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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Neue Romane

aus hat er seinen Humor gefunden, der überlegen auf die im sinnlichen Streben
sich aufzehrende Menschheit herabschaut, und dem nichts lieber ist, als zu zeigen,
wie groß, wie zahlreich und wie heiter die Widersprüche in dieser jämmerlichen
und doch so niemals auszudenkenden, also doch nicht auszugemeßenden Welt
sind. Von der Höhe dieses der selbstvergessener künstlerischen Naivität ganz
entgegengesetzten, stets seiner selbst bewußten Geistes liebt es Raabe, seine Er-
zählungen zu schreiben, in denen eben darum übermütig mit dem Leser gespielt
wird (denn der Dichter ist sich ja fortwährend des Dichtens bewußt), und in
denen daher so viel Sorgfalt auf die langen Reden der Figuren verwendet
wird (denn auf dieser Hohe des sich selbst genießenden Betrachtens tritt das
Interesse an den Thaten und Handlungen der Menschen zurück). Das Kunst¬
stück des Dichters muß nun darin bestehen, trotz dieser fortwährenden Zer¬
störung des Scheins das dichterische Bild doch unzerstört zu lasten, die not¬
wendige sachliche Wirkung der Charaktere und Handlungen nicht zu vergessen,
kurz: nicht aufzuhören, Poet zu sein. Nicht immer ist dies Raabe völlig ge¬
lungen, und nur langsam scheint er diesen seinen ganz eigentümlichen Stil ge¬
funden zu haben.

In dem Roman der "Leute aus dein Walde" besaß er ihn gewiß noch
nicht. Die Fabel selbst hat noch keine Spur von jenem humoristischen
Charakter der spätern Rcmbischen Erfindungen, sie ist ganz romanhaft; die
humoristischen Elemente der Erzählung kleben alle den sonderbaren Käuzen an,
die in der Geschichte zu thun haben. Mau könnte den Roman mich einen
pädagogischen, einen Vildungsroman nennen, wie sie zahlreich genug bei uns
geschrieben worden sind; aber damit würde man mit allen zehn Fingern auf
seine künstlerische Schwäche hinweisen. Wir wollen seine Handlung nur kurz
skizziren. Sie spielt in den vierziger Jahren unsers Jahrhunderts; Ort: ver¬
mutlich Berlin und Pommern, wo man sich das Gut Poppenhagen denken
muß. Ein in der Waldeinsamkeit und bei einigem Pastorenunterricht aufge¬
wachsener Junge von achtzehn Jahren, Robert Wolf aus Poppenhagen, hat
der nicht gerade in dem besten Rufe stehenden Schauspielerin Eva Dornbluth,
seiner Mitschülerin auf dem Dorfe, eine lärmende Eifersuchtsszene in ihrer
eignen prächtigen Wohnung gemacht. Er behauptet, Ansprüche auf ihre Liebe
zu besitzen, die sie leugnet; er prügelt sogar ihren Liebhaber und Gönner, den
frivolen Lebemann Leon von Poppen, durch und wird deshalb auf die Polizei
gebracht. Beim Verhör macht sein charaktervoll naives Wesen auf den philo¬
sophischen Protokollschreiber Friedrich Fiebiger einen so guten Eindruck, daß
dieser -- überdies noch ein Landsmann Roberts -- sich entschließt, den
prächtigen, aber von aller Welt und allen Mitteln verlassenen und entblößten
Burschen zu sich zu nehmen und zu einem tüchtigen Manne zu erziehen. Dieser
Anfang der Geschichte ist ganz vorzüglich und das beste an ihr. Nun aber
zersplittert sich das Interesse des Erzählers auf eine Reihe von Sonderlingen,


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aus hat er seinen Humor gefunden, der überlegen auf die im sinnlichen Streben
sich aufzehrende Menschheit herabschaut, und dem nichts lieber ist, als zu zeigen,
wie groß, wie zahlreich und wie heiter die Widersprüche in dieser jämmerlichen
und doch so niemals auszudenkenden, also doch nicht auszugemeßenden Welt
sind. Von der Höhe dieses der selbstvergessener künstlerischen Naivität ganz
entgegengesetzten, stets seiner selbst bewußten Geistes liebt es Raabe, seine Er-
zählungen zu schreiben, in denen eben darum übermütig mit dem Leser gespielt
wird (denn der Dichter ist sich ja fortwährend des Dichtens bewußt), und in
denen daher so viel Sorgfalt auf die langen Reden der Figuren verwendet
wird (denn auf dieser Hohe des sich selbst genießenden Betrachtens tritt das
Interesse an den Thaten und Handlungen der Menschen zurück). Das Kunst¬
stück des Dichters muß nun darin bestehen, trotz dieser fortwährenden Zer¬
störung des Scheins das dichterische Bild doch unzerstört zu lasten, die not¬
wendige sachliche Wirkung der Charaktere und Handlungen nicht zu vergessen,
kurz: nicht aufzuhören, Poet zu sein. Nicht immer ist dies Raabe völlig ge¬
lungen, und nur langsam scheint er diesen seinen ganz eigentümlichen Stil ge¬
funden zu haben.

In dem Roman der „Leute aus dein Walde" besaß er ihn gewiß noch
nicht. Die Fabel selbst hat noch keine Spur von jenem humoristischen
Charakter der spätern Rcmbischen Erfindungen, sie ist ganz romanhaft; die
humoristischen Elemente der Erzählung kleben alle den sonderbaren Käuzen an,
die in der Geschichte zu thun haben. Mau könnte den Roman mich einen
pädagogischen, einen Vildungsroman nennen, wie sie zahlreich genug bei uns
geschrieben worden sind; aber damit würde man mit allen zehn Fingern auf
seine künstlerische Schwäche hinweisen. Wir wollen seine Handlung nur kurz
skizziren. Sie spielt in den vierziger Jahren unsers Jahrhunderts; Ort: ver¬
mutlich Berlin und Pommern, wo man sich das Gut Poppenhagen denken
muß. Ein in der Waldeinsamkeit und bei einigem Pastorenunterricht aufge¬
wachsener Junge von achtzehn Jahren, Robert Wolf aus Poppenhagen, hat
der nicht gerade in dem besten Rufe stehenden Schauspielerin Eva Dornbluth,
seiner Mitschülerin auf dem Dorfe, eine lärmende Eifersuchtsszene in ihrer
eignen prächtigen Wohnung gemacht. Er behauptet, Ansprüche auf ihre Liebe
zu besitzen, die sie leugnet; er prügelt sogar ihren Liebhaber und Gönner, den
frivolen Lebemann Leon von Poppen, durch und wird deshalb auf die Polizei
gebracht. Beim Verhör macht sein charaktervoll naives Wesen auf den philo¬
sophischen Protokollschreiber Friedrich Fiebiger einen so guten Eindruck, daß
dieser — überdies noch ein Landsmann Roberts — sich entschließt, den
prächtigen, aber von aller Welt und allen Mitteln verlassenen und entblößten
Burschen zu sich zu nehmen und zu einem tüchtigen Manne zu erziehen. Dieser
Anfang der Geschichte ist ganz vorzüglich und das beste an ihr. Nun aber
zersplittert sich das Interesse des Erzählers auf eine Reihe von Sonderlingen,


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[0564] Neue Romane aus hat er seinen Humor gefunden, der überlegen auf die im sinnlichen Streben sich aufzehrende Menschheit herabschaut, und dem nichts lieber ist, als zu zeigen, wie groß, wie zahlreich und wie heiter die Widersprüche in dieser jämmerlichen und doch so niemals auszudenkenden, also doch nicht auszugemeßenden Welt sind. Von der Höhe dieses der selbstvergessener künstlerischen Naivität ganz entgegengesetzten, stets seiner selbst bewußten Geistes liebt es Raabe, seine Er- zählungen zu schreiben, in denen eben darum übermütig mit dem Leser gespielt wird (denn der Dichter ist sich ja fortwährend des Dichtens bewußt), und in denen daher so viel Sorgfalt auf die langen Reden der Figuren verwendet wird (denn auf dieser Hohe des sich selbst genießenden Betrachtens tritt das Interesse an den Thaten und Handlungen der Menschen zurück). Das Kunst¬ stück des Dichters muß nun darin bestehen, trotz dieser fortwährenden Zer¬ störung des Scheins das dichterische Bild doch unzerstört zu lasten, die not¬ wendige sachliche Wirkung der Charaktere und Handlungen nicht zu vergessen, kurz: nicht aufzuhören, Poet zu sein. Nicht immer ist dies Raabe völlig ge¬ lungen, und nur langsam scheint er diesen seinen ganz eigentümlichen Stil ge¬ funden zu haben. In dem Roman der „Leute aus dein Walde" besaß er ihn gewiß noch nicht. Die Fabel selbst hat noch keine Spur von jenem humoristischen Charakter der spätern Rcmbischen Erfindungen, sie ist ganz romanhaft; die humoristischen Elemente der Erzählung kleben alle den sonderbaren Käuzen an, die in der Geschichte zu thun haben. Mau könnte den Roman mich einen pädagogischen, einen Vildungsroman nennen, wie sie zahlreich genug bei uns geschrieben worden sind; aber damit würde man mit allen zehn Fingern auf seine künstlerische Schwäche hinweisen. Wir wollen seine Handlung nur kurz skizziren. Sie spielt in den vierziger Jahren unsers Jahrhunderts; Ort: ver¬ mutlich Berlin und Pommern, wo man sich das Gut Poppenhagen denken muß. Ein in der Waldeinsamkeit und bei einigem Pastorenunterricht aufge¬ wachsener Junge von achtzehn Jahren, Robert Wolf aus Poppenhagen, hat der nicht gerade in dem besten Rufe stehenden Schauspielerin Eva Dornbluth, seiner Mitschülerin auf dem Dorfe, eine lärmende Eifersuchtsszene in ihrer eignen prächtigen Wohnung gemacht. Er behauptet, Ansprüche auf ihre Liebe zu besitzen, die sie leugnet; er prügelt sogar ihren Liebhaber und Gönner, den frivolen Lebemann Leon von Poppen, durch und wird deshalb auf die Polizei gebracht. Beim Verhör macht sein charaktervoll naives Wesen auf den philo¬ sophischen Protokollschreiber Friedrich Fiebiger einen so guten Eindruck, daß dieser — überdies noch ein Landsmann Roberts — sich entschließt, den prächtigen, aber von aller Welt und allen Mitteln verlassenen und entblößten Burschen zu sich zu nehmen und zu einem tüchtigen Manne zu erziehen. Dieser Anfang der Geschichte ist ganz vorzüglich und das beste an ihr. Nun aber zersplittert sich das Interesse des Erzählers auf eine Reihe von Sonderlingen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/564>, abgerufen am 23.07.2024.