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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Nach den Reichslagslvahle"

hält und als solid bezahlt hat. Ich verweise hinsichtlich dieser Frage auf die
ausführliche Darstellung, die ich vor zwei Jahren bei den Haudwerkerdcbatten
im Reichstage gegeben habe.

Der zweite ist eine gründliche Umgestaltung des heutigen Arbeitsvertrages.
Obschon, wie wir gesehen haben, der Arbeiter ein untrennbarer Bestandteil
des gesamten Arbeitsprozesses ist, kann er doch jederzeit von den Ergebnissen
desselben ausgeschlossen werden, dadurch, daß er, auch ohne sein Verschulden,
außer Arbeit gesetzt wird. Ich will aber, daß jeder Arbeiter, der von irgend
einem Industriezweig einmal angenommen ist, von diesem auch -- natürlich
von seiner Ganzheit, nicht vom einzelnen Arbeitgeber -- dauernd erhalten
werde, und ich will das nicht bloß im Interesse des einzelnen Arbeiters,
sondern im ureigensten, wohlverstandueu Interesse des rechtschaffenen Arbeit¬
gebers selbst, und zwar ans folgenden Gründen.

Fast alle Not in der Industrie kommt von der zeitweiligen Überproduktion,
wo plötzlich der Absatz stockt, weil zu viel Waren fertig wurden, die Preise
sinken, Arbeiter entlassen werden, Bankerotte nnsbrechen n. s. w. Der Grund
zur zeitweiligen Überproduktion ist aber fast immer die leichtsinnige Spekulation,
die die Fabrikatiousmittel ins Ungemessene steigert, so lange das Geschäft gut
geht, und gewöhnlich von denjenigen Unternehmern am kühnsten betrieben wird,
die am wenigsten besitzen, also wenn die Sache schief geht, am wenigsten zu
verlieren haben. Diese eigentliche Mutter der gewerblichen Krisen findet nnn
ihre hauptsächlichste Stütze in folgendem Umstände. Wenn es hoch kommt,
Wird der leichtsinnige Unternehmer für den Fall des Mißerfolges um das Geld
besorgt sein, das er auf tote Gebunde, Maschinen n. s. w. verwandt hat. Das
Schicksal seiner lebenden Arbeiter braucht ihn nicht im mindesten zu kümmern,
^ kann sie zu jedem Lohne und in jeder Zahl annehmen, so lauge das Ge¬
schäft geht; er kann dann drauf los produziren, bis das Zuviel notwendig
den Rückschlag bringt, und ist dieser da, so kann er seine Arbeiter ohne weiteres
wieder auf die Straße setzen. Das würde sofort aufhören, wenn die einzelnen
Unternehmer nicht mehr ganz nach Belieben ihre Arbeiter annehmen und ent-
^sser konnten, wenn der Unterhalt derselben für die Zeit der Stockung immer
als böse Drohung vor ihrem Geiste stünde.

Ich kann nur sagen, daß ich als ergrauter Unternehmer und ans der
Summe meiner Erfahrungen und meines Nachdenkens die beiden staatlichen
Maßregeln: die Einführung der unbedingten Anzeigepflicht und der un¬
bedingten Verantwortlichkeit der Arbeitgeber für das Dasein ihrer Arbeiter,
durchaus nicht als eine Last, sondern als eine Erlösung für mich betrachten
konnte.

Freilich mit den heutigen Mitteln und Arten der Staatsgewalt ließen sich
Made immerhin schon tief einschneidende Maßregeln nicht durchführen, sondern
Ne würden eine große Vermehrung der unmittelbaren und mittelbaren sachver-


Nach den Reichslagslvahle»

hält und als solid bezahlt hat. Ich verweise hinsichtlich dieser Frage auf die
ausführliche Darstellung, die ich vor zwei Jahren bei den Haudwerkerdcbatten
im Reichstage gegeben habe.

Der zweite ist eine gründliche Umgestaltung des heutigen Arbeitsvertrages.
Obschon, wie wir gesehen haben, der Arbeiter ein untrennbarer Bestandteil
des gesamten Arbeitsprozesses ist, kann er doch jederzeit von den Ergebnissen
desselben ausgeschlossen werden, dadurch, daß er, auch ohne sein Verschulden,
außer Arbeit gesetzt wird. Ich will aber, daß jeder Arbeiter, der von irgend
einem Industriezweig einmal angenommen ist, von diesem auch — natürlich
von seiner Ganzheit, nicht vom einzelnen Arbeitgeber — dauernd erhalten
werde, und ich will das nicht bloß im Interesse des einzelnen Arbeiters,
sondern im ureigensten, wohlverstandueu Interesse des rechtschaffenen Arbeit¬
gebers selbst, und zwar ans folgenden Gründen.

Fast alle Not in der Industrie kommt von der zeitweiligen Überproduktion,
wo plötzlich der Absatz stockt, weil zu viel Waren fertig wurden, die Preise
sinken, Arbeiter entlassen werden, Bankerotte nnsbrechen n. s. w. Der Grund
zur zeitweiligen Überproduktion ist aber fast immer die leichtsinnige Spekulation,
die die Fabrikatiousmittel ins Ungemessene steigert, so lange das Geschäft gut
geht, und gewöhnlich von denjenigen Unternehmern am kühnsten betrieben wird,
die am wenigsten besitzen, also wenn die Sache schief geht, am wenigsten zu
verlieren haben. Diese eigentliche Mutter der gewerblichen Krisen findet nnn
ihre hauptsächlichste Stütze in folgendem Umstände. Wenn es hoch kommt,
Wird der leichtsinnige Unternehmer für den Fall des Mißerfolges um das Geld
besorgt sein, das er auf tote Gebunde, Maschinen n. s. w. verwandt hat. Das
Schicksal seiner lebenden Arbeiter braucht ihn nicht im mindesten zu kümmern,
^ kann sie zu jedem Lohne und in jeder Zahl annehmen, so lauge das Ge¬
schäft geht; er kann dann drauf los produziren, bis das Zuviel notwendig
den Rückschlag bringt, und ist dieser da, so kann er seine Arbeiter ohne weiteres
wieder auf die Straße setzen. Das würde sofort aufhören, wenn die einzelnen
Unternehmer nicht mehr ganz nach Belieben ihre Arbeiter annehmen und ent-
^sser konnten, wenn der Unterhalt derselben für die Zeit der Stockung immer
als böse Drohung vor ihrem Geiste stünde.

Ich kann nur sagen, daß ich als ergrauter Unternehmer und ans der
Summe meiner Erfahrungen und meines Nachdenkens die beiden staatlichen
Maßregeln: die Einführung der unbedingten Anzeigepflicht und der un¬
bedingten Verantwortlichkeit der Arbeitgeber für das Dasein ihrer Arbeiter,
durchaus nicht als eine Last, sondern als eine Erlösung für mich betrachten
konnte.

Freilich mit den heutigen Mitteln und Arten der Staatsgewalt ließen sich
Made immerhin schon tief einschneidende Maßregeln nicht durchführen, sondern
Ne würden eine große Vermehrung der unmittelbaren und mittelbaren sachver-


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[0547] Nach den Reichslagslvahle» hält und als solid bezahlt hat. Ich verweise hinsichtlich dieser Frage auf die ausführliche Darstellung, die ich vor zwei Jahren bei den Haudwerkerdcbatten im Reichstage gegeben habe. Der zweite ist eine gründliche Umgestaltung des heutigen Arbeitsvertrages. Obschon, wie wir gesehen haben, der Arbeiter ein untrennbarer Bestandteil des gesamten Arbeitsprozesses ist, kann er doch jederzeit von den Ergebnissen desselben ausgeschlossen werden, dadurch, daß er, auch ohne sein Verschulden, außer Arbeit gesetzt wird. Ich will aber, daß jeder Arbeiter, der von irgend einem Industriezweig einmal angenommen ist, von diesem auch — natürlich von seiner Ganzheit, nicht vom einzelnen Arbeitgeber — dauernd erhalten werde, und ich will das nicht bloß im Interesse des einzelnen Arbeiters, sondern im ureigensten, wohlverstandueu Interesse des rechtschaffenen Arbeit¬ gebers selbst, und zwar ans folgenden Gründen. Fast alle Not in der Industrie kommt von der zeitweiligen Überproduktion, wo plötzlich der Absatz stockt, weil zu viel Waren fertig wurden, die Preise sinken, Arbeiter entlassen werden, Bankerotte nnsbrechen n. s. w. Der Grund zur zeitweiligen Überproduktion ist aber fast immer die leichtsinnige Spekulation, die die Fabrikatiousmittel ins Ungemessene steigert, so lange das Geschäft gut geht, und gewöhnlich von denjenigen Unternehmern am kühnsten betrieben wird, die am wenigsten besitzen, also wenn die Sache schief geht, am wenigsten zu verlieren haben. Diese eigentliche Mutter der gewerblichen Krisen findet nnn ihre hauptsächlichste Stütze in folgendem Umstände. Wenn es hoch kommt, Wird der leichtsinnige Unternehmer für den Fall des Mißerfolges um das Geld besorgt sein, das er auf tote Gebunde, Maschinen n. s. w. verwandt hat. Das Schicksal seiner lebenden Arbeiter braucht ihn nicht im mindesten zu kümmern, ^ kann sie zu jedem Lohne und in jeder Zahl annehmen, so lauge das Ge¬ schäft geht; er kann dann drauf los produziren, bis das Zuviel notwendig den Rückschlag bringt, und ist dieser da, so kann er seine Arbeiter ohne weiteres wieder auf die Straße setzen. Das würde sofort aufhören, wenn die einzelnen Unternehmer nicht mehr ganz nach Belieben ihre Arbeiter annehmen und ent- ^sser konnten, wenn der Unterhalt derselben für die Zeit der Stockung immer als böse Drohung vor ihrem Geiste stünde. Ich kann nur sagen, daß ich als ergrauter Unternehmer und ans der Summe meiner Erfahrungen und meines Nachdenkens die beiden staatlichen Maßregeln: die Einführung der unbedingten Anzeigepflicht und der un¬ bedingten Verantwortlichkeit der Arbeitgeber für das Dasein ihrer Arbeiter, durchaus nicht als eine Last, sondern als eine Erlösung für mich betrachten konnte. Freilich mit den heutigen Mitteln und Arten der Staatsgewalt ließen sich Made immerhin schon tief einschneidende Maßregeln nicht durchführen, sondern Ne würden eine große Vermehrung der unmittelbaren und mittelbaren sachver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/547>, abgerufen am 23.07.2024.