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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Noch den Reichstagsivahlen

verloren gegangen wären und das Gvttesbewußtsein entweder wieder verschwunden
sein oder zur gänzlichen Enteignung des Egoismus geführt haben würde, die die
Leistung des Riese" mit dem Lohn des Zwergen und umgekehrt vergelten
wollte und die dennoch befriedigt atmete, könnte nnr entweder als eine Herde
von Bestien oder als eine Vereinigung von Engeln gedacht werden. Wesen
wie Alexander der Große, Cäsar, Raphael, Goethe, Bismarck, denen weder die
Natur der Bestie noch die des Engels zukommt, würden in einem solchen Ge¬
meinwesen keine Unterkunft finden. .Könige und Barbiere können nicht Mit¬
glieder einundderselben Innung sein. Dieser Pseudosvzialismns räumt mit
der gegebenen, natürlichen Thatsache Egoismus gründlicher auf als selbst das
Christentum; dieses sagt doch nur: Liebe deine" Nächsten wie dich selbst, und
wendet sich an eine edle Selbstliebe des Menschen mit dein Hinweis uns das
Jenseits. Der Sozialismus der Sozialdemokratie sagt aber: Du sollst deinen
Nächsten mehr lieben als dich selbst, dn Adler sollst die Herrschaft mit dem
Sperling teilen, damit dn dich glücklich fühlst.

Während aber im Sozialismus der Sozialdemokratie der Egoismus und
damit der Einzelne völlig aufgehoben ist, wird der Einzelne in der Demokratie
wieder hergestellt, und zwar bis zu dem Grade, daß er von Gott gänzlich un¬
abhängig, der alleinige Träger der Welt ist. Was geschehen soll, darüber
sollen nicht objektive, von diesem oder jenem Menschen unabhängige Ideen
höhern Ursprungs entscheiden, sondern die Mehrheit der gezählten Menschen
von unter. Schade nur, daß ich in der Geschichte nur Oligarchien, aber nicht
eine einzige Demokratie entdecken kann. Demokratie ist die Herrschaft aller.
Der Begriff der Herrschaft hat zum notwendigen Wechselbegriff den Begriff des
Beherrschtseins. Nun mochte ich wissen, wo in einem Staate von lauter
Herren die Diener ihre Unterkunft finden sollten! In der Demokratie hat es
sich daher immer nur um die Herrschaft eines oder einiger gehandelt, die für
ihre persönlichen oder Klassen Interessen die übrigen zu gewinnen wußten. In
ver sogenannten Demokratie der Bereinigten Staaten herrscht der Geldsack,
ähnlich ist es in Frankreich und überall, wo sich die Menschen mit dein Worte
Demokratie narren ließen. Die herrschende Idee kommt immer von oben,
offenbart sich zuerst in einem Einzelnen, teilt sich durch den einen mehreren


d>'s Eigentums (dieser sei "Staat" oder "Müller" oder "Schulze"), sondern "in gewisse gemciu-
schiidliche Wirkungen handelt. Können diese durch Gesetze abgestellt werden, was soll der Name
Müller oder Schulze verschlagen? Können sie es nicht, was soll dann die Gesetzlosigkeit und
der bloße Name Staat für den Besitzer ändern? Die Ehe im socialdemokratischen Staat ist
das Kvukubiuat, d. h. das Produkt der Leidenschaft ohne Rest. Daß das gesetzliche Band sie
ichou im Interesse der Kinder nud des gesellschaftliche" Friedens uns der Brunst der Leiden¬
schaft ans das Gebiet der Selbstbeherrschung, der Vernunft, der sittliche" Freiheit erhebe"
""'fete, kau" eine Doktrin, die über den Begriff der natürlichen Freiheit überhaupt nicht
hinaus kommt, selbstverständlich wieder nicht begreifen.
Noch den Reichstagsivahlen

verloren gegangen wären und das Gvttesbewußtsein entweder wieder verschwunden
sein oder zur gänzlichen Enteignung des Egoismus geführt haben würde, die die
Leistung des Riese» mit dem Lohn des Zwergen und umgekehrt vergelten
wollte und die dennoch befriedigt atmete, könnte nnr entweder als eine Herde
von Bestien oder als eine Vereinigung von Engeln gedacht werden. Wesen
wie Alexander der Große, Cäsar, Raphael, Goethe, Bismarck, denen weder die
Natur der Bestie noch die des Engels zukommt, würden in einem solchen Ge¬
meinwesen keine Unterkunft finden. .Könige und Barbiere können nicht Mit¬
glieder einundderselben Innung sein. Dieser Pseudosvzialismns räumt mit
der gegebenen, natürlichen Thatsache Egoismus gründlicher auf als selbst das
Christentum; dieses sagt doch nur: Liebe deine« Nächsten wie dich selbst, und
wendet sich an eine edle Selbstliebe des Menschen mit dein Hinweis uns das
Jenseits. Der Sozialismus der Sozialdemokratie sagt aber: Du sollst deinen
Nächsten mehr lieben als dich selbst, dn Adler sollst die Herrschaft mit dem
Sperling teilen, damit dn dich glücklich fühlst.

Während aber im Sozialismus der Sozialdemokratie der Egoismus und
damit der Einzelne völlig aufgehoben ist, wird der Einzelne in der Demokratie
wieder hergestellt, und zwar bis zu dem Grade, daß er von Gott gänzlich un¬
abhängig, der alleinige Träger der Welt ist. Was geschehen soll, darüber
sollen nicht objektive, von diesem oder jenem Menschen unabhängige Ideen
höhern Ursprungs entscheiden, sondern die Mehrheit der gezählten Menschen
von unter. Schade nur, daß ich in der Geschichte nur Oligarchien, aber nicht
eine einzige Demokratie entdecken kann. Demokratie ist die Herrschaft aller.
Der Begriff der Herrschaft hat zum notwendigen Wechselbegriff den Begriff des
Beherrschtseins. Nun mochte ich wissen, wo in einem Staate von lauter
Herren die Diener ihre Unterkunft finden sollten! In der Demokratie hat es
sich daher immer nur um die Herrschaft eines oder einiger gehandelt, die für
ihre persönlichen oder Klassen Interessen die übrigen zu gewinnen wußten. In
ver sogenannten Demokratie der Bereinigten Staaten herrscht der Geldsack,
ähnlich ist es in Frankreich und überall, wo sich die Menschen mit dein Worte
Demokratie narren ließen. Die herrschende Idee kommt immer von oben,
offenbart sich zuerst in einem Einzelnen, teilt sich durch den einen mehreren


d>'s Eigentums (dieser sei „Staat" oder „Müller" oder „Schulze"), sondern »in gewisse gemciu-
schiidliche Wirkungen handelt. Können diese durch Gesetze abgestellt werden, was soll der Name
Müller oder Schulze verschlagen? Können sie es nicht, was soll dann die Gesetzlosigkeit und
der bloße Name Staat für den Besitzer ändern? Die Ehe im socialdemokratischen Staat ist
das Kvukubiuat, d. h. das Produkt der Leidenschaft ohne Rest. Daß das gesetzliche Band sie
ichou im Interesse der Kinder nud des gesellschaftliche» Friedens uns der Brunst der Leiden¬
schaft ans das Gebiet der Selbstbeherrschung, der Vernunft, der sittliche» Freiheit erhebe»
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/555>, abgerufen am 23.07.2024.