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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Der verein für Schulreform

Berechtigungswesen sind seit dem Minister Altenstein, dem Geheimen Rate
Johannes Müller und dem Professor Angust Wolf in Halle die Ziele des
Gymnasiums gewaltsam in die Höhe getrieben worden, und das hat die Schul¬
bank so heiß gemacht, daß viele Väter ihre gesunden Kinder nicht daraus setzen
würden, wenn nicht die Berechtigungen waren.

Es ist natürlich, daß die Idee des Vereins für Schulreform in den Kreisen
der Gymnasiallehrer nur wenig Anklang findet und finden wird. Bei Neue¬
rungen hat das Standesinteresse fast immer bedeutenden Einfluß auf die
Meinung. Genug, wenn der Streit in den Grenzen maßvoller Erörterung
bleibt. Leider ist dies nicht immer der Fall. In mehr als derber Weise er¬
eifert sich der als Historiker und tüchtiger Altphilolog bekannte Gymnasial¬
direktor in Köln. Dr. Oskar Jäger, in seiner neuesten Streitschrift "Das
humanistische Gymnasium und die Petition um durchgreifende Schulreform"
gegen die Verkürzung der alten Sprachen. Der im Kampfe ergraute tapfere
Recke des Gymnasialwesens, der mit breitem Rücken und unsanften Ellenbogen-
stößen die Forderungen der modernen Bildung zurückzubannen sucht, wittert
hinter der Petition seinen alten Gegner, den deutschen Nealschulmännerverein,
und verfolgt diesen, der um der ganzen Sache ziemlich unschuldig ist, mit
Grobheiten, wie: platte Demagogie, alte Unehrlichkeit, Intrigue, Reklame,
Agitation auf der Landstraße, Lüge, Schwindel. Daun führt er die Schlag¬
wörter der Gymnasialpartei: Arbeitcnlerneu, Deukenlernen am Latein, Unab¬
hängigkeit der klassischen Sprachen vom Marktbedürfnis, Adel des Gymnasial¬
unterrichtes u. tgi. ins Treffen, wobei er zwar manche gute Betrachtung aus
tüchtiger Praxis heraus einfügt, doch immer mit heißen: Kopfe im Kampf¬
gewühl der Parteien stehend. Der Direktor des Realgymnasiums in Duisburg,
I)r. Steinhart, wehrt ihn in den letzten Mitteilungen an die Mitglieder des
deutscheu Nealschulmäunervereins mit Besonnenheit und feinem Takte ab, sodaß
man kaum noch in Zweifel sein kaun, auf welcher Seite die größere Sieges¬
gewißheit ist. Aber wie hier die Gegner, so regen sich auf andrer Seite auch
die Freunde, und in dieser Beziehung ist der Verein für Schulreform in Baiern
sehr merkwürdig. In der Einladungsschrift zu einer Generalversammlung am
22. Januar d. I. werden die Grundsätze des Vereins kurz angegeben. Das
Hauptgewicht legt dieser Verein auf die sechsklassige Mittelschule, die als Unter¬
bau für einen (dreiklassigen) Gymnasial- und Realgymnasialkurses dienen soll.
Diese Mittelschule soll uur in den drei untern Klassen lateinlos sein, in den
weitern drei Klassen das Latein obligatorisch betreiben, dagegen soll das
Englische auf die beiden letzten Klassen (mit je vier Stunden wöchentlich) be¬
schränkt werden und fakultativ sein. Es ist freilich nicht einzusehen, warum
nicht das umgekehrte Verhältnis angenommen worden ist, nämlich fakultatives
Latein in den beiden obersten Klassen und obligatorisches Englisch in drei
Klassen. Aber bis auf diesen einen Punkt, der immer die größte Schwierigkeit


Der verein für Schulreform

Berechtigungswesen sind seit dem Minister Altenstein, dem Geheimen Rate
Johannes Müller und dem Professor Angust Wolf in Halle die Ziele des
Gymnasiums gewaltsam in die Höhe getrieben worden, und das hat die Schul¬
bank so heiß gemacht, daß viele Väter ihre gesunden Kinder nicht daraus setzen
würden, wenn nicht die Berechtigungen waren.

Es ist natürlich, daß die Idee des Vereins für Schulreform in den Kreisen
der Gymnasiallehrer nur wenig Anklang findet und finden wird. Bei Neue¬
rungen hat das Standesinteresse fast immer bedeutenden Einfluß auf die
Meinung. Genug, wenn der Streit in den Grenzen maßvoller Erörterung
bleibt. Leider ist dies nicht immer der Fall. In mehr als derber Weise er¬
eifert sich der als Historiker und tüchtiger Altphilolog bekannte Gymnasial¬
direktor in Köln. Dr. Oskar Jäger, in seiner neuesten Streitschrift „Das
humanistische Gymnasium und die Petition um durchgreifende Schulreform"
gegen die Verkürzung der alten Sprachen. Der im Kampfe ergraute tapfere
Recke des Gymnasialwesens, der mit breitem Rücken und unsanften Ellenbogen-
stößen die Forderungen der modernen Bildung zurückzubannen sucht, wittert
hinter der Petition seinen alten Gegner, den deutschen Nealschulmännerverein,
und verfolgt diesen, der um der ganzen Sache ziemlich unschuldig ist, mit
Grobheiten, wie: platte Demagogie, alte Unehrlichkeit, Intrigue, Reklame,
Agitation auf der Landstraße, Lüge, Schwindel. Daun führt er die Schlag¬
wörter der Gymnasialpartei: Arbeitcnlerneu, Deukenlernen am Latein, Unab¬
hängigkeit der klassischen Sprachen vom Marktbedürfnis, Adel des Gymnasial¬
unterrichtes u. tgi. ins Treffen, wobei er zwar manche gute Betrachtung aus
tüchtiger Praxis heraus einfügt, doch immer mit heißen: Kopfe im Kampf¬
gewühl der Parteien stehend. Der Direktor des Realgymnasiums in Duisburg,
I)r. Steinhart, wehrt ihn in den letzten Mitteilungen an die Mitglieder des
deutscheu Nealschulmäunervereins mit Besonnenheit und feinem Takte ab, sodaß
man kaum noch in Zweifel sein kaun, auf welcher Seite die größere Sieges¬
gewißheit ist. Aber wie hier die Gegner, so regen sich auf andrer Seite auch
die Freunde, und in dieser Beziehung ist der Verein für Schulreform in Baiern
sehr merkwürdig. In der Einladungsschrift zu einer Generalversammlung am
22. Januar d. I. werden die Grundsätze des Vereins kurz angegeben. Das
Hauptgewicht legt dieser Verein auf die sechsklassige Mittelschule, die als Unter¬
bau für einen (dreiklassigen) Gymnasial- und Realgymnasialkurses dienen soll.
Diese Mittelschule soll uur in den drei untern Klassen lateinlos sein, in den
weitern drei Klassen das Latein obligatorisch betreiben, dagegen soll das
Englische auf die beiden letzten Klassen (mit je vier Stunden wöchentlich) be¬
schränkt werden und fakultativ sein. Es ist freilich nicht einzusehen, warum
nicht das umgekehrte Verhältnis angenommen worden ist, nämlich fakultatives
Latein in den beiden obersten Klassen und obligatorisches Englisch in drei
Klassen. Aber bis auf diesen einen Punkt, der immer die größte Schwierigkeit


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[0608] Der verein für Schulreform Berechtigungswesen sind seit dem Minister Altenstein, dem Geheimen Rate Johannes Müller und dem Professor Angust Wolf in Halle die Ziele des Gymnasiums gewaltsam in die Höhe getrieben worden, und das hat die Schul¬ bank so heiß gemacht, daß viele Väter ihre gesunden Kinder nicht daraus setzen würden, wenn nicht die Berechtigungen waren. Es ist natürlich, daß die Idee des Vereins für Schulreform in den Kreisen der Gymnasiallehrer nur wenig Anklang findet und finden wird. Bei Neue¬ rungen hat das Standesinteresse fast immer bedeutenden Einfluß auf die Meinung. Genug, wenn der Streit in den Grenzen maßvoller Erörterung bleibt. Leider ist dies nicht immer der Fall. In mehr als derber Weise er¬ eifert sich der als Historiker und tüchtiger Altphilolog bekannte Gymnasial¬ direktor in Köln. Dr. Oskar Jäger, in seiner neuesten Streitschrift „Das humanistische Gymnasium und die Petition um durchgreifende Schulreform" gegen die Verkürzung der alten Sprachen. Der im Kampfe ergraute tapfere Recke des Gymnasialwesens, der mit breitem Rücken und unsanften Ellenbogen- stößen die Forderungen der modernen Bildung zurückzubannen sucht, wittert hinter der Petition seinen alten Gegner, den deutschen Nealschulmännerverein, und verfolgt diesen, der um der ganzen Sache ziemlich unschuldig ist, mit Grobheiten, wie: platte Demagogie, alte Unehrlichkeit, Intrigue, Reklame, Agitation auf der Landstraße, Lüge, Schwindel. Daun führt er die Schlag¬ wörter der Gymnasialpartei: Arbeitcnlerneu, Deukenlernen am Latein, Unab¬ hängigkeit der klassischen Sprachen vom Marktbedürfnis, Adel des Gymnasial¬ unterrichtes u. tgi. ins Treffen, wobei er zwar manche gute Betrachtung aus tüchtiger Praxis heraus einfügt, doch immer mit heißen: Kopfe im Kampf¬ gewühl der Parteien stehend. Der Direktor des Realgymnasiums in Duisburg, I)r. Steinhart, wehrt ihn in den letzten Mitteilungen an die Mitglieder des deutscheu Nealschulmäunervereins mit Besonnenheit und feinem Takte ab, sodaß man kaum noch in Zweifel sein kaun, auf welcher Seite die größere Sieges¬ gewißheit ist. Aber wie hier die Gegner, so regen sich auf andrer Seite auch die Freunde, und in dieser Beziehung ist der Verein für Schulreform in Baiern sehr merkwürdig. In der Einladungsschrift zu einer Generalversammlung am 22. Januar d. I. werden die Grundsätze des Vereins kurz angegeben. Das Hauptgewicht legt dieser Verein auf die sechsklassige Mittelschule, die als Unter¬ bau für einen (dreiklassigen) Gymnasial- und Realgymnasialkurses dienen soll. Diese Mittelschule soll uur in den drei untern Klassen lateinlos sein, in den weitern drei Klassen das Latein obligatorisch betreiben, dagegen soll das Englische auf die beiden letzten Klassen (mit je vier Stunden wöchentlich) be¬ schränkt werden und fakultativ sein. Es ist freilich nicht einzusehen, warum nicht das umgekehrte Verhältnis angenommen worden ist, nämlich fakultatives Latein in den beiden obersten Klassen und obligatorisches Englisch in drei Klassen. Aber bis auf diesen einen Punkt, der immer die größte Schwierigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/608>, abgerufen am 25.08.2024.