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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummhoiten

jener; und insofern Rembrandt in seinen Bildern sogar eine noch intensivere
persönliche Handschrift zeigt als Rafael, hat der erstere noch mehr Stil als
der letztere -- dieser Umschwung ist wieder durch den Egoismus bewirkt
worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Redners
war. Jener hat in diesem seinen Meister gefunden, letzterer hat das Werk
würdig fortgesetzt. -- Wer ist dieser, wer ist jener, wer ist letzterer? Dieser
und jener solle" Geber und Redner sein, aber in welcher Reihenfolge?
Dieser soll sich auf den Näherstehenden, jener sich auf den Fernerstehenden
beziehen, letzterer bezieht man unwillkürlich zunächst auf Meister, es ist aber
wieder der Redner gemeint. Ist es denn da nicht tausendmal vernünftiger,
zu schreiben: Dieser Umschwung ist wieder dnrch den Egoismus bewirkt worden,
nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Redners war.
Der Geber hat im Redner seinen Meister gefunden, der Redner hat das Werk
würdig fortgesetzt? Das ist sofort verstündlich, und alles ängstliche Herum¬
suchen fällt weg. Aber freilich: zweimal Geber, dreimal Redner -- ein entsetzliches
Verbrechen! Es giebt Schriftsteller, die in das letzterer ganz verliebt sind,
z. B. Jhering. Sein Schriftchen über das Trinkgeld fängt gleich mit folgenden
drei Sätzen an: Untersuchungen, die ich über den Begriff der Sitte anzustellen
hatte, führten mich auf den der Unsitte, und ich wählte, um die letztere an
einigen Beispielen ans unsrer heutigen Zeit zu erläutern, neben dem Duell
und dem Leichenschmäuse auch das Trinkgeld. Letzteres war mir bis dahin
nur von der juristischem Seite entgegengetreten. Ich hatte mich desselben in
meinen konservatvrischen (!) Übungen mit meinen Zuhörern bedient, um letz¬
ter:? Gelegenheit zu gebe", an einem von der Theorie nicht bestimmten Begriff
sich zu übe".

Aber wie schon diese Sätze Iherings zeigen, der Mißbrauch geht noch weiter.
Das schöne letzterer wird nicht bloß gebraucht, wo sichs um eine Gegen¬
überstellung von zwei Begriffen handelt, sondern geradezu für dieser, auch
wo jede Verwechslung ausgeschlossen ist, z. B. der Kommissar wollte Dcirou-
lvde verhaften, aber letzterer leistete Widerstand -- das Preisgericht hat
seinen Spruch gethan, letzterer greift jedoch der Entscheidung nicht vor -- das
Peplon wird aus bestem, von Fett befreiten Fleisch dargestellt, svdnß
letzteres bereits in löslicher Form dem Magen zugeführt wird -- die Ver¬
schiedenheit der Mittel, durch die man eine solche Wirkung erreicht, kommt für
letztere selbst gar uicht in Betracht u. s. w. Dies alles wird aber nun weit
überboten durch die Erfindung des herrlichen Relativpronomens: welcher
letztere! Neben seitens, diesbezüglich und bezw. gehört diese Verbindung
ohne Zweifel zu den erkornen Lieblingen des heutigen Amts- lind Zeitungs¬
deutsch, d. h. unsrer Schriftsprache überhaupt.

Es sind hier drei Fülle zu unterscheiden. Den ersten möchte ich den
Verlegenheitsfall nennen. Von einen, Hauptwort hängt ein zweites Haupt-


Allerhand Sprachdummhoiten

jener; und insofern Rembrandt in seinen Bildern sogar eine noch intensivere
persönliche Handschrift zeigt als Rafael, hat der erstere noch mehr Stil als
der letztere — dieser Umschwung ist wieder durch den Egoismus bewirkt
worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Redners
war. Jener hat in diesem seinen Meister gefunden, letzterer hat das Werk
würdig fortgesetzt. — Wer ist dieser, wer ist jener, wer ist letzterer? Dieser
und jener solle» Geber und Redner sein, aber in welcher Reihenfolge?
Dieser soll sich auf den Näherstehenden, jener sich auf den Fernerstehenden
beziehen, letzterer bezieht man unwillkürlich zunächst auf Meister, es ist aber
wieder der Redner gemeint. Ist es denn da nicht tausendmal vernünftiger,
zu schreiben: Dieser Umschwung ist wieder dnrch den Egoismus bewirkt worden,
nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Redners war.
Der Geber hat im Redner seinen Meister gefunden, der Redner hat das Werk
würdig fortgesetzt? Das ist sofort verstündlich, und alles ängstliche Herum¬
suchen fällt weg. Aber freilich: zweimal Geber, dreimal Redner — ein entsetzliches
Verbrechen! Es giebt Schriftsteller, die in das letzterer ganz verliebt sind,
z. B. Jhering. Sein Schriftchen über das Trinkgeld fängt gleich mit folgenden
drei Sätzen an: Untersuchungen, die ich über den Begriff der Sitte anzustellen
hatte, führten mich auf den der Unsitte, und ich wählte, um die letztere an
einigen Beispielen ans unsrer heutigen Zeit zu erläutern, neben dem Duell
und dem Leichenschmäuse auch das Trinkgeld. Letzteres war mir bis dahin
nur von der juristischem Seite entgegengetreten. Ich hatte mich desselben in
meinen konservatvrischen (!) Übungen mit meinen Zuhörern bedient, um letz¬
ter:? Gelegenheit zu gebe», an einem von der Theorie nicht bestimmten Begriff
sich zu übe».

Aber wie schon diese Sätze Iherings zeigen, der Mißbrauch geht noch weiter.
Das schöne letzterer wird nicht bloß gebraucht, wo sichs um eine Gegen¬
überstellung von zwei Begriffen handelt, sondern geradezu für dieser, auch
wo jede Verwechslung ausgeschlossen ist, z. B. der Kommissar wollte Dcirou-
lvde verhaften, aber letzterer leistete Widerstand — das Preisgericht hat
seinen Spruch gethan, letzterer greift jedoch der Entscheidung nicht vor — das
Peplon wird aus bestem, von Fett befreiten Fleisch dargestellt, svdnß
letzteres bereits in löslicher Form dem Magen zugeführt wird — die Ver¬
schiedenheit der Mittel, durch die man eine solche Wirkung erreicht, kommt für
letztere selbst gar uicht in Betracht u. s. w. Dies alles wird aber nun weit
überboten durch die Erfindung des herrlichen Relativpronomens: welcher
letztere! Neben seitens, diesbezüglich und bezw. gehört diese Verbindung
ohne Zweifel zu den erkornen Lieblingen des heutigen Amts- lind Zeitungs¬
deutsch, d. h. unsrer Schriftsprache überhaupt.

Es sind hier drei Fülle zu unterscheiden. Den ersten möchte ich den
Verlegenheitsfall nennen. Von einen, Hauptwort hängt ein zweites Haupt-


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[0526] Allerhand Sprachdummhoiten jener; und insofern Rembrandt in seinen Bildern sogar eine noch intensivere persönliche Handschrift zeigt als Rafael, hat der erstere noch mehr Stil als der letztere — dieser Umschwung ist wieder durch den Egoismus bewirkt worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Redners war. Jener hat in diesem seinen Meister gefunden, letzterer hat das Werk würdig fortgesetzt. — Wer ist dieser, wer ist jener, wer ist letzterer? Dieser und jener solle» Geber und Redner sein, aber in welcher Reihenfolge? Dieser soll sich auf den Näherstehenden, jener sich auf den Fernerstehenden beziehen, letzterer bezieht man unwillkürlich zunächst auf Meister, es ist aber wieder der Redner gemeint. Ist es denn da nicht tausendmal vernünftiger, zu schreiben: Dieser Umschwung ist wieder dnrch den Egoismus bewirkt worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Redners war. Der Geber hat im Redner seinen Meister gefunden, der Redner hat das Werk würdig fortgesetzt? Das ist sofort verstündlich, und alles ängstliche Herum¬ suchen fällt weg. Aber freilich: zweimal Geber, dreimal Redner — ein entsetzliches Verbrechen! Es giebt Schriftsteller, die in das letzterer ganz verliebt sind, z. B. Jhering. Sein Schriftchen über das Trinkgeld fängt gleich mit folgenden drei Sätzen an: Untersuchungen, die ich über den Begriff der Sitte anzustellen hatte, führten mich auf den der Unsitte, und ich wählte, um die letztere an einigen Beispielen ans unsrer heutigen Zeit zu erläutern, neben dem Duell und dem Leichenschmäuse auch das Trinkgeld. Letzteres war mir bis dahin nur von der juristischem Seite entgegengetreten. Ich hatte mich desselben in meinen konservatvrischen (!) Übungen mit meinen Zuhörern bedient, um letz¬ ter:? Gelegenheit zu gebe», an einem von der Theorie nicht bestimmten Begriff sich zu übe». Aber wie schon diese Sätze Iherings zeigen, der Mißbrauch geht noch weiter. Das schöne letzterer wird nicht bloß gebraucht, wo sichs um eine Gegen¬ überstellung von zwei Begriffen handelt, sondern geradezu für dieser, auch wo jede Verwechslung ausgeschlossen ist, z. B. der Kommissar wollte Dcirou- lvde verhaften, aber letzterer leistete Widerstand — das Preisgericht hat seinen Spruch gethan, letzterer greift jedoch der Entscheidung nicht vor — das Peplon wird aus bestem, von Fett befreiten Fleisch dargestellt, svdnß letzteres bereits in löslicher Form dem Magen zugeführt wird — die Ver¬ schiedenheit der Mittel, durch die man eine solche Wirkung erreicht, kommt für letztere selbst gar uicht in Betracht u. s. w. Dies alles wird aber nun weit überboten durch die Erfindung des herrlichen Relativpronomens: welcher letztere! Neben seitens, diesbezüglich und bezw. gehört diese Verbindung ohne Zweifel zu den erkornen Lieblingen des heutigen Amts- lind Zeitungs¬ deutsch, d. h. unsrer Schriftsprache überhaupt. Es sind hier drei Fülle zu unterscheiden. Den ersten möchte ich den Verlegenheitsfall nennen. Von einen, Hauptwort hängt ein zweites Haupt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/526>, abgerufen am 23.07.2024.