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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Tprachdummheiten

einer solchen Entwicklung; Goethe hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten
Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen, und die
Hnuptthat Luthers, die Bibelübersetzung, ist eine wesentlich künstlerische That.
Das sind ein paar völlig gute, tadellose Sätze, so klar und übersichtlich, wie
man sie nur wünschen kann. Da kommt nun der Papiermensch und sagt:
Entsetzlich! Dn steht ja zweimal hinter einander Goethe und zweimal Luther!
Jedes zweite Mal ist vom Übel, dafür muß es heißen: der eine und der
andre, oder: jeuer und dieser, oder noch besser: ersterer und letzterer.
Also: Schon in Goethe, ja schon in dein musikliebenden Luther findet sich
das unbestimmte Vorgefühl einer solchen Entwicklung; ersterer hatte bekanntlich
bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst
zu widmen; und die Hauptthal des letztern, die Bibelübersetzung, war eine
wesentlich künstlerische That. Es ist das ein verhältnismäßig einfaches Beispiel,
"ut nachdem es vorher mit Wiederholung der Namen gebildet war, sieht man
leicht, worauf sich ersterer und letzterer beziehen soll. Aber welche Qualen
bereitet dem Leser tausend- und aber tausendmal ein solches ersterer und
letzterer, dieser und jener! Mau hat ja, wenn man so harmlos für sich
sinliche, keine Ahnung davon, daß sich der Schreibende gewisse Wörter heimlich
numerirt, um hinterher plötzlich vom Leser zu verlangen, daß er sie sich auch
numerirt und mit der Nummer gemerkt habe. Auf einmal kommt nun dieses
verteufelte ersterer und letzterer -- ja wer war nun der erstere? wer
war der letztere? Hastig fliegt das Auge zurück und irrt in den letzten drei,
vier Zeilen umher, um darnach zu suchen. Ersterer -- halt, da steht er:
Luther! Also: Luther hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die
ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen. Unsinn! Der andre
muß es gewesen sein, also noch einmal suchen! Richtig, hier steht er: Goethe!
Aber Luther war doch früher da als Goethe, wie kaun denn Goethe der
erstere sein? Ja, der Zeit nach war Luther früher, aber hier in dem ge¬
druckten Satz auf dem Papiere war Goethe der erstere, und aufs Papier
kommts an! Also: Goethe hatte bekanntlich die ernstliche Absicht - Gott sei
Dank, jetzt sind wir wieder im Fahrwasser. In Wirklichkeit vollzieht sich zum
Glück dieses geistige Hin- und Hergeschupptwerden ziemlich schnell; angenehm
lst es aber nicht. Hier noch ein paar andre Beispiele: der Gelehrte ist seinem
Wesen uach international, der Künstler national; darauf gründet sich die Über¬
legenheit des letztern über den erstern ^ unerfahrne Kinder und geübte
Diplomaten haben das oft blitzartige Durchschauen von Menschen und Charakteren
mit einander gemein, aber freilich ans einem(!) ganz entgegengesetzten Grunde:
lere besitzen noch den Blick für das Ganze, diese schon denjenigen (!) für die
^wzelheiten des menschlichen Seelenlebens -- wie Rafael in der Form, ist
Rembrandt in der Farbe nichts weniger als naturwahr. Dieser hat seinen
selbständigen und in gewissem Sinne unnatürlichen Stil gerade so gut wie


Allerhand Tprachdummheiten

einer solchen Entwicklung; Goethe hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten
Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen, und die
Hnuptthat Luthers, die Bibelübersetzung, ist eine wesentlich künstlerische That.
Das sind ein paar völlig gute, tadellose Sätze, so klar und übersichtlich, wie
man sie nur wünschen kann. Da kommt nun der Papiermensch und sagt:
Entsetzlich! Dn steht ja zweimal hinter einander Goethe und zweimal Luther!
Jedes zweite Mal ist vom Übel, dafür muß es heißen: der eine und der
andre, oder: jeuer und dieser, oder noch besser: ersterer und letzterer.
Also: Schon in Goethe, ja schon in dein musikliebenden Luther findet sich
das unbestimmte Vorgefühl einer solchen Entwicklung; ersterer hatte bekanntlich
bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst
zu widmen; und die Hauptthal des letztern, die Bibelübersetzung, war eine
wesentlich künstlerische That. Es ist das ein verhältnismäßig einfaches Beispiel,
»ut nachdem es vorher mit Wiederholung der Namen gebildet war, sieht man
leicht, worauf sich ersterer und letzterer beziehen soll. Aber welche Qualen
bereitet dem Leser tausend- und aber tausendmal ein solches ersterer und
letzterer, dieser und jener! Mau hat ja, wenn man so harmlos für sich
sinliche, keine Ahnung davon, daß sich der Schreibende gewisse Wörter heimlich
numerirt, um hinterher plötzlich vom Leser zu verlangen, daß er sie sich auch
numerirt und mit der Nummer gemerkt habe. Auf einmal kommt nun dieses
verteufelte ersterer und letzterer — ja wer war nun der erstere? wer
war der letztere? Hastig fliegt das Auge zurück und irrt in den letzten drei,
vier Zeilen umher, um darnach zu suchen. Ersterer — halt, da steht er:
Luther! Also: Luther hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die
ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen. Unsinn! Der andre
muß es gewesen sein, also noch einmal suchen! Richtig, hier steht er: Goethe!
Aber Luther war doch früher da als Goethe, wie kaun denn Goethe der
erstere sein? Ja, der Zeit nach war Luther früher, aber hier in dem ge¬
druckten Satz auf dem Papiere war Goethe der erstere, und aufs Papier
kommts an! Also: Goethe hatte bekanntlich die ernstliche Absicht - Gott sei
Dank, jetzt sind wir wieder im Fahrwasser. In Wirklichkeit vollzieht sich zum
Glück dieses geistige Hin- und Hergeschupptwerden ziemlich schnell; angenehm
lst es aber nicht. Hier noch ein paar andre Beispiele: der Gelehrte ist seinem
Wesen uach international, der Künstler national; darauf gründet sich die Über¬
legenheit des letztern über den erstern ^ unerfahrne Kinder und geübte
Diplomaten haben das oft blitzartige Durchschauen von Menschen und Charakteren
mit einander gemein, aber freilich ans einem(!) ganz entgegengesetzten Grunde:
lere besitzen noch den Blick für das Ganze, diese schon denjenigen (!) für die
^wzelheiten des menschlichen Seelenlebens — wie Rafael in der Form, ist
Rembrandt in der Farbe nichts weniger als naturwahr. Dieser hat seinen
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[0525] Allerhand Tprachdummheiten einer solchen Entwicklung; Goethe hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen, und die Hnuptthat Luthers, die Bibelübersetzung, ist eine wesentlich künstlerische That. Das sind ein paar völlig gute, tadellose Sätze, so klar und übersichtlich, wie man sie nur wünschen kann. Da kommt nun der Papiermensch und sagt: Entsetzlich! Dn steht ja zweimal hinter einander Goethe und zweimal Luther! Jedes zweite Mal ist vom Übel, dafür muß es heißen: der eine und der andre, oder: jeuer und dieser, oder noch besser: ersterer und letzterer. Also: Schon in Goethe, ja schon in dein musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl einer solchen Entwicklung; ersterer hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen; und die Hauptthal des letztern, die Bibelübersetzung, war eine wesentlich künstlerische That. Es ist das ein verhältnismäßig einfaches Beispiel, »ut nachdem es vorher mit Wiederholung der Namen gebildet war, sieht man leicht, worauf sich ersterer und letzterer beziehen soll. Aber welche Qualen bereitet dem Leser tausend- und aber tausendmal ein solches ersterer und letzterer, dieser und jener! Mau hat ja, wenn man so harmlos für sich sinliche, keine Ahnung davon, daß sich der Schreibende gewisse Wörter heimlich numerirt, um hinterher plötzlich vom Leser zu verlangen, daß er sie sich auch numerirt und mit der Nummer gemerkt habe. Auf einmal kommt nun dieses verteufelte ersterer und letzterer — ja wer war nun der erstere? wer war der letztere? Hastig fliegt das Auge zurück und irrt in den letzten drei, vier Zeilen umher, um darnach zu suchen. Ersterer — halt, da steht er: Luther! Also: Luther hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen. Unsinn! Der andre muß es gewesen sein, also noch einmal suchen! Richtig, hier steht er: Goethe! Aber Luther war doch früher da als Goethe, wie kaun denn Goethe der erstere sein? Ja, der Zeit nach war Luther früher, aber hier in dem ge¬ druckten Satz auf dem Papiere war Goethe der erstere, und aufs Papier kommts an! Also: Goethe hatte bekanntlich die ernstliche Absicht - Gott sei Dank, jetzt sind wir wieder im Fahrwasser. In Wirklichkeit vollzieht sich zum Glück dieses geistige Hin- und Hergeschupptwerden ziemlich schnell; angenehm lst es aber nicht. Hier noch ein paar andre Beispiele: der Gelehrte ist seinem Wesen uach international, der Künstler national; darauf gründet sich die Über¬ legenheit des letztern über den erstern ^ unerfahrne Kinder und geübte Diplomaten haben das oft blitzartige Durchschauen von Menschen und Charakteren mit einander gemein, aber freilich ans einem(!) ganz entgegengesetzten Grunde: lere besitzen noch den Blick für das Ganze, diese schon denjenigen (!) für die ^wzelheiten des menschlichen Seelenlebens — wie Rafael in der Form, ist Rembrandt in der Farbe nichts weniger als naturwahr. Dieser hat seinen selbständigen und in gewissem Sinne unnatürlichen Stil gerade so gut wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/525>, abgerufen am 23.07.2024.