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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Neue Romane

erobern. Also el" Kampf um die Freiheit des Geistes und des Leibes, ein
Teil der hundertjährigen Kämpfe zwischen Bürgertum und freibenterischem
Adel, ein Kampf zwischen Mittelalter und Neuzeit ans der ruhmreichsten Zeit
des deutschen Volkslebens wird uns geschildert. Mit Begeisterung hat sich
der Dichter in die Vergangenheit vertieft. Sein Herz steht natürlich auf
Seiten der Protestanten. Das ehrenfeste Bürgertum schildert er liebevoll, mit
satirischer Kraft den feigen und üppigen katholischen Klerus, mit feiner Ein¬
sicht die damals zuerst auftauchenden Künstler der Politik vom Schlage eines
Moritz von Sachsen: echte Renaissancemenschen. Vor Randes Phantasie er¬
steht die Vergangenheit in allen ihren Lebensformen mit sinnlich greifbarer
Macht: er sieht die Landsknechte in ihren prahlerischer Kleidern, er sieht in
das Innere der Bürgerhäuser, er sieht die bittere Armut des Vanernvolkes.
Von fesselnder Lebendigkeit sind die Bilder des Kriegslebens, die Schilderungen
der Schlachten und Scharmützel zwischen den Magdeburgern und ihren Be¬
lagerern, die Schilderung des Brandes der Neustadt ucich dem Verrat; jede
Figur steht sicher und kräftig da, man hat seine Freude an all den mannich-
faltigen Charakteren.

In der Mitte der Erzählung steht das Haus des Ratsherrn Horn, eines
bis zur Ungerechtigkeit gerechten Mannes. Sein Sohn Markus Horn ist, wie
so mancher andre Student jener Zeit, von der Universität weg in den Krieg
gelaufen, zu den mit Recht berüchtigten Landsknechten. Viele Jahre lang
hat er nichts von sich hören lassen, hat für verschollen gegolten, und der alte
Horn hat ihn aus seinem Herzen gestrichen zum schweren Leidwesen seiner
guten Frau Regula, die sich stets nach ihrem geliebten einzigen Sohne sehnte.
Nun, bei drohender Gefahr, kehrt der Fähnrich Markus Horn mit einem
Häuflein andrer Magdeburger Kinder in die geliebte Heimat zurück, um in
ihrem Heere zu dienen. Er hofft reuig Aufnahme bei seinen schwer gekränkten
Eltern zu finden, der erbitterte Vater aber weist ihm hart die Thür. Aber
während der dreizehnmonatlichem Belagerung findet Markus Gelegenheit sich
auszuzeichnen, nach und nach nähern sich Vater und Sohn, und es kommt
zur Versöhnung.

Dies die novellistische Mitte der an Figuren und Ereignissen sehr reichen
Geschichte. Die Erzählungswcise Randes weist schon hier einige von den
Fehlern auf, die er in den spätern Werken nicht abgelegt hat. Erstens läßt
er sich von seinem rein wissenschaftlichen Interesse, von seiner Freude an der
zeitgenössischen Chronik, die seiner Erzählung zu Grnnde liegt, verleiten, uns
ausführlich und in gelegentlichen Zitaten Teile seiner Quelle mitten im dichte¬
rischen Text mitzuteilen, sodaß die stilistische Einheit der Darstellung gänzlich
verloren geht; sogar litterargeschichtliche Notizen über die Behandlung desselben
Stoffes durch Dichter des siebzehnten Jahrhunderts werden uns nicht erspart.
Zuweilen guckt das Lächeln der romantischen Ironie ans den Zügen des Er-


Neue Romane

erobern. Also el» Kampf um die Freiheit des Geistes und des Leibes, ein
Teil der hundertjährigen Kämpfe zwischen Bürgertum und freibenterischem
Adel, ein Kampf zwischen Mittelalter und Neuzeit ans der ruhmreichsten Zeit
des deutschen Volkslebens wird uns geschildert. Mit Begeisterung hat sich
der Dichter in die Vergangenheit vertieft. Sein Herz steht natürlich auf
Seiten der Protestanten. Das ehrenfeste Bürgertum schildert er liebevoll, mit
satirischer Kraft den feigen und üppigen katholischen Klerus, mit feiner Ein¬
sicht die damals zuerst auftauchenden Künstler der Politik vom Schlage eines
Moritz von Sachsen: echte Renaissancemenschen. Vor Randes Phantasie er¬
steht die Vergangenheit in allen ihren Lebensformen mit sinnlich greifbarer
Macht: er sieht die Landsknechte in ihren prahlerischer Kleidern, er sieht in
das Innere der Bürgerhäuser, er sieht die bittere Armut des Vanernvolkes.
Von fesselnder Lebendigkeit sind die Bilder des Kriegslebens, die Schilderungen
der Schlachten und Scharmützel zwischen den Magdeburgern und ihren Be¬
lagerern, die Schilderung des Brandes der Neustadt ucich dem Verrat; jede
Figur steht sicher und kräftig da, man hat seine Freude an all den mannich-
faltigen Charakteren.

In der Mitte der Erzählung steht das Haus des Ratsherrn Horn, eines
bis zur Ungerechtigkeit gerechten Mannes. Sein Sohn Markus Horn ist, wie
so mancher andre Student jener Zeit, von der Universität weg in den Krieg
gelaufen, zu den mit Recht berüchtigten Landsknechten. Viele Jahre lang
hat er nichts von sich hören lassen, hat für verschollen gegolten, und der alte
Horn hat ihn aus seinem Herzen gestrichen zum schweren Leidwesen seiner
guten Frau Regula, die sich stets nach ihrem geliebten einzigen Sohne sehnte.
Nun, bei drohender Gefahr, kehrt der Fähnrich Markus Horn mit einem
Häuflein andrer Magdeburger Kinder in die geliebte Heimat zurück, um in
ihrem Heere zu dienen. Er hofft reuig Aufnahme bei seinen schwer gekränkten
Eltern zu finden, der erbitterte Vater aber weist ihm hart die Thür. Aber
während der dreizehnmonatlichem Belagerung findet Markus Gelegenheit sich
auszuzeichnen, nach und nach nähern sich Vater und Sohn, und es kommt
zur Versöhnung.

Dies die novellistische Mitte der an Figuren und Ereignissen sehr reichen
Geschichte. Die Erzählungswcise Randes weist schon hier einige von den
Fehlern auf, die er in den spätern Werken nicht abgelegt hat. Erstens läßt
er sich von seinem rein wissenschaftlichen Interesse, von seiner Freude an der
zeitgenössischen Chronik, die seiner Erzählung zu Grnnde liegt, verleiten, uns
ausführlich und in gelegentlichen Zitaten Teile seiner Quelle mitten im dichte¬
rischen Text mitzuteilen, sodaß die stilistische Einheit der Darstellung gänzlich
verloren geht; sogar litterargeschichtliche Notizen über die Behandlung desselben
Stoffes durch Dichter des siebzehnten Jahrhunderts werden uns nicht erspart.
Zuweilen guckt das Lächeln der romantischen Ironie ans den Zügen des Er-


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[0562] Neue Romane erobern. Also el» Kampf um die Freiheit des Geistes und des Leibes, ein Teil der hundertjährigen Kämpfe zwischen Bürgertum und freibenterischem Adel, ein Kampf zwischen Mittelalter und Neuzeit ans der ruhmreichsten Zeit des deutschen Volkslebens wird uns geschildert. Mit Begeisterung hat sich der Dichter in die Vergangenheit vertieft. Sein Herz steht natürlich auf Seiten der Protestanten. Das ehrenfeste Bürgertum schildert er liebevoll, mit satirischer Kraft den feigen und üppigen katholischen Klerus, mit feiner Ein¬ sicht die damals zuerst auftauchenden Künstler der Politik vom Schlage eines Moritz von Sachsen: echte Renaissancemenschen. Vor Randes Phantasie er¬ steht die Vergangenheit in allen ihren Lebensformen mit sinnlich greifbarer Macht: er sieht die Landsknechte in ihren prahlerischer Kleidern, er sieht in das Innere der Bürgerhäuser, er sieht die bittere Armut des Vanernvolkes. Von fesselnder Lebendigkeit sind die Bilder des Kriegslebens, die Schilderungen der Schlachten und Scharmützel zwischen den Magdeburgern und ihren Be¬ lagerern, die Schilderung des Brandes der Neustadt ucich dem Verrat; jede Figur steht sicher und kräftig da, man hat seine Freude an all den mannich- faltigen Charakteren. In der Mitte der Erzählung steht das Haus des Ratsherrn Horn, eines bis zur Ungerechtigkeit gerechten Mannes. Sein Sohn Markus Horn ist, wie so mancher andre Student jener Zeit, von der Universität weg in den Krieg gelaufen, zu den mit Recht berüchtigten Landsknechten. Viele Jahre lang hat er nichts von sich hören lassen, hat für verschollen gegolten, und der alte Horn hat ihn aus seinem Herzen gestrichen zum schweren Leidwesen seiner guten Frau Regula, die sich stets nach ihrem geliebten einzigen Sohne sehnte. Nun, bei drohender Gefahr, kehrt der Fähnrich Markus Horn mit einem Häuflein andrer Magdeburger Kinder in die geliebte Heimat zurück, um in ihrem Heere zu dienen. Er hofft reuig Aufnahme bei seinen schwer gekränkten Eltern zu finden, der erbitterte Vater aber weist ihm hart die Thür. Aber während der dreizehnmonatlichem Belagerung findet Markus Gelegenheit sich auszuzeichnen, nach und nach nähern sich Vater und Sohn, und es kommt zur Versöhnung. Dies die novellistische Mitte der an Figuren und Ereignissen sehr reichen Geschichte. Die Erzählungswcise Randes weist schon hier einige von den Fehlern auf, die er in den spätern Werken nicht abgelegt hat. Erstens läßt er sich von seinem rein wissenschaftlichen Interesse, von seiner Freude an der zeitgenössischen Chronik, die seiner Erzählung zu Grnnde liegt, verleiten, uns ausführlich und in gelegentlichen Zitaten Teile seiner Quelle mitten im dichte¬ rischen Text mitzuteilen, sodaß die stilistische Einheit der Darstellung gänzlich verloren geht; sogar litterargeschichtliche Notizen über die Behandlung desselben Stoffes durch Dichter des siebzehnten Jahrhunderts werden uns nicht erspart. Zuweilen guckt das Lächeln der romantischen Ironie ans den Zügen des Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/562>, abgerufen am 23.07.2024.