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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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wiener Volksstücke

seine Züge bewahrt, die auf ihre Herkunft deuten. Da ist zunächst die auf¬
fallend abgeschmackte Kleidung, die in ihren Einzelheiten von Jahr zu Jahr
wechselt, die abgebrochene, näselnde Sprache, der eigentümliche Gang -- mit
vorgeneigtem Oberleib und Ansehen der Kniee, der Gruß -- der Oberarm
wird wagerecht ausgestreckt, der Uuternm schnellt mit dem Hute senkrecht hinab,
bis er mit dem Oberarm in einer Ebene liegt und mit ihm einen rechten Winkel
bildet, endlich das Händeschütteln -- der Arm wird in Brusthöhe in einen
rechten Winkel gebeugt. Aber uicht diese typischen Erscheiuuuge" waren es, die
dem Stück einen so großen Erfolg verschafft haben; sie wirken ja sehr komisch,
wenn sie auf der Bühne erscheinen, aber ein dauerndes Interesse können sie
nicht erregen, dazu sind sie zu mnrivnettenhaft. Nun ist aber da ein reicher
Fabrikantensohu, der ein Gigerl werden Null, doch das lebhafte Wiener Blut,
der urwüchsige Dialekt des "Brillauteugrunds", ungeborne Gutmütigkeit und
die Nachwirkungen einer ehrbar-spießbürgerlichen Erziehung schlagen ihm alle
Augenblicke ins Genick und verraten, daß in dieser Puppe doch noch etwas von
einem Menschen steckt. Seine Genossen tadeln ihn, er nimmt den Tadel reu¬
mütig hin, aber wie sehr er sich auch bemüht, es gelingt ihm nicht, ein tadel¬
loses Gigerl zu werden. Diese Figur, durchaus wienerisch und außerhalb
Wiens kaum zu verstehen, ist eine der hübschesten des Stückes.

Die Handlung der "Gigerln" ist im Grnnde nichts weniger als neu. Daß
ein Gegenstand, an dem irgend eiuer Person sehr viel gelegen ist, ein Bild,
ein Brief, ein Kleidungsstück, ein Kind -- abhanden gekommen ist, krampfhaft
gesucht wird, und mich vielen Irrfahrten, Mißverständnissen, Abenteuern der
Suchende endlich ans Ziel kommt -- wie oft ist dieses Motiv schon ver¬
wendet worden! mit besonderen Glück von Labiche, dann von unzähligen Nach¬
ahmern. Diesmal ist es ein Lottozettel, dem ein ehrsamer Hntmachermeister
und Pantoffelheld nachjagt. Seine Frau hält ihn sehr knapp, sie darf nicht
wissen, daß er im kleinen Lotto spielt, so steckt er den Zettel in das Futter
eines alten, längst aus der Mode gekommenen hellgrauen Zylinderhutes.
Eines Tages erscheint ein Gigerl im ^aber. Er ist in Paris und London
gewesen, eine neue, ganz unerhörte Hutfvrm aufzufinden -- vergebens! Er
kehrt von seiner Entdeckungsreise unverrichteter Sache wieder zurück. Dn er¬
innert er sich, im Schaufenster einer Hnthandlung der Borstadt vor Jahren
einen Zylinder von höchst ausfallender Form gesehen zu haben, er begiebt sich
sofort auf die Suche, findet die Handlung und läßt sich von der allein an¬
wesenden Frau verschiedene alte Hüte zeigen; endlich fördert sie aus dem
untersten Winkel des Schrankes den Hellgrauen Zylinder zu Tage, worin ihr
Manu den Lottvzettel verborgen hat. Unser Gigerl ist entzückt, kauft deu Hut
und eilt triumphirend zu seinen Genosse". Gleich darauf empfängt der Hut-
"weder die Nachricht, seine Nummern seien gezogen worden, er will den Zettel
'Wien und entdeckt das Unglück. Nun beginnt die abenteuerliche Jagd, die


wiener Volksstücke

seine Züge bewahrt, die auf ihre Herkunft deuten. Da ist zunächst die auf¬
fallend abgeschmackte Kleidung, die in ihren Einzelheiten von Jahr zu Jahr
wechselt, die abgebrochene, näselnde Sprache, der eigentümliche Gang — mit
vorgeneigtem Oberleib und Ansehen der Kniee, der Gruß — der Oberarm
wird wagerecht ausgestreckt, der Uuternm schnellt mit dem Hute senkrecht hinab,
bis er mit dem Oberarm in einer Ebene liegt und mit ihm einen rechten Winkel
bildet, endlich das Händeschütteln — der Arm wird in Brusthöhe in einen
rechten Winkel gebeugt. Aber uicht diese typischen Erscheiuuuge» waren es, die
dem Stück einen so großen Erfolg verschafft haben; sie wirken ja sehr komisch,
wenn sie auf der Bühne erscheinen, aber ein dauerndes Interesse können sie
nicht erregen, dazu sind sie zu mnrivnettenhaft. Nun ist aber da ein reicher
Fabrikantensohu, der ein Gigerl werden Null, doch das lebhafte Wiener Blut,
der urwüchsige Dialekt des „Brillauteugrunds", ungeborne Gutmütigkeit und
die Nachwirkungen einer ehrbar-spießbürgerlichen Erziehung schlagen ihm alle
Augenblicke ins Genick und verraten, daß in dieser Puppe doch noch etwas von
einem Menschen steckt. Seine Genossen tadeln ihn, er nimmt den Tadel reu¬
mütig hin, aber wie sehr er sich auch bemüht, es gelingt ihm nicht, ein tadel¬
loses Gigerl zu werden. Diese Figur, durchaus wienerisch und außerhalb
Wiens kaum zu verstehen, ist eine der hübschesten des Stückes.

Die Handlung der „Gigerln" ist im Grnnde nichts weniger als neu. Daß
ein Gegenstand, an dem irgend eiuer Person sehr viel gelegen ist, ein Bild,
ein Brief, ein Kleidungsstück, ein Kind — abhanden gekommen ist, krampfhaft
gesucht wird, und mich vielen Irrfahrten, Mißverständnissen, Abenteuern der
Suchende endlich ans Ziel kommt — wie oft ist dieses Motiv schon ver¬
wendet worden! mit besonderen Glück von Labiche, dann von unzähligen Nach¬
ahmern. Diesmal ist es ein Lottozettel, dem ein ehrsamer Hntmachermeister
und Pantoffelheld nachjagt. Seine Frau hält ihn sehr knapp, sie darf nicht
wissen, daß er im kleinen Lotto spielt, so steckt er den Zettel in das Futter
eines alten, längst aus der Mode gekommenen hellgrauen Zylinderhutes.
Eines Tages erscheint ein Gigerl im ^aber. Er ist in Paris und London
gewesen, eine neue, ganz unerhörte Hutfvrm aufzufinden — vergebens! Er
kehrt von seiner Entdeckungsreise unverrichteter Sache wieder zurück. Dn er¬
innert er sich, im Schaufenster einer Hnthandlung der Borstadt vor Jahren
einen Zylinder von höchst ausfallender Form gesehen zu haben, er begiebt sich
sofort auf die Suche, findet die Handlung und läßt sich von der allein an¬
wesenden Frau verschiedene alte Hüte zeigen; endlich fördert sie aus dem
untersten Winkel des Schrankes den Hellgrauen Zylinder zu Tage, worin ihr
Manu den Lottvzettel verborgen hat. Unser Gigerl ist entzückt, kauft deu Hut
und eilt triumphirend zu seinen Genosse». Gleich darauf empfängt der Hut-
»weder die Nachricht, seine Nummern seien gezogen worden, er will den Zettel
'Wien und entdeckt das Unglück. Nun beginnt die abenteuerliche Jagd, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/571>, abgerufen am 25.08.2024.