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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Nach den Neichstagswahlen

Belastung für das Kapital bedeute. Die Zuwendungen, die durch diese drei
besetze dem .Kapital zu Gunsten der Lohnarbeit auferlegt worden sind, betragen
über 400 Millionen Mark im Jahre. Zum gegenwärtigen Zinsfuße von un¬
gefähr Prozent stellt diese Summe ein Kapital von 11'/-z Milliarden, sage
11500 Millionen Mark dar, das durch einen bloßen Federstrich der Gesetz¬
gebung den Besitzenden entzogen und den Armen zugewendet worden ist. Es
rechtfertigt sich dem gegenüber wohl die Frage, wo denn anch nur das Lot
Butter sei, das bis jetzt von der aus den Taschen der armen Leute erhaltenen
Rotte gottloser Thoren und Wandcrschwätzer auf das Brot des armen Mannes
gebracht worden ist?

Kaum ist ferner das Jnvalidenversorgungsgesetz dem Klassen- und Partei-
egvismus mit schwerer Mühe abgerungen -- alles auf einmal machen wollen
kann nur der geschwätzige Unsinn so sehen wir unsern jungen kaiserlichen
Herrn, den echten Sproß des verewigten großen Kaisers, für den zur Tages¬
ordnung stehendem Arbeiterschutz den einzig möglichen Weg beschreiben, der die
kleinen Kunststücke der mit den Arbeiterstimmen kokettirenden Parteiführer weit
hinter sich läßt, den Weg der internationalen Vereiubcirung. Auch hier ist der
Erfolg nur eine Frage der Zeit.

Die andre Art der Hilfe ist freilich schwieriger und wird mehr Zeit er¬
fordern, weil sie, wie gesagt, die Staatsinterventiou für die Erzeugung und
den Austausch der Waren einführen muß, und weil hier natürlich mir mit
größter Vorsicht und auf Grund sicherster Erkenntnis sowohl eines vor-
handnen Übels als der Möglichkeit seiner staatlichen Abstellung vorgegangen
werden kann.

Denn wie ich nichts von der Weisheit halte, die den Staat zertrümmern
will, ohne sagen zu können, was an seine Stelle treten soll, so halte ich nicht
viel mehr von der andern, seit Platons Zeiten bis in unsre Tage herein ge¬
übten Weisheit, die auf der Studirstube zum Ersatz für den von Natur ge¬
gebenen, von Menschenwitz unabhängigen Staat einen ganz neue" aus diesem
Menschenwitz heraus zurechtzimmern will. Das höchste, was die hinter den
Dingen dreinhinkende Vernunft leisten kann, ist, daß sie einzelne Erscheinungen
verändert oder beseitigt. In dieser Beziehung glaube ich aber, daß allerdings
mehrere reformatorische Wege bereits völlig gangbar seien, und will davon
wenigstens zwei hier andeuten.

Der erste ist die Einführung der unbedingten Anzeigepflicht in unsrer
Produktion, wonach jedem Verbraucher einer Ware nutgeteilt werden muß,
ans welchem Material und von wem eine Ware erzeugt ist. Die Schund¬
produktion, unter der wir leiden, bringt es mit sich, daß Milliarden von
Kapital und Millionen von Arbeiterexistenzen gänzlich nutzlos aufgerieben
werden, und sie ist nur dadurch möglich, daß ohne Anzeigezwang dein
Verbraucher geringwertige Waren nnfgeschwindelt werden, die er für solid

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Nach den Neichstagswahlen

Belastung für das Kapital bedeute. Die Zuwendungen, die durch diese drei
besetze dem .Kapital zu Gunsten der Lohnarbeit auferlegt worden sind, betragen
über 400 Millionen Mark im Jahre. Zum gegenwärtigen Zinsfuße von un¬
gefähr Prozent stellt diese Summe ein Kapital von 11'/-z Milliarden, sage
11500 Millionen Mark dar, das durch einen bloßen Federstrich der Gesetz¬
gebung den Besitzenden entzogen und den Armen zugewendet worden ist. Es
rechtfertigt sich dem gegenüber wohl die Frage, wo denn anch nur das Lot
Butter sei, das bis jetzt von der aus den Taschen der armen Leute erhaltenen
Rotte gottloser Thoren und Wandcrschwätzer auf das Brot des armen Mannes
gebracht worden ist?

Kaum ist ferner das Jnvalidenversorgungsgesetz dem Klassen- und Partei-
egvismus mit schwerer Mühe abgerungen — alles auf einmal machen wollen
kann nur der geschwätzige Unsinn so sehen wir unsern jungen kaiserlichen
Herrn, den echten Sproß des verewigten großen Kaisers, für den zur Tages¬
ordnung stehendem Arbeiterschutz den einzig möglichen Weg beschreiben, der die
kleinen Kunststücke der mit den Arbeiterstimmen kokettirenden Parteiführer weit
hinter sich läßt, den Weg der internationalen Vereiubcirung. Auch hier ist der
Erfolg nur eine Frage der Zeit.

Die andre Art der Hilfe ist freilich schwieriger und wird mehr Zeit er¬
fordern, weil sie, wie gesagt, die Staatsinterventiou für die Erzeugung und
den Austausch der Waren einführen muß, und weil hier natürlich mir mit
größter Vorsicht und auf Grund sicherster Erkenntnis sowohl eines vor-
handnen Übels als der Möglichkeit seiner staatlichen Abstellung vorgegangen
werden kann.

Denn wie ich nichts von der Weisheit halte, die den Staat zertrümmern
will, ohne sagen zu können, was an seine Stelle treten soll, so halte ich nicht
viel mehr von der andern, seit Platons Zeiten bis in unsre Tage herein ge¬
übten Weisheit, die auf der Studirstube zum Ersatz für den von Natur ge¬
gebenen, von Menschenwitz unabhängigen Staat einen ganz neue» aus diesem
Menschenwitz heraus zurechtzimmern will. Das höchste, was die hinter den
Dingen dreinhinkende Vernunft leisten kann, ist, daß sie einzelne Erscheinungen
verändert oder beseitigt. In dieser Beziehung glaube ich aber, daß allerdings
mehrere reformatorische Wege bereits völlig gangbar seien, und will davon
wenigstens zwei hier andeuten.

Der erste ist die Einführung der unbedingten Anzeigepflicht in unsrer
Produktion, wonach jedem Verbraucher einer Ware nutgeteilt werden muß,
ans welchem Material und von wem eine Ware erzeugt ist. Die Schund¬
produktion, unter der wir leiden, bringt es mit sich, daß Milliarden von
Kapital und Millionen von Arbeiterexistenzen gänzlich nutzlos aufgerieben
werden, und sie ist nur dadurch möglich, daß ohne Anzeigezwang dein
Verbraucher geringwertige Waren nnfgeschwindelt werden, die er für solid

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[0546] Nach den Neichstagswahlen Belastung für das Kapital bedeute. Die Zuwendungen, die durch diese drei besetze dem .Kapital zu Gunsten der Lohnarbeit auferlegt worden sind, betragen über 400 Millionen Mark im Jahre. Zum gegenwärtigen Zinsfuße von un¬ gefähr Prozent stellt diese Summe ein Kapital von 11'/-z Milliarden, sage 11500 Millionen Mark dar, das durch einen bloßen Federstrich der Gesetz¬ gebung den Besitzenden entzogen und den Armen zugewendet worden ist. Es rechtfertigt sich dem gegenüber wohl die Frage, wo denn anch nur das Lot Butter sei, das bis jetzt von der aus den Taschen der armen Leute erhaltenen Rotte gottloser Thoren und Wandcrschwätzer auf das Brot des armen Mannes gebracht worden ist? Kaum ist ferner das Jnvalidenversorgungsgesetz dem Klassen- und Partei- egvismus mit schwerer Mühe abgerungen — alles auf einmal machen wollen kann nur der geschwätzige Unsinn so sehen wir unsern jungen kaiserlichen Herrn, den echten Sproß des verewigten großen Kaisers, für den zur Tages¬ ordnung stehendem Arbeiterschutz den einzig möglichen Weg beschreiben, der die kleinen Kunststücke der mit den Arbeiterstimmen kokettirenden Parteiführer weit hinter sich läßt, den Weg der internationalen Vereiubcirung. Auch hier ist der Erfolg nur eine Frage der Zeit. Die andre Art der Hilfe ist freilich schwieriger und wird mehr Zeit er¬ fordern, weil sie, wie gesagt, die Staatsinterventiou für die Erzeugung und den Austausch der Waren einführen muß, und weil hier natürlich mir mit größter Vorsicht und auf Grund sicherster Erkenntnis sowohl eines vor- handnen Übels als der Möglichkeit seiner staatlichen Abstellung vorgegangen werden kann. Denn wie ich nichts von der Weisheit halte, die den Staat zertrümmern will, ohne sagen zu können, was an seine Stelle treten soll, so halte ich nicht viel mehr von der andern, seit Platons Zeiten bis in unsre Tage herein ge¬ übten Weisheit, die auf der Studirstube zum Ersatz für den von Natur ge¬ gebenen, von Menschenwitz unabhängigen Staat einen ganz neue» aus diesem Menschenwitz heraus zurechtzimmern will. Das höchste, was die hinter den Dingen dreinhinkende Vernunft leisten kann, ist, daß sie einzelne Erscheinungen verändert oder beseitigt. In dieser Beziehung glaube ich aber, daß allerdings mehrere reformatorische Wege bereits völlig gangbar seien, und will davon wenigstens zwei hier andeuten. Der erste ist die Einführung der unbedingten Anzeigepflicht in unsrer Produktion, wonach jedem Verbraucher einer Ware nutgeteilt werden muß, ans welchem Material und von wem eine Ware erzeugt ist. Die Schund¬ produktion, unter der wir leiden, bringt es mit sich, daß Milliarden von Kapital und Millionen von Arbeiterexistenzen gänzlich nutzlos aufgerieben werden, und sie ist nur dadurch möglich, daß ohne Anzeigezwang dein Verbraucher geringwertige Waren nnfgeschwindelt werden, die er für solid ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/546>, abgerufen am 25.08.2024.