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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Drei Dichterinnen

Beruf der Frau im allgemeinen und im besonderen hier einzulassen. Aber
wirklich dichterische Leistungen von Frauen unbefangen zu prüfen und in ihrer
Eigentümlichkeit zu zeigen, halten wir unter allen Umstünden für eine Pflicht
der litterarischen Kritik. Warum sollten auch gerade die Frauen von diesem
Recht auf Kritik ausgeschlossen sein?

Die Aufgabe wird uns übrigens im vorliegenden Falle leicht gemacht,
denn die drei Frauen, die uns hier beschäftigen sollen: Isolde Kurz,
Alberta von Puttkamer und Angelika von Hormann, sind schon als
mehr oder weniger begabte Dichterinnen anerkannt. Alle drei gehören nicht zu
den Berufsschriftstelleriunen, sie treten selten auf den litterarischen Markt.
Sie haben sich mit der Lyrik litterarisch eingeführt; sie schaffen in Wahrheit
nnr, um einem reinen Kunsttriebe zu folgen; sie sind frei von modischen Ge¬
lüsten, stellen sich sogar in Gegensatz zu den Strömungen des Tages, sind
ohne Zweifel tiefere Naturen und bedürfen keines besondern Urwalds, um
anerkannt werden. Und alle drei sind so grundverschieden in ihrer Fähig¬
keit, ihrer Empfindung und ihrem Geschmack, daß es wohl einen gewissen Reiz
hat, sie jede nach ihrer Eigenart zu betrachten. Sie stammen auch alle drei
ans ganz verschiedenen deutschen Gauen: Isolde Kurz ist eine Schwäbin, eine
Tochter von Hermann Kurz, mit gelehrter Bildung, heimisch in zwei Welten:
in Deutschland und Italien, begeistert für eine untergegangene, für die Ne-
naissaneemenschhcit; Alberta von Puttkamer ist nicht halb so gelehrt, eine
moderne, nervöse Frau, sie stammt aus Norddeutschland, hat sich aber in
Straßburg, im jungen Reichslande, heimisch gemacht, sie lebt in der Gegen¬
wart, eine Dame der Gesellschaft; endlich die bescheidene Angelika von Hörmann,
die Tirolerin, ist als unsichtbare Nachtigall in Liedern zum Preise der schönen
Alpenwelt bisher nur engern landsmannschaftlichen Kreisen bekannt geworden,
sie hat weder die nervöse Leidenschaft der Puttkamer, noch die geistige Größe
der Kurz, sie weiß nur mit schlichter Innigkeit ein süßes Lied zum Preise der
Natur zu singen, der Natur Tirols, das sie selten oder wohl niemals ver¬
lassen hat. Mit den neuesten Büchern dieser drei Frauen wollen wir uns kurz
beschäftigen.

Isolde Kurz führt sich mit ihren Florentiner Novellen (Stuttgart,
.Göschen, 1890) als eine Erzählerin von reicher Phantasie und ungewöhnlicher
Kraft ein. Die vier Novellen spielen sämtlich zur Zeit der Florentiner
Renaissance, in den ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts, zur Zeit
der glanzvollen Regierung Lorenzos de Medici bis zu dem großen Sterben,
der Pest des Jahres 1527. Schon die feine Art der Behandlung und Auf¬
fassung des geschichtlichen Hintergrundes ihrer Erzählungen mutet uns wohl¬
thuend an, weil sie uns als der Ausdruck eines tiefen und zugleich freien,
beweglichem Geistes erscheint, der vou hohem Standpunkt eine große geschichtliche
Bewegung zu sehen und zu schildern vermag. Isolde Kurz versteht es, die


Drei Dichterinnen

Beruf der Frau im allgemeinen und im besonderen hier einzulassen. Aber
wirklich dichterische Leistungen von Frauen unbefangen zu prüfen und in ihrer
Eigentümlichkeit zu zeigen, halten wir unter allen Umstünden für eine Pflicht
der litterarischen Kritik. Warum sollten auch gerade die Frauen von diesem
Recht auf Kritik ausgeschlossen sein?

Die Aufgabe wird uns übrigens im vorliegenden Falle leicht gemacht,
denn die drei Frauen, die uns hier beschäftigen sollen: Isolde Kurz,
Alberta von Puttkamer und Angelika von Hormann, sind schon als
mehr oder weniger begabte Dichterinnen anerkannt. Alle drei gehören nicht zu
den Berufsschriftstelleriunen, sie treten selten auf den litterarischen Markt.
Sie haben sich mit der Lyrik litterarisch eingeführt; sie schaffen in Wahrheit
nnr, um einem reinen Kunsttriebe zu folgen; sie sind frei von modischen Ge¬
lüsten, stellen sich sogar in Gegensatz zu den Strömungen des Tages, sind
ohne Zweifel tiefere Naturen und bedürfen keines besondern Urwalds, um
anerkannt werden. Und alle drei sind so grundverschieden in ihrer Fähig¬
keit, ihrer Empfindung und ihrem Geschmack, daß es wohl einen gewissen Reiz
hat, sie jede nach ihrer Eigenart zu betrachten. Sie stammen auch alle drei
ans ganz verschiedenen deutschen Gauen: Isolde Kurz ist eine Schwäbin, eine
Tochter von Hermann Kurz, mit gelehrter Bildung, heimisch in zwei Welten:
in Deutschland und Italien, begeistert für eine untergegangene, für die Ne-
naissaneemenschhcit; Alberta von Puttkamer ist nicht halb so gelehrt, eine
moderne, nervöse Frau, sie stammt aus Norddeutschland, hat sich aber in
Straßburg, im jungen Reichslande, heimisch gemacht, sie lebt in der Gegen¬
wart, eine Dame der Gesellschaft; endlich die bescheidene Angelika von Hörmann,
die Tirolerin, ist als unsichtbare Nachtigall in Liedern zum Preise der schönen
Alpenwelt bisher nur engern landsmannschaftlichen Kreisen bekannt geworden,
sie hat weder die nervöse Leidenschaft der Puttkamer, noch die geistige Größe
der Kurz, sie weiß nur mit schlichter Innigkeit ein süßes Lied zum Preise der
Natur zu singen, der Natur Tirols, das sie selten oder wohl niemals ver¬
lassen hat. Mit den neuesten Büchern dieser drei Frauen wollen wir uns kurz
beschäftigen.

Isolde Kurz führt sich mit ihren Florentiner Novellen (Stuttgart,
.Göschen, 1890) als eine Erzählerin von reicher Phantasie und ungewöhnlicher
Kraft ein. Die vier Novellen spielen sämtlich zur Zeit der Florentiner
Renaissance, in den ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts, zur Zeit
der glanzvollen Regierung Lorenzos de Medici bis zu dem großen Sterben,
der Pest des Jahres 1527. Schon die feine Art der Behandlung und Auf¬
fassung des geschichtlichen Hintergrundes ihrer Erzählungen mutet uns wohl¬
thuend an, weil sie uns als der Ausdruck eines tiefen und zugleich freien,
beweglichem Geistes erscheint, der vou hohem Standpunkt eine große geschichtliche
Bewegung zu sehen und zu schildern vermag. Isolde Kurz versteht es, die


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[0610] Drei Dichterinnen Beruf der Frau im allgemeinen und im besonderen hier einzulassen. Aber wirklich dichterische Leistungen von Frauen unbefangen zu prüfen und in ihrer Eigentümlichkeit zu zeigen, halten wir unter allen Umstünden für eine Pflicht der litterarischen Kritik. Warum sollten auch gerade die Frauen von diesem Recht auf Kritik ausgeschlossen sein? Die Aufgabe wird uns übrigens im vorliegenden Falle leicht gemacht, denn die drei Frauen, die uns hier beschäftigen sollen: Isolde Kurz, Alberta von Puttkamer und Angelika von Hormann, sind schon als mehr oder weniger begabte Dichterinnen anerkannt. Alle drei gehören nicht zu den Berufsschriftstelleriunen, sie treten selten auf den litterarischen Markt. Sie haben sich mit der Lyrik litterarisch eingeführt; sie schaffen in Wahrheit nnr, um einem reinen Kunsttriebe zu folgen; sie sind frei von modischen Ge¬ lüsten, stellen sich sogar in Gegensatz zu den Strömungen des Tages, sind ohne Zweifel tiefere Naturen und bedürfen keines besondern Urwalds, um anerkannt werden. Und alle drei sind so grundverschieden in ihrer Fähig¬ keit, ihrer Empfindung und ihrem Geschmack, daß es wohl einen gewissen Reiz hat, sie jede nach ihrer Eigenart zu betrachten. Sie stammen auch alle drei ans ganz verschiedenen deutschen Gauen: Isolde Kurz ist eine Schwäbin, eine Tochter von Hermann Kurz, mit gelehrter Bildung, heimisch in zwei Welten: in Deutschland und Italien, begeistert für eine untergegangene, für die Ne- naissaneemenschhcit; Alberta von Puttkamer ist nicht halb so gelehrt, eine moderne, nervöse Frau, sie stammt aus Norddeutschland, hat sich aber in Straßburg, im jungen Reichslande, heimisch gemacht, sie lebt in der Gegen¬ wart, eine Dame der Gesellschaft; endlich die bescheidene Angelika von Hörmann, die Tirolerin, ist als unsichtbare Nachtigall in Liedern zum Preise der schönen Alpenwelt bisher nur engern landsmannschaftlichen Kreisen bekannt geworden, sie hat weder die nervöse Leidenschaft der Puttkamer, noch die geistige Größe der Kurz, sie weiß nur mit schlichter Innigkeit ein süßes Lied zum Preise der Natur zu singen, der Natur Tirols, das sie selten oder wohl niemals ver¬ lassen hat. Mit den neuesten Büchern dieser drei Frauen wollen wir uns kurz beschäftigen. Isolde Kurz führt sich mit ihren Florentiner Novellen (Stuttgart, .Göschen, 1890) als eine Erzählerin von reicher Phantasie und ungewöhnlicher Kraft ein. Die vier Novellen spielen sämtlich zur Zeit der Florentiner Renaissance, in den ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts, zur Zeit der glanzvollen Regierung Lorenzos de Medici bis zu dem großen Sterben, der Pest des Jahres 1527. Schon die feine Art der Behandlung und Auf¬ fassung des geschichtlichen Hintergrundes ihrer Erzählungen mutet uns wohl¬ thuend an, weil sie uns als der Ausdruck eines tiefen und zugleich freien, beweglichem Geistes erscheint, der vou hohem Standpunkt eine große geschichtliche Bewegung zu sehen und zu schildern vermag. Isolde Kurz versteht es, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/610>, abgerufen am 23.07.2024.