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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Wie ich Herrn Mathem kennen lernte

Das Letztere konnte ich nun unmöglich mit gutem Gewissen verneinen,
suchte aber doch in möglichst schonender Weise Mathem zu überzeugen, daß
Jagd wohl schwerlich als ein eigentliches Unterrichtsfach für die kleinen Prinzen
betrachtet werden würde, die er sich offenbar als richtige Märchenprinzen vor¬
stellte, die nichts zu thun haben, als mit Kronen ans dem Kopfe und dem
Degen an der Seite herumzuschlendern.

Er schien etwas niedergeschlagen durch das wenig günstige Prognostikon,
das ich ihm in Bezug auf die Verwirklichung seiner sinnreichen Erziehnngs-
Plüne hatte stellen müssen. Doch erholte er sich überraschend schnell von feiner
Enttäuschung und sagte: Übrigens habe ich noch an etwas andres gedacht.

Nun, und das wäre?

Glauben Sie nicht, daß man mir einige Hunde für Stubendressnr anver¬
trauen würde?

Der Übergang von den Prinzen auf die Hunde tum allerdings etwas un¬
vermittelt. Aber es wurde mir immer klarer, daß Mathem im ganzen ge¬
nommen nicht ohne Ideen war, denn ehe wir die Pferdebahn erreichten, hatte er
die Möglichkeit, sich eine Existenz zu schaffen, in staunenswerter Mannichfaltigkeit
entwickelt.

Ehe wir Abschied von einander nahmen, versprach ich ihm, zu thun, was
möglich wäre, um eine oder die andre bescheidne Stellung für ihn ausfindig
zu machen, und ich hielt auch Wort. Die eingezogueu Erkundigungen be¬
stätigten meine Ansichten. Alle waren darüber einig, daß er eine durch und
durch ehrliche Haut sei, daß er sich aber auf Grund des ihm angebornen
Widerwillens gegen jede Arbeit überall unmöglich mache. Ich wollte ihn aber
nicht aufgeben, und da ein mir bekannter Großhändler einen zuverlässigen
Mann suchte, der vormittags Gelder einzukassircn hatte, gelang es mir, Mathem
diese Stelle zu verschaffen.

Ich war so froh darüber, daß ich mich entschloß, Mathem am Nachmittag
in seiner Wohnung aufzusuchen, obwohl es schlechtes Dezemberwetter war,
um ihm die, wie ich annehmen mußte, höchst angenehme Nachricht brühwarm
zu überbringen.

Nachdem ich mir bei der Wirtin, Frau Hebamme Lund, die im Parterre
wohnte, das Zimmer genauer hatte bezeichnen lassen, kletterte ich bis unters
Dach, fand richtig die Thür und klopfte an.

Keine Antwort. Erneutes Klopfen -- noch keine Antwort. Da öffnete
ich die Thür ohne Erlaubnis.

Mathem lag im Bett im tiefsten Schlafe. Auf meinen Guten Tag öffnete
er die Augen, starrte mich an, gähnte und fügte schließlich: Ah, Sie sind es?
willkommen!

Sind Sie krank? fragte ich teilnehmend.

Nein, gottlob! nicht. Warum fragen Sie so?


Grenzboten I 1890 72
Wie ich Herrn Mathem kennen lernte

Das Letztere konnte ich nun unmöglich mit gutem Gewissen verneinen,
suchte aber doch in möglichst schonender Weise Mathem zu überzeugen, daß
Jagd wohl schwerlich als ein eigentliches Unterrichtsfach für die kleinen Prinzen
betrachtet werden würde, die er sich offenbar als richtige Märchenprinzen vor¬
stellte, die nichts zu thun haben, als mit Kronen ans dem Kopfe und dem
Degen an der Seite herumzuschlendern.

Er schien etwas niedergeschlagen durch das wenig günstige Prognostikon,
das ich ihm in Bezug auf die Verwirklichung seiner sinnreichen Erziehnngs-
Plüne hatte stellen müssen. Doch erholte er sich überraschend schnell von feiner
Enttäuschung und sagte: Übrigens habe ich noch an etwas andres gedacht.

Nun, und das wäre?

Glauben Sie nicht, daß man mir einige Hunde für Stubendressnr anver¬
trauen würde?

Der Übergang von den Prinzen auf die Hunde tum allerdings etwas un¬
vermittelt. Aber es wurde mir immer klarer, daß Mathem im ganzen ge¬
nommen nicht ohne Ideen war, denn ehe wir die Pferdebahn erreichten, hatte er
die Möglichkeit, sich eine Existenz zu schaffen, in staunenswerter Mannichfaltigkeit
entwickelt.

Ehe wir Abschied von einander nahmen, versprach ich ihm, zu thun, was
möglich wäre, um eine oder die andre bescheidne Stellung für ihn ausfindig
zu machen, und ich hielt auch Wort. Die eingezogueu Erkundigungen be¬
stätigten meine Ansichten. Alle waren darüber einig, daß er eine durch und
durch ehrliche Haut sei, daß er sich aber auf Grund des ihm angebornen
Widerwillens gegen jede Arbeit überall unmöglich mache. Ich wollte ihn aber
nicht aufgeben, und da ein mir bekannter Großhändler einen zuverlässigen
Mann suchte, der vormittags Gelder einzukassircn hatte, gelang es mir, Mathem
diese Stelle zu verschaffen.

Ich war so froh darüber, daß ich mich entschloß, Mathem am Nachmittag
in seiner Wohnung aufzusuchen, obwohl es schlechtes Dezemberwetter war,
um ihm die, wie ich annehmen mußte, höchst angenehme Nachricht brühwarm
zu überbringen.

Nachdem ich mir bei der Wirtin, Frau Hebamme Lund, die im Parterre
wohnte, das Zimmer genauer hatte bezeichnen lassen, kletterte ich bis unters
Dach, fand richtig die Thür und klopfte an.

Keine Antwort. Erneutes Klopfen — noch keine Antwort. Da öffnete
ich die Thür ohne Erlaubnis.

Mathem lag im Bett im tiefsten Schlafe. Auf meinen Guten Tag öffnete
er die Augen, starrte mich an, gähnte und fügte schließlich: Ah, Sie sind es?
willkommen!

Sind Sie krank? fragte ich teilnehmend.

Nein, gottlob! nicht. Warum fragen Sie so?


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[0577] Wie ich Herrn Mathem kennen lernte Das Letztere konnte ich nun unmöglich mit gutem Gewissen verneinen, suchte aber doch in möglichst schonender Weise Mathem zu überzeugen, daß Jagd wohl schwerlich als ein eigentliches Unterrichtsfach für die kleinen Prinzen betrachtet werden würde, die er sich offenbar als richtige Märchenprinzen vor¬ stellte, die nichts zu thun haben, als mit Kronen ans dem Kopfe und dem Degen an der Seite herumzuschlendern. Er schien etwas niedergeschlagen durch das wenig günstige Prognostikon, das ich ihm in Bezug auf die Verwirklichung seiner sinnreichen Erziehnngs- Plüne hatte stellen müssen. Doch erholte er sich überraschend schnell von feiner Enttäuschung und sagte: Übrigens habe ich noch an etwas andres gedacht. Nun, und das wäre? Glauben Sie nicht, daß man mir einige Hunde für Stubendressnr anver¬ trauen würde? Der Übergang von den Prinzen auf die Hunde tum allerdings etwas un¬ vermittelt. Aber es wurde mir immer klarer, daß Mathem im ganzen ge¬ nommen nicht ohne Ideen war, denn ehe wir die Pferdebahn erreichten, hatte er die Möglichkeit, sich eine Existenz zu schaffen, in staunenswerter Mannichfaltigkeit entwickelt. Ehe wir Abschied von einander nahmen, versprach ich ihm, zu thun, was möglich wäre, um eine oder die andre bescheidne Stellung für ihn ausfindig zu machen, und ich hielt auch Wort. Die eingezogueu Erkundigungen be¬ stätigten meine Ansichten. Alle waren darüber einig, daß er eine durch und durch ehrliche Haut sei, daß er sich aber auf Grund des ihm angebornen Widerwillens gegen jede Arbeit überall unmöglich mache. Ich wollte ihn aber nicht aufgeben, und da ein mir bekannter Großhändler einen zuverlässigen Mann suchte, der vormittags Gelder einzukassircn hatte, gelang es mir, Mathem diese Stelle zu verschaffen. Ich war so froh darüber, daß ich mich entschloß, Mathem am Nachmittag in seiner Wohnung aufzusuchen, obwohl es schlechtes Dezemberwetter war, um ihm die, wie ich annehmen mußte, höchst angenehme Nachricht brühwarm zu überbringen. Nachdem ich mir bei der Wirtin, Frau Hebamme Lund, die im Parterre wohnte, das Zimmer genauer hatte bezeichnen lassen, kletterte ich bis unters Dach, fand richtig die Thür und klopfte an. Keine Antwort. Erneutes Klopfen — noch keine Antwort. Da öffnete ich die Thür ohne Erlaubnis. Mathem lag im Bett im tiefsten Schlafe. Auf meinen Guten Tag öffnete er die Augen, starrte mich an, gähnte und fügte schließlich: Ah, Sie sind es? willkommen! Sind Sie krank? fragte ich teilnehmend. Nein, gottlob! nicht. Warum fragen Sie so? Grenzboten I 1890 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/577>, abgerufen am 23.07.2024.