleicht, Weil Sang und Klang so ganz verbleicht; Deun was man jetzt noch nennt mit Ruhme, Ist dürres Laub statt frischer Blume. Einst sang der Ritter seine Weise Im Wald und zu der Frauen Preise, Jetzt klebt der Schreiner mit dem Leim In dumpfer Stube Reim auf Reim,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/615>, abgerufen am 23.07.2024.