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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Drei Dichterinnen

Lichter spielen läßt. Was man schon bei ihrer Lyrik als bedeutenden Vorzug
bemerken konnte, die kraftvolle künstlerische Freiheit mitten in schwerer Trauer
des Gemütes, das findet man auch in ihren Novellen wieder. So düster, ja
geradezu schauerlich sie werden kann, sie steht doch frei über dem Stoff; der
Eindruck bleibt ästhetisch rein, ohne eine Spur von pessimistischer Tendenz
oder von Verstimmung zu hinterlassen. Das ist das beste Zeugnis wahrhafter
Poesie. In einzelnen Stücken aber offenbart Isolde Kurz auch eine nicht ge¬
wöhnliche Kunst psychologischer Darstellung und Vertiefung, namentlich in der
umfänglichsten, im "Sankt Sebastian." Hier erzählt sie uns von einem (übrigens
erfundenen) Maler der Renaissance, dessen Gemälde zum Kuppler zwischen
zwei ihm nahestehenden geliebten Menschen geworden sind, zum "Gcileotto"
zwischen der geliebten Pia und seinen: Halbbruder, dem jugendlichen Kardinal
Cescire. Um uns nun die Macht seines Pinsels zu veranschaulichen, stellt die
Erzählerin deu Maler während seiner begeistert visionären Schöpferarbeit in
wahrhaft packender Weise dar. Abgesehen von der Tiefe ihrer Einsicht in das
Wesen des schöpferischen Genius, ist auch diese Darstellung technisch ein kleines
Meisterstück, weil die Erzählerin so die undankbare und schwierige Beschreibung
des kupplerischen Gemäldes -- es ist ein Fresko und stellt die Leiden des
heiligen Märtyrers Sebastian vor -- umgeht, und auf der lebhaften Anschauung
des Gemäldes beruht die Wirkung der gauzeu Fabel. Ebenso gelingt es ihr,
uns Gespensterhaftes, Dämonisches kräftig fühlbar zu machen. Ihre Gestalten
stehen in sicherer Zeichnung fest und bestimmt vor uusern Augen; die köstliche
Figur des Barbiergesellen Lutz aus Augsburg, der bei dein Humanisten in
Florenz Kammerdiener ist nud sich stolz Lucius Rufus nennt, ist ebenso sicher
gezeichnet wie die des stolzen altadelichen Gegners der Medici, des herben
Ruggiero im "Sebastian."

Wir wollen uns nicht weiter in die Einzelheiten vertiefen, es genüge diese
allgemeine Charakteristik. Jedenfalls entspricht dieser Band von Novellen dem
guten Vorurteil, das Isolde Kurz mit ihren Gedichten erregt hat, nud wenn
noch etwas zu wünschen ist, so ist es nur dies, daß ihre künstlerische Entwicklung
die Richtung aus die objektive Kunst und auf die Charakterpvesie, die "Sankt
Sebastian" nimmt, festhalten möge. Dann wird auch ihre Form konzentrirter,
die Sprache lakonischer werden; was zu wirken hat, soll nur die Sache sein.
Ihr Vorwürfe wegen der romantischen Neigung ihrer Phantasie zu machen,
halten wir eine objektive Kritik nicht für berufen. Die Natur seiner Phantasie
zu ändern, soll keinem Künstler zugemutet werden; in der Welt ist Platz für
alle Arten künstlerischer Begabung.

Eine so klare, reife, besonnene Künstlerin wie Isolde Kurz ist Alberta
von Puttkamer nicht; man kann sie beinahe als ihren völligen Gegensatz
bezeichnen. Sie ist wohl auch ein gebornes lyrisches Talent: sie ist sehr mit
sich selbst beschäftigt, sie ist ein Phantasiemensch lind hat Sprachgewaudtheit


Drei Dichterinnen

Lichter spielen läßt. Was man schon bei ihrer Lyrik als bedeutenden Vorzug
bemerken konnte, die kraftvolle künstlerische Freiheit mitten in schwerer Trauer
des Gemütes, das findet man auch in ihren Novellen wieder. So düster, ja
geradezu schauerlich sie werden kann, sie steht doch frei über dem Stoff; der
Eindruck bleibt ästhetisch rein, ohne eine Spur von pessimistischer Tendenz
oder von Verstimmung zu hinterlassen. Das ist das beste Zeugnis wahrhafter
Poesie. In einzelnen Stücken aber offenbart Isolde Kurz auch eine nicht ge¬
wöhnliche Kunst psychologischer Darstellung und Vertiefung, namentlich in der
umfänglichsten, im „Sankt Sebastian." Hier erzählt sie uns von einem (übrigens
erfundenen) Maler der Renaissance, dessen Gemälde zum Kuppler zwischen
zwei ihm nahestehenden geliebten Menschen geworden sind, zum „Gcileotto"
zwischen der geliebten Pia und seinen: Halbbruder, dem jugendlichen Kardinal
Cescire. Um uns nun die Macht seines Pinsels zu veranschaulichen, stellt die
Erzählerin deu Maler während seiner begeistert visionären Schöpferarbeit in
wahrhaft packender Weise dar. Abgesehen von der Tiefe ihrer Einsicht in das
Wesen des schöpferischen Genius, ist auch diese Darstellung technisch ein kleines
Meisterstück, weil die Erzählerin so die undankbare und schwierige Beschreibung
des kupplerischen Gemäldes — es ist ein Fresko und stellt die Leiden des
heiligen Märtyrers Sebastian vor — umgeht, und auf der lebhaften Anschauung
des Gemäldes beruht die Wirkung der gauzeu Fabel. Ebenso gelingt es ihr,
uns Gespensterhaftes, Dämonisches kräftig fühlbar zu machen. Ihre Gestalten
stehen in sicherer Zeichnung fest und bestimmt vor uusern Augen; die köstliche
Figur des Barbiergesellen Lutz aus Augsburg, der bei dein Humanisten in
Florenz Kammerdiener ist nud sich stolz Lucius Rufus nennt, ist ebenso sicher
gezeichnet wie die des stolzen altadelichen Gegners der Medici, des herben
Ruggiero im „Sebastian."

Wir wollen uns nicht weiter in die Einzelheiten vertiefen, es genüge diese
allgemeine Charakteristik. Jedenfalls entspricht dieser Band von Novellen dem
guten Vorurteil, das Isolde Kurz mit ihren Gedichten erregt hat, nud wenn
noch etwas zu wünschen ist, so ist es nur dies, daß ihre künstlerische Entwicklung
die Richtung aus die objektive Kunst und auf die Charakterpvesie, die „Sankt
Sebastian" nimmt, festhalten möge. Dann wird auch ihre Form konzentrirter,
die Sprache lakonischer werden; was zu wirken hat, soll nur die Sache sein.
Ihr Vorwürfe wegen der romantischen Neigung ihrer Phantasie zu machen,
halten wir eine objektive Kritik nicht für berufen. Die Natur seiner Phantasie
zu ändern, soll keinem Künstler zugemutet werden; in der Welt ist Platz für
alle Arten künstlerischer Begabung.

Eine so klare, reife, besonnene Künstlerin wie Isolde Kurz ist Alberta
von Puttkamer nicht; man kann sie beinahe als ihren völligen Gegensatz
bezeichnen. Sie ist wohl auch ein gebornes lyrisches Talent: sie ist sehr mit
sich selbst beschäftigt, sie ist ein Phantasiemensch lind hat Sprachgewaudtheit


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[0612] Drei Dichterinnen Lichter spielen läßt. Was man schon bei ihrer Lyrik als bedeutenden Vorzug bemerken konnte, die kraftvolle künstlerische Freiheit mitten in schwerer Trauer des Gemütes, das findet man auch in ihren Novellen wieder. So düster, ja geradezu schauerlich sie werden kann, sie steht doch frei über dem Stoff; der Eindruck bleibt ästhetisch rein, ohne eine Spur von pessimistischer Tendenz oder von Verstimmung zu hinterlassen. Das ist das beste Zeugnis wahrhafter Poesie. In einzelnen Stücken aber offenbart Isolde Kurz auch eine nicht ge¬ wöhnliche Kunst psychologischer Darstellung und Vertiefung, namentlich in der umfänglichsten, im „Sankt Sebastian." Hier erzählt sie uns von einem (übrigens erfundenen) Maler der Renaissance, dessen Gemälde zum Kuppler zwischen zwei ihm nahestehenden geliebten Menschen geworden sind, zum „Gcileotto" zwischen der geliebten Pia und seinen: Halbbruder, dem jugendlichen Kardinal Cescire. Um uns nun die Macht seines Pinsels zu veranschaulichen, stellt die Erzählerin deu Maler während seiner begeistert visionären Schöpferarbeit in wahrhaft packender Weise dar. Abgesehen von der Tiefe ihrer Einsicht in das Wesen des schöpferischen Genius, ist auch diese Darstellung technisch ein kleines Meisterstück, weil die Erzählerin so die undankbare und schwierige Beschreibung des kupplerischen Gemäldes — es ist ein Fresko und stellt die Leiden des heiligen Märtyrers Sebastian vor — umgeht, und auf der lebhaften Anschauung des Gemäldes beruht die Wirkung der gauzeu Fabel. Ebenso gelingt es ihr, uns Gespensterhaftes, Dämonisches kräftig fühlbar zu machen. Ihre Gestalten stehen in sicherer Zeichnung fest und bestimmt vor uusern Augen; die köstliche Figur des Barbiergesellen Lutz aus Augsburg, der bei dein Humanisten in Florenz Kammerdiener ist nud sich stolz Lucius Rufus nennt, ist ebenso sicher gezeichnet wie die des stolzen altadelichen Gegners der Medici, des herben Ruggiero im „Sebastian." Wir wollen uns nicht weiter in die Einzelheiten vertiefen, es genüge diese allgemeine Charakteristik. Jedenfalls entspricht dieser Band von Novellen dem guten Vorurteil, das Isolde Kurz mit ihren Gedichten erregt hat, nud wenn noch etwas zu wünschen ist, so ist es nur dies, daß ihre künstlerische Entwicklung die Richtung aus die objektive Kunst und auf die Charakterpvesie, die „Sankt Sebastian" nimmt, festhalten möge. Dann wird auch ihre Form konzentrirter, die Sprache lakonischer werden; was zu wirken hat, soll nur die Sache sein. Ihr Vorwürfe wegen der romantischen Neigung ihrer Phantasie zu machen, halten wir eine objektive Kritik nicht für berufen. Die Natur seiner Phantasie zu ändern, soll keinem Künstler zugemutet werden; in der Welt ist Platz für alle Arten künstlerischer Begabung. Eine so klare, reife, besonnene Künstlerin wie Isolde Kurz ist Alberta von Puttkamer nicht; man kann sie beinahe als ihren völligen Gegensatz bezeichnen. Sie ist wohl auch ein gebornes lyrisches Talent: sie ist sehr mit sich selbst beschäftigt, sie ist ein Phantasiemensch lind hat Sprachgewaudtheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/612>, abgerufen am 23.07.2024.