Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.Die zukünftigen Parteien Daß sich aber dieser Prozeß vollziehe, werden alle, die ihr Vaterland lieben, Wenn es nnn wirklich so ist, wenn dieser Prozeß wirklich begonnen hat, Es nützt das auch gar nichts und ist überdies auch ganz unchristlich. Dies ist möglich bei einer Partei, die ein greifbares positives Programm Die zukünftigen Parteien Daß sich aber dieser Prozeß vollziehe, werden alle, die ihr Vaterland lieben, Wenn es nnn wirklich so ist, wenn dieser Prozeß wirklich begonnen hat, Es nützt das auch gar nichts und ist überdies auch ganz unchristlich. Dies ist möglich bei einer Partei, die ein greifbares positives Programm <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207241"/> <fw type="header" place="top"> Die zukünftigen Parteien</fw><lb/> <p xml:id="ID_1776" prev="#ID_1775"> Daß sich aber dieser Prozeß vollziehe, werden alle, die ihr Vaterland lieben,<lb/> aufs innigste wünschen. Und daß dieser doppelte Prozeß der Ausscheidung-<lb/> der demagogischen Elemente und der Ausgleichung zwffchen den ökonomischen<lb/> und den idealen Forderungen innerhalb der Partei bereits begonnen hat, in<lb/> der Weise, daß der Glaube an die idealen Güter allmählich wieder zum Durch¬<lb/> bruch gelangt und sich Macht verschafft, hierfür scheinen sich die Zeichen zu<lb/> mehren. Denn hat man nicht Stimmen ans dem sozialdemokratischen Lager<lb/> gehört, daß die religiösen Gefühle, in denen aller Idealismus doch die tiefsten<lb/> Wurzeln besitzt, nicht mehr Sache schnöden Angriffs und frecher Verneinung<lb/> seil? sollten? Stimmen, die die Ansicht, als ob die Sozialdemokratie die ethischen<lb/> Grundlagen der Familie antasten wolle, als ungerechtfertigte Vorwürfe zurück¬<lb/> weisen? Also in religiöser und sittlicher Beziehung ohne Zweifel ein Ab¬<lb/> wenden von der reinen Verneinung und eine wenn auch noch schwache und<lb/> schüchterne Neigung nach der positiven Seite hin. Und selbst ans politischem<lb/> Gebiet ist eine Versöhnung mit dem sozialen Kaisertum nicht ausgeschlossen,<lb/> ist die Hoffnung nicht unberechtigt, daß die Firma „Republik" an Glanz und<lb/> verführendem Schimmer verlieren und die Überzeugung sich Bahn brechen<lb/> werde, daß es nicht auf die Form, sondern ans den Geist ankomme, der sie<lb/> erfüllt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1777"> Wenn es nnn wirklich so ist, wenn dieser Prozeß wirklich begonnen hat,<lb/> so wäre doch offenbar nichts thörichter, einfältiger und kurzsichtiger, als wenn<lb/> von den Freunden des Vaterlandes mit roher, täppischer Hand zerstörend in<lb/> diesen Prozeß eingegriffen würde. Das geschieht aber, wenn mau in sinnloser<lb/> Weise der Sozialdemokratie alles Böse, alles Teuflische und Verwerfliche an¬<lb/> dichtet, was zwischen Himmel und Erde aufzufinden ist. Deu Svzialdemagogcu —<lb/> ja; aber nicht den Sozialdemokraten so obenhin. Sie mögen genug gesündigt<lb/> haben und noch sündigen; aber es verrät wenig Scharfblick und wenig<lb/> Gemüt, ohne weiteres alles in einen Topf zu werfen, um dann auf diesen nach<lb/> Lust und Kräften loszuschlagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1778"> Es nützt das auch gar nichts und ist überdies auch ganz unchristlich.<lb/> Soll sich der Christ nicht in Geduld und Langmut des Verirrten an¬<lb/> nehmen, um ihn auf deu rechten Weg zu lenken? Soll er uicht die leisesten<lb/> Anfänge vorsichtig benutzen und nie die Hoffnung schwinden lassen, ans fried¬<lb/> liche Weise die scheinbar Verlorenen wieder zu gewinnen? So in gemeinsamer<lb/> Arbeit dürften die Ziele zur Hebung der materiellen Lage des vierten Standes<lb/> zurecht gerückt und die rechten Wege für die Erreichung gefunden werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1779" next="#ID_1780"> Dies ist möglich bei einer Partei, die ein greifbares positives Programm<lb/> hat. Dort ist anzusetzen, dort ist das Thörichte, Unausführbare und sittlich<lb/> Ungerechtfertigte nachzuweisen, dort hat man es mit wirkliche» Mächten<lb/> zu thun, die bekämpft, zurückgewiesen und durch geeignetere ersetzt werden<lb/> können. Aber was ist mit einer Partei zu machen, deren Lebensziel ein un-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0596]
Die zukünftigen Parteien
Daß sich aber dieser Prozeß vollziehe, werden alle, die ihr Vaterland lieben,
aufs innigste wünschen. Und daß dieser doppelte Prozeß der Ausscheidung-
der demagogischen Elemente und der Ausgleichung zwffchen den ökonomischen
und den idealen Forderungen innerhalb der Partei bereits begonnen hat, in
der Weise, daß der Glaube an die idealen Güter allmählich wieder zum Durch¬
bruch gelangt und sich Macht verschafft, hierfür scheinen sich die Zeichen zu
mehren. Denn hat man nicht Stimmen ans dem sozialdemokratischen Lager
gehört, daß die religiösen Gefühle, in denen aller Idealismus doch die tiefsten
Wurzeln besitzt, nicht mehr Sache schnöden Angriffs und frecher Verneinung
seil? sollten? Stimmen, die die Ansicht, als ob die Sozialdemokratie die ethischen
Grundlagen der Familie antasten wolle, als ungerechtfertigte Vorwürfe zurück¬
weisen? Also in religiöser und sittlicher Beziehung ohne Zweifel ein Ab¬
wenden von der reinen Verneinung und eine wenn auch noch schwache und
schüchterne Neigung nach der positiven Seite hin. Und selbst ans politischem
Gebiet ist eine Versöhnung mit dem sozialen Kaisertum nicht ausgeschlossen,
ist die Hoffnung nicht unberechtigt, daß die Firma „Republik" an Glanz und
verführendem Schimmer verlieren und die Überzeugung sich Bahn brechen
werde, daß es nicht auf die Form, sondern ans den Geist ankomme, der sie
erfüllt.
Wenn es nnn wirklich so ist, wenn dieser Prozeß wirklich begonnen hat,
so wäre doch offenbar nichts thörichter, einfältiger und kurzsichtiger, als wenn
von den Freunden des Vaterlandes mit roher, täppischer Hand zerstörend in
diesen Prozeß eingegriffen würde. Das geschieht aber, wenn mau in sinnloser
Weise der Sozialdemokratie alles Böse, alles Teuflische und Verwerfliche an¬
dichtet, was zwischen Himmel und Erde aufzufinden ist. Deu Svzialdemagogcu —
ja; aber nicht den Sozialdemokraten so obenhin. Sie mögen genug gesündigt
haben und noch sündigen; aber es verrät wenig Scharfblick und wenig
Gemüt, ohne weiteres alles in einen Topf zu werfen, um dann auf diesen nach
Lust und Kräften loszuschlagen.
Es nützt das auch gar nichts und ist überdies auch ganz unchristlich.
Soll sich der Christ nicht in Geduld und Langmut des Verirrten an¬
nehmen, um ihn auf deu rechten Weg zu lenken? Soll er uicht die leisesten
Anfänge vorsichtig benutzen und nie die Hoffnung schwinden lassen, ans fried¬
liche Weise die scheinbar Verlorenen wieder zu gewinnen? So in gemeinsamer
Arbeit dürften die Ziele zur Hebung der materiellen Lage des vierten Standes
zurecht gerückt und die rechten Wege für die Erreichung gefunden werden.
Dies ist möglich bei einer Partei, die ein greifbares positives Programm
hat. Dort ist anzusetzen, dort ist das Thörichte, Unausführbare und sittlich
Ungerechtfertigte nachzuweisen, dort hat man es mit wirkliche» Mächten
zu thun, die bekämpft, zurückgewiesen und durch geeignetere ersetzt werden
können. Aber was ist mit einer Partei zu machen, deren Lebensziel ein un-
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